ApoRetro – Der satirische Wochenrückblick

Mutter, wir haben ein Problem!

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Berlin -

Nun ist es also raus: Was in vielen abgedunkelten Backoffice-Bereichen bisher versteckt wurde, um nicht mit irgendwelchen datenschutzrechtlichen Verboten zu kollidieren, darf jetzt ganz offiziell praktiziert werden. Die auf den Telepharmazieplänen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) basierende und eingerichtete Mutter-Apotheke darf endlich in Berlin eröffnen. Beinahe romantisch, in direkter Nähe zu ihrem geistigen Vater, ganz in der Nähe des Gesundheitsministeriums. Lauterbach will schließlich auch beobachten, wie sein durchstrukturiertes Erfolgsmodell läuft. Doch wie sieht der Arbeitsalltag aus in so einer Mutter-Apotheke?

Augenscheinlich ist für das Personal – PKA, PTA und Approbierte in der Mutter-Apotheke – erstmal nichts anders, schließlich mag niemand Veränderungen. Doch für die Mutter-Apothekerin (denn ja, eine Mutter-Apotheke darf nur von einer Apothekerin geleitet werden) ändert sich der Arbeitsalltag grundlegend. Vom gewohnten Alltag bekommt die Gute nämlich nichts mehr mit. Sie sitzt vor einem riesigen, mehrfach unterteilten Bildschirm-Panel, per Touch kann sie unterschiedliche Kameras in den Abgabestellen anwählen, die das dortige Vorgehen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln zeigen. Ein riesiges Headset, das ihre Bewegungsfreiheit durch ein dünnes Kabel deutlich einschränkt, ist mit dem Panel verbunden. An diesem kann sie drei unterschiedliche Sprachkanäle auswählen, pro Abgabestelle jeweils einen.

Zentrale Probleme aus der Ferne gelöst

„Die Zusatzausbildung zur Mutter-Apothekerin ist ein mehrstündiger Intensivkurs“, berichtet die erste Absolventin Deutschlands. Am laufenden Band gehen Anfragen aus ihren drei Abgabestellen bei ihr ein. „Nein, keine Kinderzahnpastaproben an Kunden über 18“, sagt die Mutter-Apothekerin zur PTA in Filiale 1, während sie verzweifelt versucht, die richtige Kamera-Einstellung zu finden. Immerhin möchte die verärgerte Kundin mit ihr persönlich über das akute Problem sprechen. Unterdessen geht schon die nächste Anfrage ein: „Nur eine Umschau pro Person, auch nicht für Nachbarn, das Kontingent ist begrenzt“, gibt sie zu ihrer PTA durch, die in Filiale 2 steht. Auch hier schlägt sie wild auf das Display ein, um die richtige Kamera auszuwählen.

„Maximal drei Proben pro Kunde, nein-nein, drei habe ich gesagt, drei!“ Die Mutter-Apothekerin schlägt gegen ihr Headset, irgendwie hakt die Verbindung zu Filiale 3. Nun meldet sich Standort 2: „Drei Tabletten?“ „Nein, dich meinte ich nicht!“ „Hier Abgabstelle 1, N3 wie gewünscht abgegeben“, hört man die PTA aus dem Headset der Mutter-Apothekerin. Und wieder Standort 1: „Melde ein Problem, Kunde möchte zwei Packungen Nasenspray kaufen. Bitte kommen!“

Mittlerweile läuft der Apothekerin der Schweiß von der Stirn, dabei arbeitet sie erst seit wenigen Minuten. Die erste Pause ist nach fünf Stunden eingeplant. Und während sie versucht, das dringenste Problem zuerst zu lösen, kommen bereits die nächsten wichtigen Anfragen wie „Herr Müller-Lichtenstein braucht dringend eine fachliche Beratung zu seinen Herztabletten“ und „Ich brauche eine Freigabe für das Asthmapräparat“ ein. Jetzt auch noch Kompressionsstrümpfe per Ferndiagnose anmessen und Inhalatorschulung – und ein Rezepturprotokoll möchte auch noch per Ferndiagnose abgezeichnet werden. Und was ist das? Eine Vorbestellung kommt online rein und muss schnell aus dem Fachdienst abgeholt werden, bevor der gierige Versender zugreift. Aus hektischen Touch- und Wischbewegungen sind mittlerweile die verzweiflten Versuche geworden, der eingehenden Anfragen auf irgendeine Art und Weise Herrin zu werden.

MAMA macht's möglich

Dass PTA nicht selbstständig, sondern nur unter Aufsicht arbeiten dürfen, ist klar. Bei allem muss die MAMA draufschauen. MAMA steht für Multi-Abholstellen-Master-Apotheke und hatte dank des digitalen Fortschritts eigentlich zum neuen Standard werden sollen: Modernste Mini-Kameras überall in der Abgabestelle, mit Headsets ausgestatte PTA, deren Vitalfunktionen auch noch überwacht werden, dazu Mini-Drohnen mit Video-Telefonie für die Beratung des Kundens auf Augenhöhe. Schließlich sollte man diesen jungen PTA nicht zu viel Kompetenz zutrauen und den älteren deshalb nicht, da sie sich fachlich kaum auf dem Laufenden halten können. Kompetenz geht nur von Mutter-Apothekerinnen und ihren Approbierten aus.

So geht das tagein, tagaus, die Kontrolle aus der Mutter-Apotheke funktioniert von technischer Seite aus einwandfrei. Der Minister hatte in punkto Telepharmazie also vollkommen recht. Doch was er nicht bedacht hat: Technik kann potentiell ausfallen, Menschen machen Fehler. Erst recht, wenn sie mehrere Abgabestellen auf einmal überwachen sollen. Und weil die Apotheken- wie Abgabestellenzahlen weiterhin rückläufig sind, konzentrieren sich auch noch mehr Patientinnen und Patienten als gedacht in den verbliebenen Abgabestellen. Da alles nur noch im „Vorbeiflug“ erledigt wird, und die MAMA zunehmend den Überblick auf den vielen Bildschirmen ihres Kontrollzentrums verliert, häufen sich seit Anfang an die Fehler.

Das „Sprechstunden“-Debakel

Zum Glück hatte Lauterbach Unrecht: Das Konzept der Mutter-Apotheke, wie er es in seinen Telepharmazie-Plänen sieht, gibt es heute noch nicht. Meinte er vielleicht Haupt- und Filialapotheken? Wer weiß das schon, Namen sind auch nur Schall und Rauch. Mit seiner „Sprechstunde“ hat er sich mindestens bei der Apothekerschaft wieder richtig in die Nesseln gesetzt. Kleiner Fun-Fact am Rande: Als er erzählt, er und sein Team würden den Apotheker:innen zuhören, schüttelt er den Kopf. So mancher Körpersprachen-Experte würde hier vermuten, dass Gesagtes und Gedachtes nicht zusammenpassen.

Was der Gesundheitsminister unter Telepharmazie versteht, erklärte er so. „Telepharmazeutisch bedeutet: In der Mutter-Apotheke ist die Apothekerin und wenn es dann eine Frage gibt durch die pharmazeutisch-technische Assistentin, dann wird die Apothekerin aus der Mutter-Apotheke zugeschaltet, dann kann das beantwortet werden, aber die eigentliche Abgabe würde dann durch PTA passieren“, so Lauterbach. Dies würde jetzt bereits so in vielen Vor-Ort-Apotheken gehandhabt, so der Gesundheitsminister weiter.

In der kommenden Reform müsse die Telepharmazie dringend umgesetzt werden. „Wir werden sonst nicht genug Apothekerinnen und Apotheker haben, sodass wir uns hier mit der Telepharmazie schon etwas verbreitern müssen.“ Zur Frage nach einer angepassten Honorierung erklärte Lauterbach abschließend: „Wir werden die Notdienste besser bezahlen, das ist ganz klar, und wir stellen die Honorierung ein bisschen um.“

Bleibt nur abzuwarten, wie das am Ende aussieht. Denn diese Honorarerhöhung hätten die Apotheken bitter nötig. Nach dem BGH-Urteil diese Woche zu Skonti umso mehr.

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