Medikationschecks

Uni testet Super-Software für Ärzte

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Berlin -

Medikationschecks sind das große Thema in Sachen Arzneimittelsicherheit. Die Apotheker würden gerne alle Verordnungen und OTC-Käufe systematisch überprüfen; die Ärzte wollen die Hoheit nicht aus der Hand geben. Mediziner der Universität Witten/Herdecke (UW/H) testen jetzt in vier EU-Ländern eine neue Software, die in der Arztpraxis Vorschläge macht, welche Medikamente entbehrlich oder gar schädlich sind.

Für eine Vorabstudie hatten die Wissenschaftler von der Privathochschule 22 niedergelassene Ärzte gebeten, bei den nächsten zehn Patienten, die mehr als fünf Medikamente nehmen, die gesamte Medikation samt Indikation sowie verschiedene klinische Informationen zu protokollieren.

Ergebnis: Die 169 Patienten erhielten im Durchschnitt neun verschiedene Medikamente pro Tag. Jedes dritte Arzneimittel wurde ohne „Evidenzbasis“ verschrieben – also ohne dass es einen wissenschaftlichen Nachweis für den Nutzen gab.

Bei mehr als 90 Prozent der Patienten ließ sich mindestens eine Verordnung wissenschaftlich nicht begründen; das Mittel lag bei 2,7 fraglichen Medikamenten pro Patient. Außerdem wurden Dosierungsfehler (56 Prozent) und relevante Interaktionen (59 Prozent) festgestellt. 37 Prozent der über 65-Jährigen erhielten Medikamente, die bei alten Menschen nicht verordnet werden sollten.

Studienleiter Professor Dr. Andreas Sönnichsen geht davon aus, dass die Zahlen in Wirklichkeit noch gravierender sind: „Die Hausärzte fühlen sich überfordert. Wie sollen sie die langen Medikationslisten, mit denen Patienten aus der Klinik entlassen werden oder von verschiedenen Fachärzten zurückkommen, kritisch durchforsten? Wie sollen sie entscheiden, welches Medikament wirklich erforderlich ist?“

Gemeinsam mit dem finnischen Ärztefachverlag Duodecim hat Sönnichsen in den vergangenen Jahren die Grundlagen für eine Software herausgearbeitet, die den niedergelassenen Ärzten im Alltag helfen soll. Überprüft wird auf Evidenzbasis der Verordnungen sowie Dosierungen und Interaktionen. Dabei werden neben Alter und Gesamtmedikation auch Diagnosen, Laborwerte und Begleiterkrankungen berücksichtigt. Im Zweifelsfall bekommt der Arzt einen Hinweis, ein Medikament abzusetzen oder die Indikation zu prüfen.

Im Vorfeld wurden vorhandene Studien systematisch ausgewertet, gerade auch was die Evidenzlage speziell für den Einsatz bei älteren Patienten angeht. Zugute kam dem Mediziner, dass er seit Jahren die sogenannten EbM-Guidlines herausgibt, die sich genau mit solchen Praxisfragen beschäftigen.

Im kommenden Jahr wollen die Mediziner ihre Software in vier Ländern testen: Interessierte Medziner können sich bei den Studienzentren in Witten und Rostock sowie in Salzburg, Bozen und Manchester melden. Sönnichsen hofft, dass 60 bis 70 Ärzte pro Standort zusammenkommen.

Nach der Rekrutierung der Ärzte sollen Patienten angesprochen werden; der Studienleiter hofft, dass es ab April oder Mai losgehen kann. Nach einer Beobachtungszeit von zwei Jahren soll der Nutzen einer solchen Entscheidungshilfe wissenschaftlich belegt werden: Als primäre Endpunkte sollen die Effekte auf Mortalität und Hospitalisierung dienen.

Wenn es gut läuft, sollen danach Schnittstellen zur Ärzte-EDV eingerichtet und mit der kommerziellen Vermarktung begonnen werden.

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