Franziska Martens führt die einzige Apotheke der Landstadt Neukalen in Mecklenburg-Vorpommern. Seit zehn Jahren versorgt sie die rund 1600 Einwohnerinnen und Einwohner – auch mit Inkontinenzhilfen. Doch Versicherten der AOK Nordost steht das Aus bevor: Die Kasse kündigte den Vertrag einseitig und stellt neue Anforderungen, die für die kleine Landapotheke nicht zu erfüllen sind. „Ab dem 1. Oktober dürfen wir unsere Patienten nicht mehr beliefern, weil wir die Anforderungen des neuen Vertrags nicht mehr erfüllen können – und auch gar nicht sollen“, sagt Martens.
Bislang erhielt sie für die komplette monatliche Versorgung eines Versicherten der AOK Nordost einen Betrag von 28,50 Euro brutto, nun sollen es nur noch 19,16 Euro sein – bei massiv gestiegenen Anforderungen.
Zum Leistungsangebot zählen laut „Vertrag über die Versorgung mit Hilfsmitteln der PG 15 des Hilfsmittelverzeichnisses (Teilsegment: saugende Inkontinenzhilfen)“ unter anderem eine kostenfreie Lieferung frei Haus, eine ausführliche Beratung mit Dokumentation, mindestens zwei aufzahlungsfreie Produktalternativen, mindestens fünf qualifizierte Medizinprodukteberater im Unternehmen sowie jederzeitige Erreichbarkeit und Rückmeldungen an Ärzte und Pflege. Für einen kleinen Betrieb sei das schlicht nicht leistbar, erklärt die Inhaberin.
Martens war schockiert, als sie das Schreiben erhielt. „Bislang war die AOK Nordost in puncto Leistung die beste Krankenkasse, was die Inkontinenzversorgung betrifft. Aber bei diesen Versorgungs-Anforderungen sind mir die Hände gebunden. Das ist eine Leistungskürzung, damit kann man rechnen.“
Zunächst dachte Martens, sie könne die geforderte Medizinprodukte-Facharbeiterausbildung machen, sich zertifizieren zu lassen und so ihre AOK Nordost-Versicherten weiter beliefern. „Ich brauche allerdings mindestens fünf geschulte Mitarbeiter für die Inkontinenzversorgung. Die kann ich für meine kleine Apotheke nicht einstellen. Ich arbeite mit zwei Teilzeitangestellten, von denen eine im HV ist. Das geht nicht.“ Damit nicht genug: Laut Vertrag sind die Mitarbeitenden „mindestens einmal im Jahr fort- und weiterzubilden“ und sollen bereits eine einjährige Erfahrung in diesem Feld mitbringen.
„Es fing mit der IKK an, zum Glück habe ich da nicht viele Patienten“, sagt Martens. „Aber mit der AOK ist es jetzt wirklich hart. Ich habe rund 60 Patienten, die dort versichert sind. Es läuft darauf hinaus, dass diese Menschen woanders ihre Hilfsmittel herbekommen – das ist auch so gewollt“, schätzt die Inhaberin.
Eine Rückmeldung habe sie der Kasse noch nicht gegeben. „Ich muss erst das Gespräch mit meinen Patienten suchen.“ Sie habe ein Schreiben vorbereitet, um die Versicherten zu informieren und der Kasse zuvorzukommen. „Nachher sieht es so aus, als möchte ich dem Vertrag nicht beitreten und meine Kunden nicht mehr versorgen.“ Fakt ist laut der Inhaberin aber: „Wir stehen zu zweit am HV, ich kämpfe hier jeden Tag, seit zehn Jahren haben wir die Versorgung vor Ort sichergestellt. Jetzt auf einmal soll ich fünf Mitarbeiter haben, um Inkontinenzmaterialien abzugeben.“
Mit dem Schreiben will sie ihre Kundschaft nicht nur informieren. „Jeden Patienten, der jetzt monatlich kommt und seine Sachen abholt, informiere ich persönlich und empfehle ihm, sich bis Oktober einzudecken. Dann ist Schluss.“ Die rund 60 Patientinnen und Patienten, die bisher nah, persönlich und individuell versorgt worden seien, müssten sich nun an große Versender wenden – „mit Callcenter und Paketdienst statt mit Ansprechpartnern vor Ort.“
Viele davon seien hochbetagt, schwer pflegebedürftig oder lebten allein. Martens fragt sich: „Was ist das für ein System, das persönliche Versorgung abschafft und durch Billigverträge ersetzt?“ Sie kritisiert die eingeschränkte Wahlfreiheit der Patienten und erkennt für sich, dass Krankenkassen mit solchen Verträgen kleine Apotheken aus dem Markt treiben: „Wir werden nicht die letzten sein.“