Eppendorfer Dialog

Blatt: „Das Thema Apotheken ist höchst emotional“

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Berlin -

Der demografische Wandel führt zu einer Belastung des Gesundheitssystems, sowohl in der Leistung als auch auf der finanziellen Seite. Wie lässt sich ein gerechtes und wirtschaftliches System erreichen? Darüber diskutierten Dr. Francesco De Meo (ehemals Helios), Michael Hennrich (Pharma Deutschland), Karin Maag (Gemeinsamer Bundesausschuss), Professor Dr. Achim Jogwick (Klinikum Nürnberg), Tino Sorge (Bundesgesundheitsministerium), Oliver Blatt (GKV-Spitzenverband) und Professor Dr. Boris Augurzky (Universität Duisburg-Essen) auf dem diesjährigen Eppendorfer Dialog.

Eine Möglichkeit könnte eine stärkere Eigenverantwortung sein – auch finanziell, zum Beispiel durch Zuzahlungen. Das sieht Blatt anders: Statt sofort über Eigenbeteiligung zu sprechen und somit den Patienten in die Verantwortung zu ziehen, müsse zunächst über die Steuerung gesprochen werden. Das viele Geld, das die Beitragszahler aufwenden, müsste besser eingesetzt werden, findet Blatt.

Zuzahlungen müssen gerecht bleiben

„Wir brauchen einen Plan, den wir der Bevölkerung klar erklären müssen“, erklärte Maag. Für 2026 und 2027 brauche es zunächst kurzfristige Maßnahmen, um dem System Luft zu verschaffen, dann kämen die Steuerungsmechanismen, die zusätzlich die Ambulantisierung vorantreiben sollten. Wenn der Bürger erkennen könne, dass das System unzureichend sei, aber gleichzeitig sehe, dass in allen Bereichen versucht werde, wieder wirtschaftlicher zu werden, dann könne man auch eine Zuzahlung diskutieren. „Aber das muss in den Augen der Bürger gerecht sein“, betonte sie.

Eine wichtige Maßnahme sei, bei den Patienten das Bewusstsein zu schaffen, was ihre Leistungen kosten, findet auch Hennrich. Maßnahmen, um diese Transparenz zu erreichen, dürften aber nicht in mehr Bürokratie ausarten. „Bürokratie macht unglücklich, das ist nicht nur im Krankenhaus, sondern überall“, pflichtete Augurzky bei. Außerdem binde Bürokratie Ressourcen, die eigentlich anderswo gebraucht würden. „Deshalb brauchen wir andere Vergütungsmodelle“, betonte er und nannte als Beispiel Regionalbudgets.

Positives Narrativ bei Reformen

Sorge verwies darauf, dass man in der Politik nicht einfach durchentscheiden könne, man brauche Kompromisse. Bei den Reformen müsse man ein positives Narrativ spinnen. Bei der Krankenhausreform bleibe bei den Leuten häufig nur hängen, dass Krankenhäuser schließen werden. Außerdem verwies er auf die Schwierigkeiten, die aus dem föderalen System entstehen: Die Länder hätten teils Mitspracherecht, der Bund könne nicht schnell in alles eingreifen.

„Sie haben sich eingemischt bei der Krankenhausreform, ganz massiv“, erwiderte De Meo. Der Bund habe Möglichkeiten, etwas auf den Weg zu bringen.

Maag gab zu bedenken, dass es in der Vergangenheit durchaus schon Versuche mit Regionalbudgets gegeben habe – teils mit Verbesserungen, teils mit Verschlechterung in bestimmten Bereichen. „Jedes System muss in der Breite als fair wahrgenommen werden“, warf Jogwick ein. Man wisse, dass die Finanzierung aus dem Ruder laufe, wenn das Modell so weitergeführt werde.

„Auch bei den Leistungserbringern sparen“

Das Solidarsystem habe immer einen Umverteilungspunkt, betonte Blatt. Würde mit Eigenanteilen gesteuert werden, würde derjenige, der nicht zum Arzt gehen muss, anders belastet werden als der, der es muss. Er plädierte dafür, dass auch auf der Seite der Leistungserbringer und Arzneimittel etwas getan werden müsse. Trotz der steigenden Kosten sei es schwierig, die Diskussion mit allen Beteiligten zu führen, um auch diese an den Einsparungen zu beteiligen. Auch das ganze Thema Apotheken sei hoch emotional, führte er an: „Wir haben einen Handlungsdruck, wir können uns nicht immer nur auf den armen Patienten fokussieren.“ Was es jetzt brauche, sei eine einnahmenorientierte Ausgabenpolitik, forderte Blatt.

„Wir können nicht immer für einen Einzelfall alles infrage stellen“, erwiderte Augurzky. Man könne Eigenbeiträge nicht verwerfen, weil es auch chronisch Kranke gebe, dann müsse man es eben für alle anderen aufsetzen. Auch die Älteren müssten mehr belastet werden, es könne nicht alles auf den Jüngeren lasten.

Ein Regionalbudget könnte auch an Kriterien gebunden sein: Bei Unterversorgung, könnten Regeln beispielsweise angepasst werden. „Man kann im System alles machen, man muss eben gucken, ob man ein Gesamtpaket hinbekommt“, gab Sorge zu bedenken. Er verwies erneut auf die Problematik mit den Ländern. Blatt entgegnete: „Notfallversorgung, Thema Patientensteuerung – da würde ich meine Energie darauf verwenden und nicht auf Regionalbudgets.“

Auch Hennrich sieht Regionalbudgets kritisch. Diese setzten Kooperation voraus. „Wir brauchen kurzfristig greifende Maßnahmen, dafür gibt es genug Vorschläge, die auf dem Tisch liegen“, erklärt Blatt.

„Der Weg steht doch!“

Maag betonte zum Abschluss, dass politisch bereits viel geschehen sei. Man sei mit der Krankenhausreform von der Bettenplanung weggekommen hin zu Bedarf. Das Parlament sei dabei, Maßnahmen zu erarbeiten, um die Patienten in die richtige Versorgung zu steuern. Ein Viertel der Behandlungstage könnte eingespart werden. „Der Weg steht doch“, betont sie.

Es gebe Lösungen, erklärte auch Sorge. Partikularinteressen torpedierten allerdings kurzfristige Lösungen. Und dann gehe es um mittelfristige Maßnahmen: Was ist sinnvoll, was ist machbar? Bis man die Verbesserung spüre, müsse man die Menschen mitnehmen. „Wie kompromissfähig sind die Akteure und wie nehmen wir den Bürger mit?“ Aber wenn nur Streit wahrgenommen wird, wird das nicht funktionieren, betonte Sorge.

Statt Sparmaßnahmen plädierte Hennrich dafür, mehr Geld über eine Tabak-, Zucker- und Alkoholsteuer zu generieren. Kurzfristig könnte man das System zudem entlasten, indem man die Bürgergeldempfänger herausnimmt.

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