Cannabis-Reregulierung

„Versandverbot schadet deutschen Apotheken“

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Berlin -

Seit Inkrafttreten der Cannabis-Teillegalisierung sind die Importe in einem deutlich höheren Maße gestiegen als die GKV-Verordnungen. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) vermutet Missbrauch, insbesondere über Privatrezepte und dubiose Telemedizinplattformen im Internet – und möchte hier nachschärfen. Mit einem geplanten Anpassungsgesetz sollen die Online-Verschreibung und der -Versand von Medizinal-Cannabis verboten werden. Doch ist dieser Weg sinnvoll? Darüber diskutierten Experten aus Apotheke, Ärzteschaft, Politik und Industrie auf der Connection:Health.

„Das Verschreibungsvolumen ist nach oben gegangen“, erklärte Finn Hänsel, Gründer und Geschäftsführer der Sanity Group. „Aber einen Missbrauch nur am Anstieg des Importvolumens festzumachen, das halte ich für zu kurz gegriffen.“ Die Art und Weise, wie Telemedizinplattformen verschreiben, sei teilweise problematisch. Dagegen vorzugehen sei richtig, dennoch müsse man einen Kompromiss finden, um Missbrauch entgegenzuwirken und dennoch den Zugang zu sichern.

Claudia Neuhaus, Inhaberin der Witzleben Apotheke, ist seit 2017 im Medizinal-Cannabis-Bereich tätig. Auch sie kann bestätigen, dass es seit April 2024 einen starken Anstieg der Verordnungen gab. Sie habe personell aufgestockt und ihre Mitarbeiter ausbilden lassen. „Jeder Patient wird bei uns beraten“, erklärte sie. Es würden die Einnahme, die Indikation, die Anwendung und die Dosierung besprochen sowie nach Wechselwirkungen geschaut. „Das ist unsere Aufgabe“, betonte sie. Die Apothekerschaft würde sich aktiv mit dem Thema Cannabis auseinandersetzen, erklärte sie und verwies auf den Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA). Sie würde sich auch bei den Ärzten mehr Initiative wünschen.

„Wir brauchen mehr Offenheit für die Cannabis-Therapie“, stimmte auch Dr. Maximilian Kreuzer vom Hausärzteverband zu. Die Cannabis-Verordnung spiele in der hausärztlichen Praxis immer noch eine untergeordnete Rolle, so Kreuzer. Aus seiner Erfahrung sei die Verordnung von Cannabis seit der Teillegalisierung nicht signifikant angestiegen. Er sehe aber auch das Spannungsfeld zwischen Missbrauch und Patientenversorgung. Dieses Spannungsfeld könne man nicht ganz auflösen, aber mit einer ärztlichen Anamnese, Beratung und Indikationsanalyse könne man entgegenwirken.

„Versandverbot schadet Deutschen Apotheken“

Laut Hänsel gibt es Patienten, die selber über den Schwarzmarkt herausgefunden haben, dass Cannabis bei ihrer Indikation helfe. Beim Arzt hätten sie gehört, für die Indikation gebe es keine Evidenz. Für diese Patienten seien die Telemedizinplattformen eine Anlaufstelle.

„Es gehört unter ärztliche Aufsicht“, sagte Janosch Kratz, Allgemeinmediziner mit Schwerpunkt Schmerztherapie und forschender Tätigkeit am Endometriosezentrum der Charité. Ärzte müssten sich der Cannabis-Therapie offener gegenüber zeigen.

Auch wenn sie einige Telemedizinplattformen problematisch finde: Die neue Regelung, die Warken vorschlägt, würde die Versorgungssicherheit gerade im ländlichen Raum gefährden, kritisierte Kristine Lütke (FDP). Es gebe auch Versender, die seriös arbeiten würden, mit tatsächlichen 30-minütigen Videosprechstunden. Außerdem habe sie die Sorge, dass sich dadurch der Markt in das Ausland, zum Beispiel in die Niederlande, verlagere, so Lütke.

„Die ‚Click-Telemediziner‘ müssen weg, aber eine seriöse deutsche Telemedizin mit deutschen Ärzten zu verbieten, wäre kontraproduktiv. Nötig ist ein kontrollierter Versand statt Versandverbot“, erklärte Hänsel. Cannabis härter zu behandeln als Opioide, sei nicht sinnvoll. Es gelte der Grundsatz: „Wir müssen hin zu einer Zertifizierung von Telemedizinern, die seriöse Angebote machen. Auf dem Land muss es die Möglichkeit geben, auch eine telemedizinische Versorgung zu nutzen. Ein Versandverbot bringt nichts“, so Hänsel.

Die Apotheken, die Cannabis versendeten, seien mittelständische Apotheken in Deutschland mit Versanderlaubnis, und keine ausländischen Versender. Denn die dürften Cannabis gar nicht an deutsche Patienten verschicken. Deutschland sei das einzige Land in der EU, welches Cannabis nicht mehr als Betäubungsmittel klassifiziere. Daher unterliege der Cannabis-Versand über Grenzen hinweg laut EU-Recht und UN Drug Convention weiterhin europaweit dem Betäubungsmittelrecht und sei somit verboten.

Auch Neuhaus würde sich mehr Qualitätskontrolle statt eines pauschalen Verbotes wünschen. „Wie sollen wir in der Apotheke herausfinden, ob eine seriöse Beratung stattgefunden hat?“ Es müsse eine Art Qualitätssiegel geben, etwas, woran sich die Apotheke absichern könne. „Ich kann nicht hinterfragen, was der Patient mit dem Arzt besprochen hat“, betont sie.

Freizeitcannabis aus der Apotheke?

Man müsse die Diskussion über Cannabis generell wieder versachlichen, findet Lütke. Ein legaler Markt für Freizeitkonsumenten würde die Notwendigkeit nehmen, sich über dubiose Plattformen Medizinal-Cannabis zu holen, so Hänsel. Und er würde mehr Sicherheit schaffen, denn der Dealer würde nicht nach dem Alter fragen, den Reinheitsgrad und den THC-Gehalt messen.

Auch Freizeit-Cannabis gehöre in die Beratung von Experten, wendet Neuhaus ein. „Als Apotheke sind wir bereit, diese Beratung durchzuführen.“

Mehr Forschung nötig

Es gebe außerdem in der breiten Bevölkerung zu wenig Wissen darüber, was Cannabis leisten könne, findet Kratz. Bei ganz vielen Erkrankungen wie Schlafstörungen und Stress sei eine Wirkung nicht bewiesen, im Gegensatz zum Einsatz in der Schmerztherapie. Das Problem sei die mangelnde Forschung. „Auch heute gibt immer noch riesige Fragezeichen in der Grundlagenforschung“, erklärt er. Auch bei der Klärung von Nebenwirkungen brauche man mehr Forschung.

Ein Problem bei der Forschung mit Cannabis bestehe, weil der Wirkstoff THC nicht patentierbar sei. Die Forschung müsste sich innerhalb von zehn Jahren selbst refinanzieren. Insbesondere Grundlagenforschung sei daher schwer für Unternehmen zu finanzieren. Bei solchen Arzneimittelformen müsse man über eine Mitfinanzierung des Staat nachdenken, erklärt Hänsel.

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