Mit dem Medizinforschungsgesetz (MFG) haben Hersteller patentgeschützter Arzneimittel die Möglichkeit bekommen, vertrauliche Erstattungsbeträge für neue Wirkstoffe zu vereinbaren. Nun hat das erste Unternehmen diese Möglichkeit in die Praxis umgesetzt: Der US-Pharmakonzern Lilly hat in einem Schreiben angekündigt, einen geheimen Erstattungspreis für das Abnehm- und Diabetespräparat Mounjaro zu vereinbaren.
Bereits während des Gesetzgebungsprozesses stießen die vertraulichen Erstattungspreise auf heftige Kritik. Insbesondere die Krankenkassen warnten, dass sie zu mehr Bürokratie und weniger Transparenz führen würden. Zudem sei es Ärzt:innen kaum möglich, bei Verordnungen das Wirtschaftlichkeitsgebot zu berücksichtigen. Der GKV-Spitzenverband sprach von einem „Geschenk für Gewinnsteigerungen“ für die Pharmaindustrie.
Lilly hatte sich massiv für die Einführung der vertraulichen Preise eingesetzt – und laut Recherchen von WDR, NDR, der Süddeutschen Zeitung und der Journalismuskooperative Investigate Europe Investitionen in Rheinland-Pfalz daran geknüpft. Trotz Kritik und interner Warnungen hielt der damalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) an der Regelung fest.
Nun ist ausgerechnet Lilly der erste Konzern, der vertrauliche Erstattungspreise verhandelt hat: „Lilly hat mit dem GKV-Spitzenverband als erstes Unternehmen in Deutschland nach dem neuen Medizinforschungsgesetz (MFG) einen Preis verhandelt, der wirtschaftlich ist und der nicht veröffentlicht wird“, heißt es in dem Schreiben des Konzerns. Lilly habe diese Möglichkeit genutzt, damit Mounjaro als „erster und einziger dualer GIP/GLP-1 Rezeptor-Agonist“ in Deutschland verfügbar bleibe, so die Begründung.
Wenn ein Präparat auf den Markt kommt, bewertet das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), wie groß der Zusatznutzen im Vergleich zu anderen Präparaten ist. Bei Mounjaro, beziehungsweise dem Wirkstoff Tirzepatid, konnte das IQWiG in seiner Prüfung vom Februar bei keiner der acht Patientengruppen einen Zusatznutzen feststellen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) kam im April nun für eine der acht Patientengruppen zu dem Ergebnis eines geringen Zusatznutzens.
In dem Schreiben an die Ärzt:innen schlägt der Konzern aber andere Töne an: Mounjaro zeige in der Therapie des Diabetes Mellitus Typ 2 „außergewöhnlich positive Studiendaten gegenüber Vergleichstherapien.“ So habe Mounjaro in Zulassungsstudien bei einem Teil der Patient:innen mit Typ-2-Diabetes zu einer deutlichen Gewichtsabnahme geführt – bei 37 Prozent sogar unter die Schwelle einer Adipositasdefinition. Das Unternehmen rechnet daraus folgend mit potenziellen Einsparungen im Gesundheitswesen in Höhe von rund 1,8 Milliarden Euro jährlich.
Wie viel die gesetzlichen Krankenkassen künftig tatsächlich für Mounjaro zahlen, bleibt unklar. Durch die neue Regelung zu vertraulichen Erstattungspreisen darf der ausgehandelte Betrag nicht veröffentlicht werden. Auch Ärzt:innen und andere Beteiligte im Gesundheitswesen haben damit keine Möglichkeit mehr, den Preis mit anderen Therapien zu vergleichen oder Aussagen zur Wirtschaftlichkeit zu treffen.
Im Schreiben an die Ärzt:innen betont Lilly jedoch, dass die gesetzlichen Krankenkassen entlastet würden. Demnach gewährt der Konzern zusätzlich zum bereits ausgehandelten Erstattungsbetrag einen weiteren Rabatt in Höhe von 9 Prozent. „Das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Mounjaro zur Behandlung von Patienten mit Typ-2-Diabetes wird durch diesen zusätzlichen Rabatt noch einmal deutlich verbessert“, heißt es in dem Schreiben.
In seinem Schreiben erklärt der Konzern: „Die Option auf vertrauliche Erstattungsbeträge unterstützt dabei die Intention des Gesetzgebers, einerseits den pharmazeutischen Unternehmen mehr Verhandlungsspielraum zu geben, ohne damit Preisstellungen in anderen Ländern zu beeinflussen.“ So kann Lilly höhere Listenpreise im Ausland aufrechterhalten. Die jüngsten politischen Diskussionen zur transatlantischen Preisbildung im Pharmamarkt hätten hierbei die Entscheidung von Lilly maßgeblich beeinflusst, heißt es weiter.