Video-Spezial Wahlprogramme

Müller-Vogg: „Kataloge der Unverbindlichkeiten“

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Berlin -

Sommer 2013: Deutschland ist mitten im Wahlkampf. Ob mit „Gemeinsam

erfolgreich“ oder „Das WIR entscheidet“: Die Parteien werben – mit teils

vollmundigen Versprechen – um die Gunst der Wähler. Wer genauer wissen

will, was ihn mit der einen oder anderen Partei nach der Wahl erwartet,

der kann die Wahlprogramme studieren. Rund 400 Seiten kommen bei den

sechs großen Parteien insgesamt zusammen. Aber was ist so ein

Wahlprogramm eigentlich wert?

„Das Wahlprogramm ist ein Katalog der Unverbindlichkeiten – das ist wie ein Warenhauskatalog ohne Preisangaben“, sagt Dr. Hugo Müller-Vogg, Journalist und Publizist. Wahlprogramme seien auch unverbindlich wegen der geringen Wahrscheinlichkeit, dass eine Partei die absolute Mehrheit bekomme: „Wird eine Koalitionsregierung gebildet, dann muss jede Partei Abstriche machen. Man kann dann immer behaupten, man habe etwas gewollt, aber der Koalitionspartner habe es nicht zugelassen.“

Insofern sei keineswegs garantiert, dass alle Punkte in den Wahlprogrammen im Falle einer Regierungsbeteiligung auch tatsächlich abgearbeitet würden, so der Bild-Kolumnist: „Jede Partei kann im Kompromiss mit dem Koalitonspartner einige Punkte durchsetzen, auf andere muss sie verzichten. Man weiß nicht genau, was vom Wahlprogramm in das Regierungshandeln mündet und was nicht.“

Wenn die Wahlprogramme lediglich Erwartungshaltungen bedienen – für wen sind sie dann überhaupt gemacht? „Wahlprogramme werden einmal gemacht für die Parteiaktivisten, aber auch für die Journalisten – damit sie etwas zu schreiben haben – und für die Lobbyisten: Man bedient mit den Wahlprogrammen sehr gezielt auch die jeweiligen Interessengruppen, die der Partei nahe stehen.“

Laut Müller-Vogg sind die Wahlprogramme in erster Linie ein großer Kompromiss unter den verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei. Der Weg dahin kann sehr unterschiedlich sein: „Teilweise werden die Mitglieder mit einbezogen, teilweise gibt es eigene Programmkonferenzen. Letzten Endes wird der Feinschliff gemacht von der Parteizentrale und das, was an unmittelbarer Mitwirkung vonstatten geht, ist eher Kosmetik.“

Die Apotheken kommen vergleichsweise selten vor: Nur CDU/CSU, FDP und Die Linke beziehen mehr oder wenig klar Position. Besonderes Augenmerk sollte man auf die genauen Formulierungen legen. „Wenn es heißt 'Wir werden', dann ist es eine festere Absicht als wenn man sagt: „Wir wollen“ oder 'Wir streben an'“, so Müller-Vogg. Noch unverbindlicher sei es, wenn es etwa heiße: „Das Steuersystem muss einfacher werden“. „Was soll man damit anfangen? Man braucht einen, der es dann auch vereinfacht.“

Doch egal, welche Koalition demnächst den Kurs im Kanzleramt bestimmen wird: Kaum ein Programm ist frei von Widersprüchen. Wie geht man damit um, wenn man als Berufsgruppe mit gegensätzlichen Aussagen konfrontiert wird? Müller-Vogg: „Dann können Sie ihren örtlichen Abgeordneten fragen, was er davon hält. Und dann werden sie schnell feststellen, dass ihr Abgeordneter das Programm wahrscheinlich gar nicht so genau gelesen hat.“

Fassen wir zusammen: Wenn Wahlprogramme nicht mehr als unverbindliche Kataloge der Absichten sind, dann kann man eigentlich nur in die Vergangenheit blicken und auf gut Glück wählen. Wie soll man da am Ende nicht politikverdrossen werden?

„Als Journalist ist man permanent in der Gefahr, zu schwanken zwischen Idealismus und Zynismus“, sagt Müller-Vogg und verrät seine Lösung: „Ich sage mir, das ist so wie im wahren Leben: Auch in zwischenmenschlichen Beziehungen oder Beziehungen zu Kollegen oder im Freundeskreis: Da wünscht man sich manches, aber man weiß, man kriegt nicht alles.“

Einen Gastbeitrag von Dr. Hugo Müller-Vogg zu den „Überraschungseiern“ der Parteien und alles zur Bundestagswahl bietet das APOTHEKE ADHOC Dossier „Die Unwählbaren“. Dazu gibt es zusätzlich ein limitiertes DinA2-Plakat „Die Unwählbaren“ – so lange der Vorrat reicht.

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