Ruf nach Apothekenprotesten

Overwiening: „Haben nichts mehr zu verlieren“

, Uhr aktualisiert am 03.12.2025 13:08 Uhr
Berlin -

Wie seit gefühlten Ewigkeiten fällt die politische Bestandsaufnahme der Apothekerschaft auch in diesem Jahr ernüchternd aus. „Bereits seit 20 Jahren in Folge sinkt die Apothekenzahl in Deutschland“, betonte Gabriele von Elsenau Overwiening, Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, bei der Kammerversammlung in Münster. Dabei habe man nach den Wahlen noch Hoffnung geschöpft – wegen der Punkte zu den Apotheken im Koalitionsvertrag. Doch die Regierung breche in dem Entwurf zum Apotheken-Versorgungsverbesserungsgesetz (ApoVWG) klar die Versprechen im Koalitionsvertrag.

Die Apotheken wurden im Koalitionsvertrag explizit bedacht: Fixumserhöhung von 9,50 Euro, bis zu 11 Euro für ländliche Apotheken, Abschaffung der Nullretax bei Formfehlern, Rücknahme des Skontoverbots. „Das haben wir als Zukunftsversprechen der Politik an die Apotheken wahrgenommen“, betonte Overwiening. Nur einen Satz müsse man umstellen: „Den Apothekerberuf entwickeln wir zu einem Heilberuf weiter“, sei falsch, korrekt müsse es heißen: „Wir entwickeln den Heilberuf des Apothekers weiter.“

Doch im Ergebnis sehe die Sache anders aus: Auf dem diesjährigen Deutschen Apothekertag (DAT) habe man ein Déjà-vu erlebt. „Wir als Apothekerschaft haben einen Murmeltiertag erlebt“, erklärte Overwiening. Nina Warken (CDU) sei zwar persönlich anwesend gewesen – im Gegensatz zu ihrem Vorgänger. „Das kannte die Apothekerschaft leider nicht mehr und war verblendet“, so Overwiening. Dabei habe Warken genau dasselbe „Albtraumlied“ angestimmt wie ihr Vorgänger: Eine Honoraranpassung gibt es nicht, stattdessen habe das Bundesgesundheitsministerium (BMG) das Projekt „Apotheke ohne Apotheker“ erneut eingeplant.

Anschließend sei ein Referentenentwurf im Oktober vorgelegt worden, der „noch alle unsere Befürchtungen übersteigt“. Und im Hinblick auf das Versprechen im Koalitionsvertrag müsse man ganz deutlich sagen, dass der Referentenentwurf die Ziele in Bezug auf Apotheken und Versorgung vor Ort „voll verfehlt“, betonte Overwiening. Allerdings wisse man nicht, ob es gut gemeint und schlecht gemacht oder vorsätzlich sei.

„Vertragsbruch“ bei der Fixumserhöhung

Die Präsidentin kritisierte, dass der Entwurf klare „Vertragsbrüche“ mit dem Koalitionsvertrag aufweise. Der erste klare Bruch sei die verschobene Fixumserhöhung. „Es steht explizit drin, expliziter geht es nicht“, so Overwiening. Eine Koalition schreibe die 9,50 Euro nicht fest rein, weil ihr die Argumente fehlten, sondern weil sie es für wichtig und richtig erachte. Seit 2013 sei man von jeder Kostenentwicklung abgekoppelt.

„Das Versprechen ist gebrochen, und wir werden das nicht akzeptieren“, betonte Overwiening. „Wir verlieren Apotheken vor Ort, wir verlieren Arbeitsplätze, wir verlieren soziale Infrastruktur, und die Patienten verlieren ihre unabhängige, sichere Versorgung vor Ort.“ Da müsse sich doch niemand mehr fragen, warum Bürger politikverdrossen seien, wenn die Politik ständig Versprechen breche.

In Westfalen-Lippe zählte man Ende 2024 noch 1654 Apotheken, heute seien es 1628. Bis Ende des Jahres seien weitere 16 Schließungen angekündigt, und auch im ersten Quartal 2026 würden weitere zwölf Standorte schließen. „Wir haben jetzt den niedrigsten Apothekenstand seit 60 Jahren“, so Overwiening.

Man habe bei der Einführung des Fixums keine Dynamisierung mitgedacht, kritisierte sie. Die Politik wolle die Verantwortung nicht, weil es sonst heiße, man gebe den Apothekern einfach mehr Geld, und ihr vermeintliche Klientelpolitik vorgeworfen werde. Das sei bei den Ärzten anders, da werde separat für GKV und PKV verhandelt. „Das geht bei uns aber nicht“, erklärte sie. „Wir brauchen ja die Gleichpreisigkeit, also brauche ich ein Gesetz, wo drinsteht, was das Arzneimittel kostet.“

Mangelhafte Verhandlungslösung

Die Verhandlungslösung sei gut gedacht, aber im Entwurf „grottenschlecht“ gemacht. Was es brauche, sei keine „regelmäßige Überprüfung“, sondern eine jährliche. Es brauche zudem keine Schiedsperson, sondern eine verlässliche Schiedstelle. Es dürfe außerdem nicht sein, dass es um ein Sammelsurium des Honorars ginge – „es geht hier ums Fixum und Punkt“, stellte sie klar. Außerdem müsse das Ergebnis verbindlich sein und nicht unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen. „Glauben Sie, dass die GKV in den nächsten 20 Jahren irgendwann in eine Situation kommt, wo die sagen: Wir haben so viel. Wer braucht denn was?“ Das sei eine „Mogelpackung“.

Apotheke ohne Apotheker

In der vergangenen Legislatur habe die CDU massiv mit der Apothekerschaft gegen die Apotheke ohne Apotheker gekämpft. Nun seien die Fürsprecher in der Regierungsverantwortung. Tino Sorge, Dr. Georg Kippels (beide CDU) seien nun Staatssekretäre, und plötzlich sollen sie keinen Einfluss mehr auf die Ministerin haben. Dabei komme die Ministerin selbst doch auch von der CDU. „Ich verstehe es nicht. Wir haben drei Jahre zusammen gekämpft für die Apotheke mit Apotheker“, erklärte Overwiening.

Jeder sei sich darüber im Klaren, dass die Antworten auf den demografischen Wandel nur mit einer gut ausgestatteten Vollapotheke gelingen könne, die zusätzliche Aufgaben übernehme. „Jetzt sind wir bei einem unanständigen Angebot“.

Der Apotheker habe mit seinem speziellen Studium, mit seiner speziellen Ausbildung mit Staatsexamen und der entsprechenden staatlichen Approbation eine solche Expertise belegt, die außergewöhnlich sei. Zusätzlich hafteten die Inhaber bis in ihr privates Vermögen, weil sie die ungeteilte Verantwortung und Leitung permanent für dieses gesamte Konstrukt Apotheke vor Ort hätten.

„Und wenn man bis ins persönliche Vermögen haftet, plus die Expertise, plus die ungeteilte Leitung, dann ist man kein normaler Kaufmann. Dann ist es legitim, dass nur diese Berufsgruppe Arzneimittel abgeben darf“, betonte Overwiening. Auch Studenten seien sich nicht mehr sicher, ob sie Pharmazie studieren sollten, wenn ihr Beruf entwertet werde. Im Hinblick auf die Menschen in Deutschland sei es zudem eine Bagatellisierung der Arzneimittelversorgung.

„Wir werden in dieser Legislatur genauso hart gegen die Apotheke ohne Apotheker kämpfen, wie wir es in der letzten gemacht haben“, versprach sie.

„Verzwergung der Apotheke“

Viele Elemente des Entwurfs führten in Summe zu einer Verzwergung der Apotheke, dazu gehörten die Zweigapotheken oder die Filialapotheken ohne Labor. Dadurch werde auch die Resilienz nicht gesteigert. Es brauche die vollständige Versorgung in der Fläche. Ein solches „Downgrading“ der Apotheke mache die Versorgung in der Fläche löchrig. „Es ist eine radikale Schwächung der Apotheke“, erklärt Overwiening.

Am 17. Dezember solle nun diese Reform ins Kabinett. Bis dahin müsse man Gespräche mit Politikern der CDU und SPD führen und sensibilisieren. „Tun Sie das“, appelliert Overwiening. Das Parlament wolle diese Reform nicht, teilweise wüssten die Abgeordneten nicht Bescheid. Auch die Unterstützung des Landes NRW müsse gesucht werden.

„Wenn die Sprengsätze bleiben, dann werden wir kämpfen, denn dann haben wir nichts mehr zu verlieren“, verspricht Overwining.

„Zweitgleisig Fahren“

In der Diskussion meldete sich unter anderem Apotheker Michael Beckmann zu Wort. Zwar sei alles, was die Präsidentin in ihrem Vortrag angesprochen habe, richtig, „bis auf den Punkt, wo es darum geht, wie wir jetzt so weitermachen. Aus meiner Sicht müssen wir doch dazulernen“, erklärte er.

Man sei immer der Berufsstand mit den richtigen Argumenten – und diese Argumente müsse eigentlich auch jeder verstehen. „Das tragen wir als Mantra-mäßig vor uns her. Trotzdem ist, was die Vergütung angeht, seit 20 Jahren nichts passiert. Das zeigt doch, dass wir mit unserer Strategie zumindest noch nicht vollumfänglich richtig auf dem Weg sind“, kritisierte er.

Man müsse sich anschauen, wie andere Berufsgruppen ihre Interessen durchsetzen. Als Beispiel nannte er die Piloten: Auch die Piloten seien eine Berufsgruppe, über die man nicht sagte, dass sie am Hungertuch nagen. Trotzdem würden die Piloten regelmäßig für ihre Vergütung streiken. Zunächst mal an einem langen Wochenende – zur Not aber auch mal in den Sommerferien eine Woche, obwohl da die Bevölkerung gerne in den Urlaub fliegen möchte.

„Und wir, wir können das immer nicht“, erklärt er. Die Apothekerschaft würde stets argumentieren, dass man die Patienten doch nicht vor geschlossenen Türen stehen lassen könne.

„Wir müssen doch irgendwann erkennen, dass Politik leider auf unterschiedlichen Kanälen angesprochen werden muss.“ Das seien zum einen die Argumente, zum anderen aber auch parallel andere Zeichen. Es könne nicht sein, dass man noch nicht wisse, wie es nach dem 17. Dezember weiter ginge. „Postkarten schicken, Mittwochnachmittags zwischen 13 Uhr und 13.05 Uhr das Licht ausmachen?“ Es brauche jetzt schon eine Planung, und der Politik müsse auch jetzt schon signalisiert werden, dass Reaktionen folgen werden. „Ich glaube, wir brauchen eine zweigleisige Strategie, und diese brauchen wir möglichst schnell.“

Overwiening verteidigte Warkens Zeitplan: „Wenn wir aber heute hergehen und sie massiv beschädigen, warum sollte sie dann noch irgendetwas ändern? Ich würde ihr bis zum 17. unterstellen wollen, dass sie etwas Gutes will.“ Vor diesem Hintergrund sei die Zweiteilung – vor dem 17. und nach dem 17. Dezember – gerechtfertigt.

„Das Geld ist da“

„‚Es ist kein Geld da‘ – stimmt de facto schlicht nicht“, ergänzte Dr. Hannes Müller in der Diskussion. Seit 2010 hätte die GKV einen Einnahmenzuwachs von rund 145 Milliarden Euro gehabt. Die Apothekenvergütung sei in diesen 15 Jahren um 1,5 Milliarden Euro gestiegen. Die Apothekerschaft habe nur 1 Prozent der Einnahmensteigerung der GKV bekommen; 99 Prozent seien an andere Leistungserbringer und Sektoren geflossen. „Es ist genug Geld im System da. Es fehlt nur der politische Wille, es uns zu geben“, betonte er.

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