Der vergangene Notdienst der Easy-Apotheke in Barmbek hatte es in sich. „Ich habe solch einen Andrang in meinen 25 Berufsjahren noch nie erlebt“, sagt Inhaberin Annette Sieckmann-Linck. Insgesamt bediente sie alleine weit über hundert Kunden und belieferte etliche Rezepte. „Von wegen Apotheken braucht niemand. Die Menschen waren durchweg dankbar, dass ich da war“, sagt Sieckmann-Linck.
Am Reformationstag bestritt Sieckmann-Linck ihren vergangenen 24-Stunden-Notdienst ganz allein. „Am 31. Oktober habe ich 170 Patient:innen bedient und mehr als 50 Rezepte beliefert“, berichtet die Inhaberin. „Braucht wirklich niemand die Apotheken“, fragt sie. „Herr Ralph Bollmann schrieb in der FAZ, dass sie keiner braucht, aber ich habe die Antwort darauf gerade erst gesehen“, so Sieckmann-Linck. Durch ein Apothekerfenster, das 24 Stunden lang ihr „einziger Tresen“ war.
Von 8.30 Uhr als sich die Klappe zum ersten Mal öffnete, bildete sich durchgängig eine lange Schlange vor der Apotheke. „Bis 16 Uhr kam ich nicht einmal ins Backoffice zum Durchatmen zurück“, so Sieckmann-Linck.
„Die ganze Zeit haben etwa 20 bis 30 Menschen durchgehend in der Schlange gewartet. Geduldig und frierend, aber dankbar, weil sie wussten: Wenn hier nicht geöffnet ist, gibt es niemanden sonst“, betont die Inhaberin. „In meinen 25 Jahren Berufszeit habe ich noch nie solch einen Andrang erlebt.“ Sie sei immer hart im Nehmen gewesen: „Aber nach diesem Dienst war ich körperlich am Ende.“ Die Patienten hätten aber durch ihre Dankbarkeit alles wieder wett gemacht. „Nicht ein einziger Kunde hat sich beschwert, alle standen an und haben gewartet bis sie dran sind“, freut sich Sieckmann-Linck.
Auch Notfällen konnte sie helfen. „Ein Kind brauchte zum Beispiel dringend einen Epi-Pen und Cortison aufgrund einer Weizenallergie, Mütter mit Säuglingen oder schmerzgeplagten Patienten konnte ich helfen“, freut sich die Inhaberin. „Es waren auch Menschen auf Krücken dabei, die aus dem Krankenhaus entlassen wurden, oder Patienten mit Übelkeit und Schwindel“, erklärt sie.
Vorrangig habe sie aber Antibiotikaverordnungen beliefert. „Von Augeninfektionen bis zur Blasenentzündung war eigentlich alles dabei“, sagt sie. „So viele Rezepte im Notdienst waren schon ungewöhnlich.“ Es habe zudem sehr viele Anrufe gegeben. „Das war teilweise schwer zu bewältigen. Da auch vor der Klappe permanent Menschen standen, konnte ich nicht immer ans Telefon gehen, musste zurückrufen oder auf später vertrösten. Da haben sich dann schon ein zwei Leute auch beschwert“, so Sieckmann-Linck.
In diesem Notdienst wurde aus ihrer Sicht deutlich, wie wichtig Apotheken vor Ort für die Arzneimittelversorgung der Menschen sind. „Jeder einzelne Mensch hat seine Geschichte. Und ich habe jeden beraten, so wie immer.“ Auch nach 16 Uhr war keine Pause in Sicht. „Ich hatte noch nichts gegessen, aber leere Mägen ändern nichts an unserer Verantwortung“, stellt Sieckmann-Linck klar. „Bis 20 Uhr ging der Andrang weiter, bis 3 Uhr nachts kamen Notfälle zu mir, bis 7.30 Uhr wurde viermal geklingelt.“
Dieser Notdienst sei in deutschen Apotheken kein Ausnahmefall. „Das ist die Realität. Apotheken sind nicht nur nice to have“, so Sieckmann-Linck. „Sie sind die letzte geöffnete Tür des Gesundheitssystems, wenn alles andere geschlossen hat.“
Direkt an den FAZ-Autor gerichtet sagt sie: „Ich lade ihn ein, er soll eine Nachtschicht im Notdienst mitmachen.“ Und weiter: „Wir brauchen keine Klick-Provokation, wir brauchen Respekt für echte Versorgung.“ Zusätzlich brauche man eine Debatte, die die Systemleistung der Apotheken endlich messbar mache, bevor die Türen zu sind“, so Sieckmann-Linck.