Mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens liegen auch viel schneller Daten aus der Versorgung vor. Diese sollen künftig für die Wissenschaft genutzt werden, die Koordination übernimmt das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ Gesundheit). Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat die neue Einrichtung heute gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), dem GKV-Spitzenverband und der Gesundheitsforschung eröffnet.
Das FDZ Gesundheit ist am BfArM angesiedelt und bildet künftig die zentrale Infrastruktur für die sichere Bereitstellung und Nutzung von Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken im Gesundheitswesen. Alle Daten werden zuvor durch die Vertrauensstelle am Robert Koch-Institut (RKI) pseudonymisiert oder anonymisiert. Der Zugang zu den Datensätzen kann grundsätzlich von allen Forschenden beantragt werden, also nicht nur Forschungseinrichtungen und Universitätskliniken, sondern auch Politik und Krankenkassen, Biotechnologie- und Pharmaunternehmen, Start-ups oder Patienten- und Verbraucherschutzverbänden. Voraussetzung hierfür ist allerdings ein erlaubter Nutzungszweck: Die Forschung muss der Verbesserung der Gesundheitsversorgung dienen. Marktrecherche oder Produktentwicklung ohne medizinischen Erkenntnisgewinn sind ausgeschlossen.
Die Daten werden ausschließlich in geschützten, zugangskontrollierten Analyseräumen zur Verfügung gestellt. Nur die Endergebnisse verlassen die sichere Verarbeitungsumgebung nach Prüfung durch die Mitarbeitenden am FDZ Gesundheit. Alle genehmigten Forschungsvorhaben sind in einem öffentlich einsehbaren Antragsregister dokumentiert.
Bereits heute liegen die pseudonymisierten Abrechnungsdaten aller GKV Versicherter zwischen 2009 und 2023 vollständig vor. Dies umfasst Informationen über Diagnosen, Therapien, Arzneimittelverordnungen, Krankenhausaufenthalte und die weitere Versorgung, nach Alter und Geschlecht und regional aufgeschlüsselt. Die Datensätze erlauben laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) eine pseudonymisierte Auswertung von Krankheitsverläufen. So sei es möglich, das Gesundheitswesen dynamisch auf neue Herausforderungen auszurichten. Ein Rückschluss auf einzelne Patienten sei auch rückwirkend nicht möglich.
Zusätzlich werden voraussichtlich ab Oktober 2026 die Daten, die Versicherte freiwillig aus der elektronischen Patientenakte (ePA) bereitstellen, zur Verfügung gestellt werden. In Zukunft wird das FDZ Gesundheit mit weiteren Datenquellen, etwa den Krebsregistern, vernetzt.
„Es ist ein guter Tag für die nachhaltige Verbesserung der Versorgung der Bürgerinnen und Bürger“, erklärte Warken. Nach gut sechs Jahren würden die Daten ab dem heutigen Tage für Forschung und Entwicklung zugänglich gemacht. „Daten können Leben retten. Mit dem FDZ Gesundheit schaffen wir eine zentrale Anlaufstelle für die Gesundheitsforschung in Deutschland mit bisher nicht verfügbaren Datensätzen unter Einhaltung höchster Datenschutzstandards“, so Warken. „Wir versprechen uns insgesamt schnellere Therapien, Versorgung nach Bedarf, Muster an Behandlungsmethoden und effektivere Therapien.“ Datenschutz und „Datenschatz“ hätten lange als unvereinbar gegolten; das habe man nun zusammengebracht.
BfArM-Präsident Professor Dr. Karl Broich sprach von neue Möglichkeiten für die medizinische Forschung: „Durch die Nutzung pseudonymisierter Real-World-Daten können wir Krankheiten besser verstehen und die Arzneimittelentwicklung beschleunigen. So können Patientinnen und Patienten schneller von neuen Behandlungsformen profitieren. Damit leisten wir einen entscheidenden Beitrag zu einer verbesserten Versorgung in einem wachsenden digitalen Ökosystem Gesundheit.“
Datenschutz und Sicherheit seien von Anfang an mit eingebaut worden. Auch externe Firmen hätten die Sicherheit geprüft. Dies sei ein Meilenstein in Deutschland: Die Daten sollen sektorenübergreifend ganz neue Fragestellungen für die Versorgungsforschung in Deutschland ermöglichen. Zudem seien vom Anfang an die Vorgaben des EU-Datenraums mitbedacht worden, was ein „großes Potenzial für die Forschung auf europäischer Ebene“ bedeute.
Professor Dr. Louisa Specht-Riemenschneider, Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), betonte: „Das FDZ Gesundheit setzt neue Maßstäbe für den datenschutzkonformen Zugang zu sensiblen Gesundheitsdaten. Strenge Pseudonymisierungsverfahren, gesicherte Verarbeitungsumgebungen und eine umfassende Antragsprüfung sorgen für ein hohes Schutzniveau. Natürlich können technische Systeme niemals zu 100 Prozent sicher sein, aber im FDZ wird Datenschutz nicht nur eingehalten, sondern aktiv gestaltet – als Grundlage vertrauenswürdiger und datenbasierter Forschung im Gesundheitswesen.“
Als „Meilenstein für die Transparenz im Gesundheitswesen“ sieht Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV Spitzenverbands, die Eröffnung des FDZ. „Die gesetzliche Krankenversicherung schafft dafür die Basis, zum einen durch das Bereitstellen ihrer umfassenden Abrechnungsdaten und zum anderen dadurch, dass sie das Forschungsdatenzentrum derzeit fast vollständig finanziert. Die gesetzlichen Krankenkassen werden die neuen Möglichkeiten intensiv nutzen, etwa um Präventionsangebote, Disease-Management-Programme, neue Versorgungsformen oder die Krankenhausreform gezielt im Sinne der bestmöglichen Versorgung für ihre Versicherten weiterzuentwickeln. Ich bin sicher, dass die neuen Analysemöglichkeiten beim Forschungsdatenzentrum zu Verbesserungen für Patientinnen und Patienten führen werden. Die gesetzliche Krankenversicherung wird sich mit voller Kraft hierfür einsetzen.“
Die Daten seien nahezu vollständig. Allein in der ärztlichen Versorgung würden 600 Millionen Datensätze mit acht Milliarden Einträgen zu Diagnosen und Abrechnungen übermittelt. Dazu kämen Daten aus Krankenhaus, Arzneimittel und Pflege. Die gesetzlichen Krankenkassen würden die neuen Möglichkeiten intensiv nutzen, zum Beispiel für Prävention, neue Versorgungskonzepte und bedarfsgerechte Krankenhausplanung.
Lob kommt auch von Han Steutel, Präsident des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen (vfa):In den Daten steckten viele Informationen, die für die Wirksamkeit von Medikamenten genutzt werden könnten – etwa um Muster zu erkennen, bei wem welches Medikament wirke. „So zahlt die Forschung darauf ein“, betonte er. Es sei wichtig, dass auch Pharmaunternehmen forschen könnten.
Steutel nannte drei wichtige Punkte: Es müssten weitere Datenquellen hinzukommen, zum Beispiel die Daten aus dem Krebsregister, das FDZ brauche mehr Personal und Ressourcen und müsse zügig an den European Health Data Space (EHDS) angeschlossen werden, um auf eine größere Patientenbasis zugreifen zu können.
Von einem ersten richtigen Schritt für eine bessere Nutzung von Patientendaten im Gesundheitswesen sprach Professor Dr. Michael Hallek, Direktor Klinik I für Innere Medizin und Centrum für Integrierte Onkologie Köln. „Daten sind heute unverzichtbarer Motor wissenschaftlicher Innovation. Gerade in der Krebsforschung, also meinem Arbeitsgebiet, ist der Zugang zu hochwertigen, strukturierten und datenschutzkonformen Patientendaten eine Voraussetzung für die Entwicklung neuer Diagnoseverfahren, personalisierter Therapien und präventiver Maßnahmen. Durch die zentrale Bündelung und intelligente Vernetzung von Forschungsdaten wird auch die translationale Forschung beschleunigt – Erkenntnisse aus der Klinik gelangen schneller ins Labor und von dort wieder zurück in die Anwendung. So entsteht aus Daten Fortschritt: für die Patientinnen und Patienten.“
Er führte ein Beispiel an: Die Behandlung von Leukämie habe sich revolutioniert. Man wisse aber oft nicht, wie häufig die richtige, moderne Therapie angewandt werde. Man wisse auch nicht, wem sie nütze, zum Beispiel für älteren Menschen, weil Studien häufig mit jüngeren Probanden durchgeführt würden.
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