Apotheken und Arztpraxen haben bundesweit Probleme beim Bearbeiten und Ausstellen von E-Rezepten. Die Störung beim VPN-Zugangsdienst (Virtual Private Network) von Arvato Systems Digital stellt die Betriebe vor immense Herausforderungen. Dementsprechend schlecht ist die Stimmung in der Offizin: „Schöne neue Welt. So langsam sehnt man sich fast nach der erlösenden Insolvenz“, heißt es aus einer Apotheke.
Seit dem frühen Morgen gibt es Einschränkungen bei der Telematikinfrastruktur (TI). Betroffen sind Apotheken, die über Arvato verbunden sind. Doch auch Betriebe, die über die aktiven Dienste von T-Systems oder CompuGroup Medical (CGM) angeschlossen sind, spüren die Ausfälle, denn mitunter bleiben die Kund:innen weg, weil ihre Arztpraxen keine E-Rezepte ausstellen können.
Viele Inhaberinnen und Inhaber berichten über Totalausfälle. „Hier geht nichts“, lautet der Tenor. Die Bertelsmann-Tochter sei bereits in der Analyse, um die Ursache schnellstmöglich zu beheben, heißt es von der Gematik – doch wann das Problem gelöst sein wird, ist nicht bekannt.
Dementsprechend erhitzt sind die Gemüter der Angestellten in der Apotheke. „Wir müssen doch Geld verdienen“, sagt eine Inhaberin aus Rheinland-Pfalz. Die TI mache wirklich Probleme: In den vergangenen Wochen sei das System drei bis vier Mal ausgefallen. „Sind Amazon oder eine Versandapotheke schon einmal komplett ausgefallen?“, fragt sie sich. Die Standesorganisationen müssten sich dieses Themas zwingend annehmen.
In einer anderen Apotheke ist der Frust ebenfalls groß: „Heute ist wieder alles kaputt“, sagt ein kaufmännischer Angestellter. „Kein E-Rezept, keine EC-Zahlungen und Personal mit Nervenzusammenbrüchen.“
Inhaberin Ulrike Mayr aus Homburg ist sauer: „Bei uns ist das Chaos perfekt. Es ist ein Super-Gau. Seit 7 Uhr geht nichts mehr und wir haben zwischen 7 und 8 Uhr ‚Höchstkampfzeit‘.“ Das System sei dazu geeignet, die Vor-Ort-Apotheke komplett zu zerstören. Laut Mayr ist ein zentrales Problem, dass die Kundschaft, die kein E-Rezept einlösen könne, auch keine OTC-Käufe tätige. Böse Kommentare belasteten das Personal. „Die weinen deshalb.“ Eine Mitarbeiterin habe angekündigt, die Branche deshalb zu wechseln.
Die Gematik müsse die Kosten für das Personal übernehmen, fordert Mayr, denn bei ihr stünden jetzt zehn Angestellte und drehten Däumchen. In all ihren vier Apotheken sei das System gestört. Die Politik müsse Verantwortung übernehmen, denn man dürfe ein solches System erst auf den Markt bringen, wenn es funktioniere.
Eine Inhaberin aus Sachsen berichtet, dass deutlich weniger Kundschaft komme, im Schnitt zwischen 150 und 200 pro Tag. Bei denen, die heute nicht in der Offizin bedient werden könnten, sei unklar, ob sie morgen wiederkämen. Ein genauer Verlust lasse sich deshalb schwer definieren.
Sie informiert per Aushang über die Störung: „Nutzer althergebrachter Technologie (rotes Papierrezept) sind davon nicht betroffen, diese können weiterhin problemlos bearbeitet werden“, heißt es darin. Zudem gibt es Kritik an der Umsetzung des E-Rezepts: „Wir informieren Sie, wenn die Störung behoben wurde. Wir bedauern diese Entwicklung sehr, aber weder wir noch die Berufskollegen in den anderen Apotheken sind verantwortlich für dieses Vollversagen der Bundesregierung, die durch den Zwang zum E-Rezept als halbfertiges Produkt die volle Verantwortung trägt.“
Bei anderen Ausfällen habe man jedoch schon eine Folgeproblem erkannt: Wenn die Kundinnen und Kunden tatsächlich am nächsten Tag wiederkämen, sei es oft eine „doppelte Arbeitsbelastung“ für das Team, das auf den Ansturm personell nicht ausgerichtet sei. Dadurch gebe es wieder Frust für die Kundschaft, die dann mitunter eine Viertelstunde warten müsse. „Heute kann ich den Leuten nichts verkaufen und morgen stehen sie bis zur Tür. Die Kunden sind genervt, obwohl die Apotheke nichts dafür kann.“