Das Europäische Parlament, der Ministerrat und die Kommission haben sich in der vergangenen Nacht auf eine umfassende Reform des europäischen Arzneimittelrechts geeinigt. Künftig sollen europaweit unter anderem strengere Regeln für den Einsatz von Antibiotika, die verpflichtende Einführung des digitalen Beipackzettels und Verfahren, um die Zulassung von innovativen Arzneimitteln zu verbessern, gelten. Die gesundheitspolitischen Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP-Christdemokraten), Dr. Peter Liese und Oliver Schenk, sprechen von einem wichtigen Durchbruch für den Gesundheitsschutz, die Versorgungssicherheit und die Innovationsfähigkeit in Europa.
„Mit dieser Einigung stärken wir Europas Fähigkeit, Innovationen schneller und sicher zu den Patientinnen und Patienten zu bringen. Für mich ist besonders wichtig, dass wir mit der Reform nicht nur die Versorgung verbessern, sondern auch die Rahmenbedingungen für die Entwicklung und Zulassung neuer Arzneimittel modernisieren. Damit machen wir Europa wieder attraktiver für pharmazeutische Innovationen und erhöhen zugleich die Resilienz unseres Life-Science-Sektors“, betonte Schenk. Das Maßnahmenpaket sei ein entscheidender Schritt hin zu einem widerstandsfähigeren und dynamischeren Life-Science-Sektor in Europa und beweise, dass Europa die notwendigen Entscheidungen zum Schutz europäischer Interessen treffen könne.
„Die Reform der europäischen Arzneimittelpolitik ist extrem wichtig für die Gesundheit, aber auch für die Wettbewerbsfähigkeit der pharmazeutischen Industrie. Zulassungsverfahren werden beschleunigt und vereinfacht, ohne dass dies auf Kosten der Sicherheit geht. Besonders wichtig ist für mich der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie jedes Jahr 35.000 Menschen in der Europäischen Union sterben, weil Antibiotika ihre Wirkung verlieren“, ergänzte Liese.
Künftig sollen demnach europaweit strengere Regeln für den gezielten Einsatz von Antibiotika gelten, um Fehlanwendungen zu vermeiden. Politisch vereinbart seien unter anderem eine grundsätzliche ärztliche Verschreibung, der Einsatz von besserer Diagnostik vor der Anwendung sowie die Einführung einer verpflichtenden Informationskarte in Antibiotika-Packungen, die über einen verantwortungsvollen Umgang aufklärt. Gleichzeitig solle ein neuer Anreiz für die Entwicklung neuer Antibiotika eingeführt werden: Unternehmen, die neue Wirkstoffe entwickeln, sollen künftig einen Gutschein erhalten, mit dem sie die exklusive Vermarktungsdauer eines anderen Medikaments um ein Jahr verlängern können. Dadurch solle das Problem gelöst werden, dass neue Antibiotika für die Industrie unter normalen Umständen nicht wirtschaftlich interessant seien, weil sie aus guten Gründen nur sehr selten eingesetzt werden dürfen.
„Neue Antibiotika gehören in den Panzerschrank. Deswegen lassen sich damit normalerweise keine Gewinne erzielen. Sie müssen aber unbedingt auf den Markt kommen, weil wir sonst das Problem, dass Tausende Menschen an resistenten Keimen sterben, nicht bekämpfen können. Der Voucher ist ein riesiger Schritt zur Lösung dieses Problems“, so Liese.
Ein weiterer zentraler Fortschritt sei die Einführung des verpflichtenden digitalen Beipackzettels. Arzneimittelinformationen sollen demnach künftig auch elektronisch abrufbar sein. Der gedruckte Beipackzettel bleibe zunächst bestehen, könne aber perspektivisch entfallen.
„Die Einführung eines elektronischen Beipackzettels halte ich für einen riesigen Fortschritt. Er erleichtert Patientinnen und Patienten den Zugang zu wichtigen Informationen, vor allem auch dann, wenn sie im Ausland sind. Im Gegensatz zum weit verbreiteten Vorurteil ist das sogar ein Vorteil für ältere Menschen. Den Beipackzettel aus Papier können viele wegen der kleinen Schrift gar nicht lesen. Wenn man einen elektronischen Beipackzettel hat, kann man sich die Schrift vergrößern und sich sogar den Beipackzettel vorlesen lassen. Ich gehe davon aus, dass der Beipackzettel aus Papier in einigen Jahren der Vergangenheit angehören wird und wir damit gleichzeitig viele Ressourcen schonen können“, erklärte Liese.
Außerdem sollen einige Verfahren eingeführt werden, um die Zulassung von innovativen Arzneimitteln in Europa deutlich zu verbessern, zum Beispiel der sogenannte „Rolling Review“, der sich schon in der Corona-Pandemie bewährt habe. Unternehmen könnten dadurch schon während der klinischen Prüfungen Teile der Ergebnisse bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur einreichen und damit gezielt auf Bedenken oder Vorschläge der EMA eingehen, ohne dass sie viel Zeit verlieren. Außerdem gebe es in dem Text Bestimmungen, dass Unternehmen bei absehbaren Lieferproblemen schneller die Behörden informieren müssten und die Europäische Arzneimittel-Agentur eine koordinierende Rolle bei der Bekämpfung von Arzneimittelknappheit übernehmen werde.
„Auch dies sind wichtige Schritte, um die Arzneimittelknappheit zu bekämpfen. Einen wirklichen Durchbruch wird aber nur der Critical Medicines Act bringen, den wir kurzfristig im Europäischen Parlament auf den Weg bringen werden. Hier ist zum Beispiel vorgesehen, dass Unternehmen, die in der EU produzieren, bei den Ausschreibungen einen deutlichen Vorzug erhalten“, kommentierten Schenk und Liese.
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