Versprechen Hersteller bei ihren Produkten zu viel, sind auch die Apotheken als Händler in der Verantwortung. Denn sie haben eine sogenannte Störerhaftung – in der Vergangenheit kam es daher schon zu regelrechten Abmahnwellen. Der Bundesgerichtshof (BGH) will jetzt in Luxemburg klären lassen, ob zumindest bei Kosmetika eine Ausnahme gilt.
Im konkreten Fall ging es um die Gesichtscreme „Arya Laya Rose Tag & Nachtpflege Rich“. Das Produkt enthält unter anderem Ginseng und wurde daher mit der Aussage beworben: „Ginseng fördert die Zellerneuerung und schützt vor freien Radikalen.“ Ein Reformhaus hatte die Behauptung des Herstellers übernommen, der Verband Sozialer Wettbewerb mahnte den Händler ab. Die Behauptung sei unlauter, weil die Wirksamkeit von Ginseng-Extrakt bei äußerlicher Anwendung wissenschaftlich nicht gesichert sei.
Während das Landgericht Düsseldorf der Klage noch stattgab, wies das Oberlandesgericht den Antrag ab: Zwar würden mit der Werbeaussage tatsächlich Wirkversprechen gemacht, die nicht haltbar seien. Dies sei ein Verstoß gegen Artikel 20 Abs. 1 Kosmetikverordnung (Kosmetik-VO), nach dem „bei der Kennzeichnung, der Bereitstellung auf dem Markt und der Werbung für kosmetische Mittel keine Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere bildhafte oder nicht bildhafte Zeichen verwendet werden [dürfen], die Merkmale oder Funktionen vortäuschen, die die betreffenden Erzeugnisse nicht besitzen“.
Das Reformhaus habe dafür allerdings nicht einzustehen, da alleine der Hersteller „verantwortliche Person“ im Sinne der Vorschrift sei. Werde die Werbeaussage unverändert übernommen, sei der Händler nicht der Pflicht, die Einhaltung der Vorgaben zu kontrollieren.
Der BGH legt die Sache nun beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. Denn in der Vorschrift sei nicht bestimmt, wer Adressat des Irreführungsverbots sei. „Die Regelung schreibt nicht vor, dass jede Person, die ein kosmetisches Mittel bewirbt, sicherzustellen hat, dass die Werbung keine nicht vorhandenen Merkmale oder Funktionen des Erzeugnisses vortäuscht.“
Einerseits sei das Reformhaus nicht als „verantwortliche Person“ einzustufen: „Weder ist sie Herstellerin der beworbenen Gesichtscreme noch hat sie als Händlerin die Creme unter ihrer Firma und ihrer Marke in Verkehr gebracht.“
Andererseits müssen Händler laut Artikel 6 Abs. 1 Kosmetik-VO im Rahmen ihrer Tätigkeiten „die geltenden Anforderungen mit der gebührenden Sorgfalt“ berücksichtigen, wenn sie ein kosmetisches Mittel in Verkehr bringen. Gibt es Zweifel an der Verkehrsfähigkeit eines Produkts, müssen sie es so lange zurückhalten, bis die Konformität dieses Mittels hergestellt ist. Zu dieser Verpflichtung gehört nach Auffassung des BGH auch die „Bewerbung des auf dem Markt bereitzustellenden oder bereitgestellten kosmetischen Mittels“.
Auch die Tatsache, dass die Werbung unverändert abgedruckt wurde, muss kein Freibrief sein: Wird die vom Hersteller behauptete Wirkung in einem eigenen Prospekt wiedergegeben, setzt der Händler diese laut BGH aus eigenem Antrieb ein, um den Absatz des Mittels für seine geschäftlichen Zwecke zu fördern. „Das könnte dafür sprechen, dass der Händler eine vom Hersteller übernommene Werbeaussage darauf überprüfen muss, ob das beworbene kosmetische Mittel die ausgelobten Wirkungen besitzt.“
Begrenzt werde die Prüfpflicht für den Händler allerdings dadurch, dass die geltenden Anforderungen laut Verordnung nur mit der „gebührenden Sorgfalt“ berücksichtigen werden müssen. „Dabei kann er sich aber grundsätzlich auf die Angaben des Herstellers verlassen, weil dieser am ehesten in der Lage ist, für ein gesetzeskonformes Vermarktungssystem zu sorgen, und deshalb regelmäßig als ‚verantwortliche Person‘ die primäre rechtliche Verantwortung trägt.“ Nur bei konkreten Anhaltspunkte sei wohl von einer eigenen Prüfpflicht auszugehen.
„Nach diesen Grundsätzen erscheint zweifelhaft, ob der Händler stets überprüfen muss, ob die in einer Werbeaussage des Herstellers ausgelobten Funktionen eines kosmetischen Mittels hinreichend belegt sind, bevor er die Werbung für eigene geschäftliche Zwecke einsetzt“, so der BGH. Denn insbesondere der Hersteller habe dafür zu sorgen, dass die Formulierung von Werbeaussagen mit diesen Nachweisen in Einklang stehe.
Eine Überprüfung etwaiger Beweise in der Produktinformationsdatei sei wohl nicht zu erwarten, da in der Regel nur die Behörden einen einfachen Zugang dazu hätten. Andererseits könne der Händler die Unterlagen beim Hersteller anfordern.
Spätestens jedenfalls im Falle einer Abmahnung muss der Händler nach Ansicht des Senats eine Überprüfung des betreffenden Produkts vornehmen und darf es nicht weiter auf dem Markt bereitstellen, selbst wenn der Hersteller die Beanstandungen für unbegründet hält. Dies gilt zumindest dann, wenn die Aufforderung so konkret gefasst ist, dass der Händler den Rechtsverstoß unschwer und ohne eingehende rechtliche oder tatsächliche Überprüfung feststellen kann.
Vor allem aber könnte laut BGH der Schutzzweck der Vorschrift dafür sprechen, dass der Händler für eine vom Hersteller übernommene irreführende Werbung uneingeschränkt einzustehen hat. Demnach sollen Verbraucher vor irreführenden Werbeaussagen über die Wirksamkeit und andere Eigenschaften kosmetischer Mittel geschützt werden. „Ein effektiver Schutz des Verbrauchers ist sichergestellt, wenn der Händler ohne Weiteres auf Unterlassung der Werbung mit einer irreführenden Aussage über die Wirkungen eines kosmetischen Mittels in Anspruch genommen werden kann.“
Dies gelte auch dann, wenn die Aussage vom Hersteller verfasst worden sei. Denn dem Händler komme bei der Marktüberwachung eine Schlüsselrolle zu. Nicht umsonst sei die Werbung eines Händlers mit irreführenden Angaben auch laut EU-Richtlinie und folgend dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) als unzulässige Geschäftspraxis eingestuft, auch wenn die Werbung vom Hersteller übernommen wurde.
„Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, warum der Schutz des Verbrauchers vor einer irreführenden Werbung des Händlers für ein kosmetisches Mittel [...] hinter seinem Schutz vor einer irreführenden Werbung des Händlers für ein sonstiges Produkt nach den allgemeinen Unlauterkeitstatbeständen [...] zurückbleiben sollte.“
Der EuGH soll nun klarstellen, wie die Kosmetik-VO auszulegen ist und ob sie für den Fall, dass sie keine Haftung für Händler vorsieht, als Spezialvorschrift einen Vorrang hat.
Rechtsanwältin Christiane Köber von der Kanzlei Danckelmann und Kerst in Frankfurt hat Zweifel. So lasse der BGH anklingen, dass eine Abmahnung ein „Grund zur Annahme“ sein könne, dass ein Produkt den kosmetikrechtlichen Erzeugnissen nicht genüge. „Wenn der EuGH dem folgen sollte, gibt es leider keinen Grund zur Entwarnung; dann können auch weiterhin Händler wegen irreführender Werbeaussagen von Herstellern abgemahnt werden.“