Kommentar

Was stimmt nicht mit Euch, Kassen?

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Berlin -

Notorische Nörgler, zwanghafte Sparer: Die Kassen nehmen im Gesundheitssystem derzeit nur noch die Rolle von Pfennigfuchsern ein. So richtig es ist, ein wachsames Auge auf die Versichertengelder zu haben: Irgendwann in den vergangenen Jahren scheint die GKV vom Kurs abgekommen zu sein und ihre Seele verkauft zu haben.

Sparsamkeit ist eine Tugend, insbesondere wenn es um anvertraute Gelder geht. Aber wenn Sparsamkeit erst zu Geiz und dann zu Missgunst wird, schlägt das Ganze schnell ins Gegenteil um und verdirbt den Charakter.

  • Sparsamkeit: der maßvolle Umgang mit Ressourcen
  • Geiz: das Vermeiden von Ausgaben um jeden Preis, auch auf Kosten des eigenen Lebensstandards
  • Missgunst: das Nichtgönnen von Erfolg, Besitz oder Vorteilen Dritten gegenüber

So zu beobachten bei den Krankenkassen, die in ihrem Sparwahn mittlerweile ihren ursprünglichen Auftrag völlig aus dem Auge verloren haben: Möglichst geräuschlos eine optimale Versorgung ihrer Versicherten zu ermöglichen – und zwar am besten von der Seitenlinie aus. Nicht umsonst gibt es das Sachleistungsprinzip, in dem Kassen im Verhältnis zwischen Patient und Heilberuf nicht zu suchen haben, sondern nur die Kosten übernehmen sollen.

Die Kassen aber sind längst nicht mehr nur die Pfennigfuchser, sondern die Spielverderber im Gesundheitssystem. Schon präventiv wird eigentlich permanent Gift und Galle in alle Richtungen verspritzt – mit etwas gutem Willen könnte man es noch als Taktik sehen, die Leistungserbringer durch permanente Gängelei möglichst klein zu halten. Was sich auch bei den Apotheken auf verschiedenen Ebenen niederschlägt – im politischen Diskurs durch immer abstrusere Liberalisierungsforderungen, in der Versorgung durch das elendige Kleinklein der Lieferverträge und in der Abrechnung durch die Retaxierung von Formfehlern.

Poltern ist Programm

Wenig überraschend, dass den Kassenvertretern im Gesundheitswesen allmählich so viel Sympathie entgegengebracht wird wie im Wirtschaftsleben etwa Betriebsprüfern oder dem Finanzamt.

  • Wenn etwa der Vertreter des GKV-Spitzenverbands im Bundestag fordert, dass der Botendienst vom Schwerbehindertenausweis abhängig gemacht wird – um gleich danach einzuräumen, dass er eigentlich überhaupt keinen Kontakt zu realen Versicherten hat.
  • Wenn ein früherer AOK-Chef sich im Hintergrundgespräch zu der freimütigen Aussage hinreißen lässt, dass Menschlichkeit und Zuwendung in der Arzneimittelversorgung eigentlich nichts zu suchen haben – dafür gebe es ja Sozialdienste.
  • Wenn der Festbetrag für Fiebersaft um lächerliche 18 Cent angehoben wird – und man sich nach einer genauso saftigen wie gerechtfertigten Preiserhöhung des einzigen verbliebenen Herstellers dann auch noch damit brüstet, die Mehrkosten vorübergehend zu übernehmen.
  • Wenn sich die Kassen dafür feiern, dass es die meisten Hilfsmittel ohne Mehrkosten gibt – und dabei verschweigen, dass ihnen die eigene Aufsicht unhaltbare Zustände attestiert hat.
  • Wenn die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands die Hersteller verantwortlich macht, sich nicht um die zuverlässige Versorgung mit zugesagten Produkten gekümmert zu haben – und gleichzeitig behauptet, dass die Berücksichtigung von Verfügbarkeiten als Zuschlagskriterium bei Ausschreibung eigentlich eine Idee der Kassen gewesen sei.

Man könnte den Standpunkt vertreten, dass Klappern – oder in diesem Fall Poltern – zum Handwerk gehört. Und dass das Maß an Überheblichkeit und Zynismus und der viele Schaum vor dem Mund nur Fassade sind, um im Gefeilsche mit den Leistungserbringern das Optimum herauszuholen.

Nur leider zeigt sich gerade jetzt, dass es die Kassen sind, die die Versorgung der Versicherten gefährden. Wenn kurz vor Weihnachten in einer der schwersten Welle an Atemwegserkrankungen seit Jahren ausgerechnet Niedrigpreisartikel wie Fiebersäfte fehlen, wenn Eltern verzweifelt sind und der Gesundheitsminister zum Handeln gezwungen wird, um seinen Job nicht zu verlieren, wenn Arztpraxen und Apotheken mit ihrem Engagement den Kollaps der Versorgung verhindern – in dieser Situation fällt den Kassen nicht Besseres ein, als die Eckpunkte als „Weihnachtsgeschenk“ an die Industrie abzulehnen und einen Engpass-Gipfel zu fordern.

Es wird Zeit, die Kassen und ihre Funktionäre auf ihren Platz zurückzuverweisen. Es wird Zeit für ein Allmacht-der-Kassen-brechen-Versorgung-sichern-Gesetz.

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