Senioren

Apothekenbesuch als „soziales Event“

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Berlin -

Deutschland wird älter. Von der demografischen Entwicklung profitieren auch die Apotheker. Die ehemalige Gesundheitsministerin und Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO), Professor Dr. Ursula Lehr, fordert die Pharmazeuten auf, sich an die speziellen Bedürfnisse dieser wachsenden Zielgruppe anzupassen.

Aus Sicht von Lehr werden ältere Menschen als Kundschaft künftig überwiegen. Das liegt unter anderem daran, dass es mehr von ihnen geben wird: Der Anteil der über 60-Jährigen wird bis 2025 auf 33,2 Prozent steigen, der Anteil der über 80-Jährigen auf 7,4 Prozent.

Auf einen über 75-Jährigen kamen laut Statistischem Bundesamt (Destatis) im Jahr 1890 insgesamt 79 Jüngere. 1925 waren es noch 67, 1950 dann 35 und 2010 knapp zehn. Prognosen zufolge kommen 2050 auf einen über 75-Jährigen vier Jüngere – einer unter 20 Jahren sowie jeweils einer zwischen 20 und 40, 40 und 60 sowie 60 und 75 Jahren.

Aber Lehr sieht weitere Gründe, warum Ältere zunehmend zu den Hauptkunden der Apotheken werden: Sie brauchen mehr Medikamente, kaufen seltener im Internet, sind mehr auf Beratung angewiesen, haben eher eine Stammapotheke und suchen stärker den persönlichen Kontakt. Der Einkauf in der Apotheke sei für sie ein „soziales Event“, so die 85-Jährige beim „Zukunftskongress öffentliche Apotheke“ des Apothekerverbands Nordrhein.

Lehr forderte die Apotheker auf, ihre Vorteile gegenüber Versandapotheken auszuspielen: „Sie müssen wirklich einen Zusatz bringen, denn die Jüngeren bestellen bereits online.“ In einer BAGSO-Umfrage aus dem Jahr 2012 hatten 18 Prozent der durchschnittlich 63,4 Jahre alten Teilnehmer angegeben, Arzneimittel über Post, Fax oder Telefon bei einer Versandapotheke oder direkt über das Internet zu bestellen.

Wie sich Apotheken auf Senioren einstellen können, erklärte Lehr mit Blick auf eine BAGSO-Umfrage. Demnach wünschen sich Ältere vor allem eine umfassende Beratung, Barrierefreiheit, seniorengerechte Ausstattung, weiterführende Informationen, besonderen Service und Mitarbeiterqualifikation.

„Besonders ältere Menschen benötigen Informationen über mögliche Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Unverträglichkeiten ihrer Medikamente“, so Lehr. Um Einnahmefehler zu vermeiden, sei eine gute Beratung unerlässlich und damit Hauptaufgabe des Apothekers und des übrigen Apothekenpersonals. Die Beratung sollte auch über das Arzneimittel hinausgehen: Senioren freuten sich etwa über Informationen zu Möglichkeiten der Kurzzeitpflege, Selbsthilfegruppen, Präventionsveranstaltungen sowie Angeboten zu Bewegung und Sport.

Zur Barrierefreiheit gehören für Lehr etwa die Nähe zur Wohnung oder zumindest Bushaltestelle beziehungsweise ein Parkplatz. Der Weg zur Apotheke sollte nicht über Kopfsteinpflaster führen und keine Stufen beinhalten, so die BAGSO-Präsidentin mit Blick auf Gehstöcke und Rollatoren. Die Türen der Apotheke sollten leicht zu öffnen und die Räume hell beleuchtet sein.

Mit einer seniorengerechten Ausstattung kann eine Apotheke Älteren das Leben leichter machen: Viele wünschen sich einen abgegrenzten Beratungsbereich, rutschfeste Böden und hohe Sitzgelegenheiten mit einer Armlehne als Aufstehhilfe. Auch eine Ablage für die Tasche oder ein Gehstock-Halter am HV-Tisch brächten Erleichterung, so Lehr. Darüber hinaus freuen sich Senioren über eine leserliche Beschriftung der Preisschilder und im besten Fall ein Kunden-WC. Pluspunkte könne eine Apotheke außerdem mit Seniorenratgebern, Rätselzeitschriften oder einer Blutdruckmessung sammeln.

Auch die Hersteller müssten sich Lehrs Meinung nach mehr auf Senioren einstellen: Sie kritisierte, dass Arzneimittel oft nur an Personen – meist Männern – mittleren Alters getestet würden. Außerdem sei die Verpackung der Medikamente oft nicht „seniorengerecht“. „Da gibt es Medikamente in Flaschen, deren Schraubverschluss man erst kräftig zusammendrücken und dann kompliziert hochdrehen muss – die sind nicht nur 'kindersicher' sondern 'altensicher'.“

Bei manchen Blistern lasse sich die Tablette nur unter Zuhilfenahme beider Daumen aus der Silberfolie lösen, und die Verpackung mancher Wundpflaster sei so schwierig, dass man sie kaum öffnen könne, wenn man sich in den Finger geschnitten habe und das Pflaster brauche. Kleine Tabletten müssten halbiert oder sogar geviertelt werden – mit Rheumafingern kaum möglich. Der lange Beipackzettel in kleiner Schrift sei nur ein weiteres Problem. Positiv fällt es den Senioren auf, wenn die Apotheke die Packungsbeilage noch einmal in großer Schrift ausdruckt.

Zum Problem wird aus Sicht von Lehr besonders die Versorgung älterer Menschen auf dem Land. Junge Menschen wanderten ab und ganze Gebiete würden sich rückentwickeln. Arztpraxen würden aufgegeben und Apotheken geschlossen. Ältere müssten weitere Wege zurücklegen, gleichzeitig werde aber der öffentliche Nahverkehr eingeschränkt. Der fehlende Arztkontakt könne zu einem weiteren Bevölkerungsrückgang führen, wenn „junge Alte“ abwanderten.

Die Telemedizin kann Lehr zufolge ein Mittel sein, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Allerdings würden neue Technologien oft noch nicht akzeptiert, zudem fehlten die nötigen Organisationsstrukturen. Die Telemedizin sollte ohnehin nur ergänzend eingesetzt werden, meint Lehr: „Man sollte den persönlichen Kontakt nicht unterschätzen“, warnte sie. „Patienten wollen ihre Probleme besprechen.“ Je weniger Ärzte es gebe, umso stärker seien daher die Apotheken als Berater gefordert.

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