Für Apothekenteams ist es ein offenes Geheimnis: Die Apotheke vor Ort hat die Buchhandlung in puncto Kalender längst abgelöst. Wer heute ernsthaft seine Jahresplanung sichern will, fragt nicht im Schreibwarengeschäft, sondern direkt am HV-Tisch. Hier beginnt jedes Jahr aufs Neue das Schauspiel, wenn Kunden mit leuchtenden Augen nach dem heiligen Gral der Gratis-Wandgestaltung verlangen.
Da ist sie wieder, diese ganz besondere Zeit in den Vor-Ort-Apotheken – jener mystische Übergang vom Sommer zum Herbst, wenn die Tage kürzer werden, die Erkältungen länger und die Kundschaft nur noch eine Frage kennt: „Haben Sie schon Kalender?“
Inhaber Joachim Werner ist vorbereitet. Während andernorts die Kalendervarianten wie Bastel-AG-Reste an die einzig freie Wand in der Offizin gehängt werden, verwandelt er seine Apotheke in ein Festspielhaus. Spotlights setzen Akzente, die Regalflächen folgen einer minutiösen Dramaturgie, und die Kundschaft erlebt eine Aufführung, als ginge es nicht um Papierschieber, sondern um die Bayreuther Festspiele der Jahresplanung.
Insider nicken beim Betreten der Apotheke anerkennend wie wissend: Gratis-Wandkalender sind schließlich das Methadon der deutschen Planungssucht. Schreibwarengeschäfte wirken dagegen nur noch wie museale Kulissen; wer ernsthaft planen will, pilgert längst zum HV seines Vertrauens.
Der Apotheker hat sein Konzept bis ins Detail professionalisiert. Schon im Sommer orderte er heimlich containerweise Ware, damit im Herbst keine Ecke seines Betriebs ungenutzt bleibt. Auf Rezept gibt’s Schmerzmittel und Psychopharmaka, auf Nachfrage die goldgerahmte Jahresübersicht mit Mondphasen oder gar den streng limitierten Wandbehang mit Duft.
Für jede Vorliebe hält der Apotheker eine Variante bereit: das planerische Meisterwerk im Taschenformat, den klassischen Familienkalender als Zeitorganisationsapparat, der nur in kundigen Händen seine volle Strahlkraft entfaltet, oder die Scheckkarten-Ausgabe, die beinahe nebensächlich in die Handtaschen der Kundschaft wandert – manchmal auch mitsamt Acrylaufsteller, wenn Oma Ilse ihre Brille nicht aufhat und beherzt zugreift.
Werner wäre natürlich kein Visionär, wenn er es beim Papier beließe. Während andere noch Familienplaner mit Kordel an die Wand hängen, setzt er längst auf die digitale Avantgarde: Wandkalender mit KI und Sprachfunktion. Sie begrüßen die Kundschaft mit „Guten Morgen, hast du schon dein L-Thyroxin genommen?“, melden pünktlich die Ankunft der Kundenzeitschrift und erinnern ganz nebenbei daran, die Rätselzeitung beim Apothekenbesuch für den gesamten Familien- und Bekanntenkreis mitzunehmen.
Damit die Inszenierung seiner Meisterstücke gelingt, braucht der Apotheker Vollprofis, die Sommeliers unter den Kalenderkuratoren. Wo andere PTA und Approbierte im Land stöhnen, wenn sie zum fünften Mal am Tag nach Familienplanern gefragt werden, reibt sich sein Apothekenteam die Hände.
Wie bei einer Weinverkostung kommentieren sie die Auswahl, blättern, erklären, vergleichen. Wo andere nur ein Blatt wenden, referiert Werners Personal über Papierstärke, Linienführung und die exakte Millimeterzahl für Notizen. Jede Kundin und jeder Kunde darf prüfen, ob die Spalten im Familienkalender breit genug für alle Vornamen sind, ob die Kästchen genug Platz für Arzttermine bieten und ob im Februar tatsächlich dieselbe Schreibfläche zur Verfügung steht wie im März.
Wie in einer eigenen Kunstsammlung werden schließlich die Motive vorgeführt – von Tierkindern bis Arzneipflanzen, gezeichnet oder fotografiert, ergänzt um den unvermeidlichen Herzkalender, schmal oder breit. Spätestens an dieser Stelle taucht in den Köpfern besorgter Kalenderliebhaber die Gretchenfrage auf: Sind die Größen eigentlich normiert, oder ist jeder Kalender ein Unikat im DIN-Dschungel?
Natürlich bleibt der Kalender offiziell eine Zugabe zu verschreibungsfreien Präparaten. Doch Werners Konzept ist umgekehrt gedacht: Zum Kalender gibt’s das Ibuprofen dazu. Der Kalender ist gratis, das Ibuprofen kostet 5,98 Euro – ein kleiner Preis, wenn man bedenkt, dass man damit das ganze Jahr im Griff hat.
Während andere Apotheken noch Kalenderkartons im Lager vergessen, ist sich der Inhaber sicher: Wer die Jahresübersicht kontrolliert, kontrolliert das Leben. Für ihn ist das kein Nebengeschäft mehr, sondern die Kür der Kundenbindung. Die duale Ausbildung Apotheker/Buchhändler steht bereits in seinem Curriculum-Entwurf, Prüfungsfach: Kalenderkunde.
Während vielerorts noch darüber gerätselt wird, ob genügend Impfstoff für den Winter vorhanden ist, hängt bei Werner zuhause längst der Kalender für 2027. Vorsorge eben.
In dieser Woche verweigerte die IKK die Kostenübernahme für eine Milchpumpe und schrieb der Mutter, sie müsse nichts zahlen – tatsächlich musste sie die Apothekerin aber privat bezahlen. Außerdem kündigte Inhaber Florian Max die vorzeitige Schließung seiner Würmtal-Apotheke an, weil sich die Miete verdoppelt habe und die Zahl der Notdienste nicht mehr zu stemmen sei.
Ein zentrales Thema in dieser Woche war außerdem der Stromausfall im Südosten Berlins nach einem Brandanschlag, von dem auch mehrere Apotheken betroffen waren.Auch Easy-Apotheker Christian Melzer war vom Stromausfall betroffen, kämpfte am zweiten Tag weiter mit Ausfällen, hielt aber dank Teamarbeit und Unterstützung die Versorgung aufrecht. Darüber hinaus berichtete eine bayerische Inhaberin von einem Apotheker, der sich als Bewerber vorstellte. Sie zahlte für ihn Unterkunft und Fahrt, doch zum Arbeitsbeginn kam er nicht.
In diesem Sinne: Schönes Wochenende!
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