Die Kassen sprechen sich gegen die Einführung von abgespeckten Apotheken an den Integrierten Notfallzentren (INZ) aus. Auch wenn die Zielsetzung nachvollziehbar sei und unterstützt werde, sollte aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes zunächst der reguläre Apothekennotdienst genutzt werden, um die Arzneimittelversorgung zu Randzeiten sicherzustellen. „Dies würde die bereits bestehenden Strukturen der Apotheken stärken und einen geringeren Personal- und Ressourceneinsatz erfordern“, heißt es in einer Stellungnahme zur Notfallreform. Aber: „Unterstützt werden kann die Versorgung in den Zentren insbesondere durch den Einsatz von Telepharmazie und automatisierten Abgabeautomaten.“
Mit der Notfallreform soll die Versorgung von Patientinnen und Patienten nach Feierabend der Praxen erleichtert werden. An Kliniken sollen INZ entstehen, in denen die Behandlung bei leichteren Erkrankungen erfolgen soll. Um auch die Versorgung mit Arzneimitteln zu vereinfachen, sollen die INZ Verträge mit benachbarten Apotheken schließen. Gibt es keine Apotheke in unmittelbarer Umgebung, sollen nahe gelegene Apotheken in den Räumlichkeiten des INZ eine sogenannte „zweite Offizin“ betreiben dürfen, die im Grunde nur über einen Verkaufsraum und geeignete Lagermöglichkeiten verfügen muss.
Laut GKV-Spitzenverband ist das Ziel nachvollziehbar und wird unterstützt. Allerdings bedürfte es unter anderem einer konkreten Definition der Begrifflichkeit „unmittelbare Nähe“ zum INZ, um Rechtsstreitigkeiten zur Auslegung zu verhindern. Zudem ergäben sich offene Fragen zur Finanzierung. „Der in diesem Gesetzentwurf gewählte Ansatz würde die Etablierung neuer Strukturen parallel zur bestehenden Nacht- und Notdienststruktur der Apotheken erforderlich machen“, erkennen die Kassen. „Dies ist aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes nicht zielführend. Es erfordert erhebliche neue Ressourcen zur Einrichtung neuer notdienstpraxisversorgenden Apotheken, die nur zu beschränkten Dienstzeiten zur Verfügung stehen und dabei – trotz finanziellem Aufwand – nicht zur Regelversorgung beitragen können, sondern gegebenenfalls bereits etablierte funktionierende Strukturen gefährden.“
Aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes sollte der reguläre Apothekennotdienst genutzt werden, um die Arzneimittelversorgung in den INZ sicher zu stellen. „Dies stärkt die bestehenden Strukturen der Apotheken und erfordert einen geringeren Personal- und Ressourceneinsatz. Eine Vernetzung der bestehenden Apothekennotdienste mit den Angebotszeiten der Notfallzentren durch regionale Koordination mit den Landesapothekenkammern, die auch den regulären Apothekennotdienst planen, ist eine geeignete Maßnahme.“ Dies ist im Entwurf tatsächlich angedacht.
„Auch die Möglichkeiten zur digitalen Übermittlung des E-Rezeptes in Kombination mit der Möglichkeit, telepharmazeutische Konsultationen zwischen Apotheken und verordnenden Ärztinnen und Ärzten beziehungsweise telepharmazeutische Beratungen der Patientinnen und Patienten durchzuführen, beschränkt die physische Abgabe der Packung auf einen rein logistischen Akt“, so der GKV-Spitzenverband weiter. „Sofern die nächstgelegene diensthabende Apotheke nicht fußläufig erreichbar ist, könnte dies an Stelle der Einrichtung von Räumlichkeiten auch durch einen Arzneimittel-Botendienst zwischen Zentrum und der nächsten diensthabenden Apotheke gelöst werden. Dieser Botendienst sollte dann bedarfsgerecht durch das Notfallzentrum finanziert und betrieben werden.“
Denkbar wäre aus Sicht der Kassen auch die Nutzung eines Abgabeautomaten im INZ, der jeweils auch unter der Zuhilfenahme von Telepharmazie von der diensthabenden Apotheke betrieben werden könne. „Die Details zur Ausgestaltung wären dann in einem Vertrag nach § 12b Apothekengesetz zu regeln.“
Ähnlich argumentiert der AOK-Bundesverband und ergänzt: „Im Sinne einer wirtschaftlichen und ressourcenschonenden Umsetzung sollte ergänzend eine über den Betrieb der INZ-Notdienstpraxen hinausgehende Versorgung von Patientinnen und Patienten bei gleichzeitiger Reduktion der Notdienste von Vor-Ort-Apotheken im näheren Umkreis der INZ geschaffen werden, um Parallelstrukturen zu verhindern.“
Dabei sollte der Vorrat an Präparaten eingedampft werden: „Für eine adäquate Versorgung der Patientinnen und Patienten sollte das Spektrum der im INZ am häufigsten verordneten Arzneimittel, Medizinprodukte sowie zusätzlich auch Verbandmittel vorrätig gehalten werden. Die konkreten Produkte sollen die Vertragspartner im Rahmen der Versorgungsverträge in Form eines Wirkstoffkataloges festlegen. Dabei sollen die Wirkstoffkataloge möglichst die Selektivvertragsbreite der gesetzlichen Krankenkassen abdecken, um die in der Regelversorgung geltenden Vorgaben (beispielsweise Bedienung von Rabattverträgen) auch in den notdienstpraxenversorgenden Apotheken zu ermöglichen. Durch Gewährleistung kurzer Überarbeitungsfristen der zu definierenden Wirkstoffkataloge zwischen den Vertragspartnern sollten Anpassungen an aktuelle Bedarfe sowie die Möglichkeit zur ergänzenden Bevorratung saisonaler Bedarfe ermöglicht werden. Eine im Versorgungsvertrag festzulegende Evaluation zu den ökonomischen Auswirkungen der gesetzlichen Regelungen sollte Rückschlüsse zum Versorgungsbedarf des jeweiligen INZ und somit eine regelhafte Anpassung bei Notwendigkeit ermöglichen.“
Zudem könne die Versorgung in den Zentren insbesondere durch den Einsatz von Telepharmazie und automatisierten Abgabeautomaten unterstützt werden, sofern Versorgungsverträge nicht zustande kommen: „Denn was in der vertragsärztlichen Praxis bereits möglich ist, sollte gleichermaßen auch für Apotheken gelten: Die Chancen der Telepharmazie könnten damit ressourcenschonend zur Sicherung einer hohen Versorgungsqualität genutzt werden und zur Entlastung beitragen.“
Die Anmerkungen der Kassen entsprechenden den Empfehlungen, die eine Expertenkommission der Bundesregierung im Februar 2023 zum Thema abgegeben hatte. Auf dieser Grundlage hatte das BMG unter der Führung von Karl Lauterbach (SPD) im vergangenen Jahr den ersten Entwurf für eine Notfallreform vorgelegt. Nachfolgerin Nina Warken (CDU) hat das Papier jetzt in vielen Punkten unverändert erneut vorgelegt; im Februar soll das Kabinett zustimmen. Die Bundesapothekerkammer (BAK) hatte in ihrer Stellungnahme ebenfalls Bedenken gegen die Pläne für INZ-Apotheken vorgetragen.