Zukünftig dürfen E-Rezepte nur noch während der ärztlichen Sprechzeiten beliefert werden – danach herrscht in Apotheken digitale Funkstille. Die Gematik will diese Sendepause mit einem technischen Geniestreich durchbrechen, der gleichzeitig Retro-Charme und TI-Anbindung verspricht – einem E-Rezept-Pager für Ärztinnen und Ärzte.
Es ist einer dieser Nachmittage in der Apotheke im Ärztehaus St. Rochus von Montpellier, an denen das Kühlaggregat des Rezepturkühlschranks die Geräuschkulisse dominiert. Der Bondrucker schweigt seit Stunden, auf HV Nummer drei zeigt der betagte LCD-Monitor seit dem Morgen dasselbe Bild – nur unterbrochen vom stündlichen Pflichtklick der PTA, damit sich das Bild nicht einbrennt.
Seit E-Rezepte nur noch während der ärztlichen Sprechzeiten beliefert werden dürfen, liegt an Tagen wie diesen eine Starre über der Offizin, die sich erst löst, wenn die oder der Verschreiber wieder den digitalen Goldfüller schwingt. Doch die Gematik wäre nicht die Gematik, wenn sie nicht auch für dieses Problem eine moderne, krisenfeste Lösung hätte.
Offiziell heißt das neue Programm „Mobiles Kommunikationsmanagement zur effizienten Rezeptfreigabe im Apotheken-Ärzte-Kooperationsnetzwerk mit TI-Anbindung“ – ein Name, der klingt, als wäre er von einem Ausschuss für Abkürzungsvermeidung entworfen worden. „Unser Hausarzt hat jetzt regelmäßig Notdienst und einen E-Rezept-Pieper“, kommentiert Dr. Brunhilde von Struwenberg, die eine Apotheke in der Modellregion leitet.
Das Gerät selbst ist ein Update des minimalistischen Wunderwerks aus dem vergangenen Jahrtausend – und nicht etwa eine Abwandlung der modernen Pieper. Der Clou: statt den damals 16 Zeichen kann es nun ganze 24 versenden – also eine PZN-Länge mehr. Nachrichten lassen sich mit den gummierten Pfeiltasten bequem durchstöbern – natürlich erst, nachdem der interne Datenschutzfilter Namen und Medikation unkenntlich gemacht hat.
Das 3,2-Zentimeter-LCD-Display zeigt beeindruckende 256 Farben, die selbst in grellem Sonnenlicht in sämtlichen Grauabstufungen glänzen. Der Akku hält bis zu 48 Stunden. Wasserdicht? Natürlich – offiziell nach IP00 zertifiziert, was soviel heißt wie: kein Schutz vor Staub, kein Schutz vor Wasser, dafür maximale Offenheit für alles, was rein- oder rauswill.
Eine Tastatur gibt es selbstverständlich nicht – aber Verschreibende können an einer praxiseigenen Recheneinheit Kürzel zum Versenden hinterlegen. Aus „Bitte Dauermedikation wie gewohnt abgeben, hoppla, da habe ich mich doch glatt bei der Dosis vertippt“ wird zum Beispiel „Dauer wie gew. vertippt“. Wer keine Kürzel anlegt, arbeitet mit den Werkseinstellungen: „Ja“ und „Nein“.
Derweil geht in Struwenbergs Apotheke der erste Problemfall ein: beim E-Rezept von Stammkundin Frau Meier stimmt die Dosierung nicht. Die Apothekerin klickt auf der Warenwirtschaftsoberfläche auf einen Button mit einem Alarmglockensymbol, und sofort öffnet sich ein Textfenster, in dem sie das Problem ausführlich beschreiben kann: „Patient benötigt 50 mg statt 25 mg, dringend, Dauermedikation.“ Sie drückt auf „Senden“, und die Nachricht wandert direkt an den Pager des diensthabenden Allgemeinmediziners Dr. Jörg Achimsen.
Der döst nach einer Nachtschicht gerade im örtlichen Freibad. Zunächst brummt es nur leise aus seiner Sporttasche, doch als Achimsen nicht reagiert, steigert sich das Piepsen zu einem heulenden Alarm, der das Freibad in kollektive Flucht versetzt: Schwimmer sprinten aus dem Wasser, als hätte jemand Piranhas ausgesetzt, der Eismann rennt schreiend davon, während er sich Haselnusshörnchen in die Gehörgänge stopft, und der Bademeister pfeift vergeblich, als wolle er ein Containerschiff zum Einparken dirigieren.
Achimsen, dank seiner maßgefertigten Ohrstöpsel selig abgedichtet gegen jede Außenwelt, schreckt schließlich auf, als ein weinendes Kind über seine Beine stolpert und der Boden unter ihm bebt wie unter einem vorbeidonnernden Güterzug. Er angelt sich den Pager, drückt so lange auf die Bestätigungstaste, bis endlich Ruhe einkehrt – und stürzt Richtung Praxis, ohne die leiseste Ahnung, worum es hier eigentlich geht.
In der Apotheke blickt Struwenberg mit in Falten gelegter Stirn auf das, was Achimsen ihr hat zukommen lassen: „Ja. Nein. Dauer wie gew. vertippt“. Sie richtet sich seufzend an ihre Stammkundin: „Manchmal dauert es ein bisschen.“
Sind E-Rezepte eigentlich fälschungssicher? Diese Frage stellte sich das Team der Rats-Apotheke in Soest, als es zufällig ein gefälschtes E-Rezept über ein Codeinpräparat entdeckte. Der Verdächtige wurde festgenommen. Dm testet derweil in Karlsruhe Blutanalysen durch medizinisches Fachpersonal des Start-ups Aware, inklusive optionaler telemedizinischer Auswertung. Zusätzlich sollen künftig auch Augenscreenings über einen Partner angeboten werden.
Paradox: Drei Monate vor Ablauf seines Heilberufsausweises (HBA) kann Apotheker Jochen Krill keine E-Rezepte mehr signieren, obwohl die Karte noch gültig ist. Bis zum Eintreffen des neuen Ausweises übernehmen Approbierte in seiner Apotheke die Freigabe. Die Rezeptboxapothekerin ist insolvent: Kerstin Boje-Petzokat führt ihre beiden Herner Apotheken aber in Eigenverwaltung weiter. Ihre bekannte Rezeptbox im Supermarkt hatte sie nach dem Rückgang von Papierrezepten bereits abgebaut.
In diesem Sinne: Ein sonniges Wochenende!
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