Inhaber bangt um Existenz

90.000 Euro-Retax: „Wir hätten Tabletten zählen sollen“

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Berlin -

Weil Dr. Christian Fehske, Inhaber der Rathaus-Apotheke in Hagen, angeblich eine „unwirtschaftliche Überversorgung“ eines Patienten nicht verhinderte, wurde er mit knapp 90.000 Euro retaxiert. „Aus Sicht der Krankenkasse hätten wir die Tabletten zählen sollen“, so der Apotheker. Die Kasse wirft ihm vor, gegen die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) verstoßen zu haben.

Fehske versorgte einen Patienten im vergangenen Jahr mit zwei hochpreisigen Arzneimitteln. „Es waren zwei gültige Rezepte auf denen jeweils Idhifa verordnet war. Beide Verordnungen waren ohne erkennbaren Fehler.“ Dennoch retaxierte die AOK Nordwest auf Null. Die Begründung: „Uns wird vorgeworfen, bei der Belieferung der beiden Rezepte über jeweils das gleiche hochpreisige Import-Arzneimittel gegen die ApBetrO verstoßen zu haben“, so der Inhaber.

Tabletten zählen

Heißt konkret: „Wir haben den Patienten angeblich überversorgt.“ Aus Sicht der Krankenkasse hätte er vorab sozusagen „Tabletten zählen“ müssen, um eine unwirtschaftliche Überversorgung durch den Arzt zu verhindern. Mehr noch: „Wir hätten Rücksprache mit dem Arzt halten sollen und alles dokumentieren müssen.“ Dafür sah der Inhaber jedoch keinen Grund. „Ich müsste den Arzt demnach fragen, ob er das Rezept wirklich ernst meinte, und vorab prüfen, wie viele Tabletten der Betroffene noch zu Hause hat.“

Die Vollabsetzung, die Fehske erhielt, wird folgendermaßen begründet: „Enthält eine Verschreibung einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum, ist sie nicht lesbar oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht abgegeben werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist.“ Fehske konnte weder Irrtum noch Fehler erkennen: „Die Rezepte waren gut lesbar.“ Die Patientin sei zudem schwer krank gewesen und nie selbst in die Apotheke gekommen.

Bedenken habe er hinsichtlich der Therapiedauer und der Gültigkeit der Kostenübernahme gehabt. Diese wurden aber ausgeräumt, denn: „Ein Angehöriger kam sogar zu uns und hat uns eine Bestätigung der AOK vorgezeigt, in der es hieß, die Kosten des Medikamentes werden vollumfänglich übernommen“, so Fehske.

Klage eingereicht

Am Freitag reichte er Klage gegen die Vollabsetzung ein: „Diese Doppel-Retaxation hat einen Streitwert von mehr 87.000 Euro“, erklärt er. „Was das im Jahr 2025 für das Jahresergebnis einer großen Apotheke bedeutet, bedarf kaum weiterer Ausführungen“, so Fehske.

Zu seinem Fall gab es bereits eine mündliche Anhörung zu einer Petition im Landtag Nordrhein-Westfalen. „Auch hier waren sich die retaxierende Krankenkasse und ihre zuständige Aufsichtsbehörde darin einig, dass die Nullretaxationen durchaus gerechtfertigt seien“, so Fehske. Denn: „Durch die elektronische Patientenakte könnten Apotheken künftig solche Überversorgungen noch viel leichter und häufiger erkennen“, hieß es von der AOK.

Mehr noch: Würden Apotheken dennoch versorgen, statt vorher gemäß § 17 Abs. 5 ApBetrO „sonstige Bedenken“ wegen Unwirtschaftlichkeit nach Sozialgesetzbuch (SGB V) auszuräumen, könne trotz der geplanten gesetzlichen Einschränkungen von Nullretaxationen auch weiterhin die Kürzungen gerechtfertigt werden.

Motivation tief erschüttert

„Mich triggert außerdem, dass ich mich inzwischen seit über einem halben Jahr gegen die als extrem empfundene Ungerechtigkeit und Unverhältnismäßigkeit dieser Nullretaxationen wehre. Sie lassen mich schlecht schlafen und auch im Urlaub nicht zur Ruhe kommen. Diese Retaxationen haben meine ansonsten sicher überdurchschnittliche Motivation gegen alle Widerstände, Freude an meinem Beruf zu haben, erstmals ernsthaft erschüttert“, so Fehske.

Er fragt sich: „Wie lang mag der Kampf noch gehen?“ Fehskes Anwälte machten bereits klar: „Wir gehen nicht davon aus, dass vor 2028 mündlich verhandelt wird. Verfahren vor den Verwaltungsgerichten dauern erfahrungsgemäß sehr lange.“

Abwanderung wegen Gehalt

Zu allem Überfluss hörte er kürzlich aus dem Bekanntenkreis: „Eine Freundin ist PTA und PKA, wird aber demnächst in ihrer Apotheke kündigen. Der neue Arbeitgeber bietet ein Gehalt, bei dem auch die übertarifliche Bezahlung ihres aktuellen Chefs nicht mithalten kann. Sie wird bei einer Retax-Abteilung einer Krankenkasse anfangen.“ Sein Fazit: „Die Fachkräfte sind nicht weg, die sind nur woanders.“

Er habe inzwischen unfreiwillig mehr Expertenwissen zur Komplexität seiner beiden Einzelfälle angehäuft, als ihm lieb sei. „Unter anderem dazu, wie die erste juristische Einschätzung der Anwälte meines Apothekerverbands mich eine womöglich völlig falsche Verteidigungslinie hätte aufbauen lassen.“ Man habe ihm auf Nachfrage, wie er sich wehren könne, deutlich gesagt: „Sie haben keine Chance!“

Verhandlung frühestens 2028

Er wisse nun auch, in welchen seltenen Fällen Retaxversicherungen überhaupt bereit sein können zu zahlen. „Und dass Rechtsschutzversicherungen nur einen Bruchteil der Kosten vielversprechender Anwälte übernehmen und welche Rechtsmittel zu welchem Zeitpunkt eines Einspruchsverfahrens jeweils zur Verfügung stehen sollen.“ So habe er beispielsweise erst durch den Petitionsausschuss des Landtags NRW erfahren, dass „ich die zuständige Aufsichtsbehörde um eine Einzelfallprüfung bitten kann“, betont er.

Dies sei nun seine vorletzte Hoffnung. „Bis ich frühestens 2028 vor dem Sozialgericht Dortmund wie auf hoher See in Gottes Hand sein werde“, so Fehske. „Klar geht es auch um meinen eigenen Unternehmerlohn, über den ich dieses Jahr lieber nicht sprechen möchte. Ich bin es aber auch meinem Team und meinem Versorgungsauftrag schuldig, weiter zu kämpfen und mich nicht unterkriegen zu lassen, auch wenn das noch nie so schwer gewesen sein mag wie dieses Jahr.“

„Das geht zu weit“

Er stellt klar: „Ich bin selbst bin gesetzlich versichert und teile damit das Ziel eines wirtschaftlichen Umgangs mit Versichertenbeiträgen. Ich stimme auch zu, dass Abrechnungsbetrug verfolgt und betraft werden sollte.“ Und weiter: „Auch echte Fehler bei der Abrechnung gehören retaxiert. So, wie wir umgekehrt ja auch Rechnungen prüfen und uns wünschen, dass berechtigte Reklamationen berücksichtigt werden.“ Aber bei allem Verständnis gehen Fehske die Fälle wie der seine, nicht zuletzt wegen der Verhältnismäßigkeit der Folgen, „einfach zu weit“.

„Wie kann es richtig sein, dass man als Apotheke dem Kontrahierungszwang folgt, Patienten versorgt oder eine nicht stornierbare Versorgung beginnt, es aber ein Insolvenzrisiko bedeuten kann, wenn eine Krankenkasse ein Jahr später ihr Ermessen dazu bekannt gibt, welches Bevorratungsausmaß zur Vermeidung von Therapieunterbrechungen als noch wirtschaftlich eingeschätzt wird“, fragt Fehske.

Retax ist existenzgefährdend

Er bezeichnet die Retax-Risiken als sein derzeit wichtigstes Unternehmensrisiko. „Neben Zahlungsausfällen von privat versicherten, verstorbenen Rechnungskunden, aber das ist ein anderes Thema“, so Fehske. „Retaxrisiken kommen leider auch zu kurz, wenn man mit Politikern oder Krankenkassenvertretern spricht, die gelegentlich auf die steigenden Apothekenvergütungen trotz anderslautender Darstellungen hinweisen“, so der Inhaber. „Oder auf den 3 Prozentanteil an den steigenden Arzneimittelpreisen. Denn gerade bei hochpreisigen Arzneimitteln sind Nullretaxationen eben nicht nur bitter, sondern können existenzgefährdend werden.“

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