Preisbindung und Versandhandel

Debatte um Rx-Boni: Ist ein Verbot realistisch?

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Berlin -

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat kürzlich betont, dass sie Rx-Boni ablehnt. Gleichzeitig bekräftigte sie, nach der parlamentarischen Sommerpause ein Gesetzespaket für die Apotheken vorlegen zu wollen. Das Thema gewinnt zusätzlich an Brisanz, da der Bundesgerichtshof (BGH) den Versandhandel von der Rx-Preisbindung noch einmal ausgeklammert hat. Können Rabatte auf Rezepte rechtssicher verboten werden? Oder sollte Deutschland sogar ganz auf Rx-Versand verzichten – wie es in vielen anderen europäischen Ländern gelebte Praxis ist?

„Diese Praxis untergräbt das in Deutschland geltende Prinzip der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel“, findet auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Union, Simone Borchardt. Boni und Rabatte benachteiligten die Vor-Ort-Apotheken: Diese seien klar an die Preisbindung gebunden, während ausländische Versender versuchten, darüber Wettbewerbsvorteile zu erlangen. „Das ist nicht nur eine rechtliche Grauzone, sondern gefährdet langfristig die flächendeckende Arzneimittelversorgung in unserem Land. Arzneimittel sind keine handelsüblichen Konsumgüter – ihre Abgabe muss fair, verlässlich und sicher erfolgen.“

Unklarheiten beseitigen

Hinsichtlich des jüngst ergangenen Urteils des BGH stellt sie klar: Dieses beziehe sich auf einen Sachverhalt aus dem Jahr 2012, also auf eine Zeit vor dem Inkrafttreten des Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetzes (VOASG) im Jahr 2020. Seitdem habe sich ihrer Auffassung nach die Rechtslage entscheidend verändert: „Die sozialrechtliche Preisbindung ist heute klar und eindeutig im Sozialgesetzbuch (SGB V) verankert und gilt weiterhin.“ Gleichwohl räumt die Gesundheitspolitikerin ein, mache das Urteil deutlich, dass die rechtliche Ausgestaltung in diesem Bereich auch weiterhin aufmerksame Begleitung und gegebenenfalls auch eine rechtspolitische Weiterentwicklung brauche – „mit dem Ziel, gleiche Rahmenbedingungen für alle Akteure sicherzustellen und bestehende Unklarheiten zu beseitigen“.

Um die Gleichbehandlung aller Leistungserbringer im Bereich der Arzneimittelversorgung zu gewährleisten, brauche es eine verlässliche und rechtssichere Grundlage – unabhängig vom Vertriebsweg oder Unternehmenssitz. „Dazu gehört auch eine Klarstellung, wie die sozialrechtlich verankerte Preisbindung in der Praxis konsequent durchgesetzt werden kann. Entscheidend ist, faire Wettbewerbsbedingungen zu sichern und das Vertrauen in eine geregelte Arzneimittelversorgung aufrechtzuerhalten“, so Borchardt.

Kein Verstoß gegen EU-Recht

In der Debatte geht es weniger um die nationale Rechtslage und vielmehr um das EU-Recht. Borchardt hält ein Rx-Boni-Verbot allerdings für vereinbar mit den europäischen Vorgaben. Hierbei gehe es nämlich nicht um eine Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit, sondern um sozialrechtliche Regelungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). „Der EuGH hat in früheren Urteilen klargestellt, dass Mitgliedstaaten das Recht haben, innerhalb ihrer sozialen Sicherungssysteme Regelungen zur Sicherstellung einer gleichwertigen Versorgung zu treffen. Mit dem VOASG wurde dieses Prinzip bereits verankert. Ziel ist keine Einschränkung des freien Handels, sondern die Gleichbehandlung aller Leistungserbringer im GKV-System“, betont die Gesundheitspolitikerin.

Borchardt begrüßt zudem das angekündigte Gesetzespaket des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) und betont, dass dabei auch die Weiterentwicklung bestehender Regelungen zur Preisbindung geprüft werden sollten. „Unser Anliegen ist es, gemeinsam mit allen Beteiligten Lösungen zu finden, die sowohl der wirtschaftlichen Realität der Apotheken als auch den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten gerecht werden.“

Gesundheitspolitiker Ates Gürpinar (Linke) würde noch einen Schritt weiter gehen und spricht sich für ein Rx-Versandverbot aus. Foto: APOTHEKE ADHOC

Linke für Rx-Versandverbot

Auch Oppositionspolitiker Ates Gürpinar kritisiert die Ungleichbehandlung der Versender. Im Gegensatz zur Union will die Linke aber einen Schritt weiter gehen. „Wir haben den Versandhandel von Rx-Arzneimitteln immer für falsch gehalten. Dabei geht es nicht primär um die Boni, sondern um den Wegfall der persönlichen Beratung. Es kann nicht garantiert werden, dass Medikamente so geliefert werden, wie es notwendig wäre.“ Auch er bewertet das BGH-Urteil zum Thema kritisch. Auf den ersten Blick brächten der Versand und die Rabatte zwar einen Vorteil für die Patient:innen, „doch tatsächlich ist die Praxis wegen der fehlenden Beratung und vor allem für ältere Menschen negativ – sie ziehen am Ende den Kürzeren“.

Wenn ein komplettes Verbot politisch nicht durchsetzbar sei, müsste der Versandhandel zumindest streng reguliert werden. „Dann muss man es über konkrete Maßnahmen machen, etwa über Vorgaben zur sicheren Zustellung.“ Er verwies auf einen Fall, in dem ein Patient sein Medikament nicht erhielt, weil er bei der Lieferung nicht zu Hause war. Er habe nur eine Benachrichtigung bekommen – sein Rezept sei aber hinfällig gewesen. „Solche Umstände sind für Betroffene unzumutbar.“

Bei Cannabis auch möglich

Dass ein vollständiges Versandverbot unmöglich sei, glaubt er nicht. Zwar sei es rechtlich natürlich schwieriger, eine einmal erlaubte Praxis wieder zu untersagen, „aber es scheint machbar“. Schließlich gebe es Länder innerhalb der EU, die ein Verbot von Rx-Arzneimitteln haben. Als weiteres Beispiel nennt er die Debatte über ein mögliches Verbot des Cannabis-Versands. „Wenn man dort Einschränkungen erwägt, ist es nicht nachvollziehbar, warum bei teilweise deutlich gefährlicheren Arzneimitteln keine Konsequenzen gezogen werden.“ Die Sicherheit der Patient:innen müsse dabei im Vordergrund stehen.

Die Apotheken befänden sich seit Langem in einer prekären Situation. Zwar begrüßt Gürpinar die klaren und konkreten Maßnahmen für die Branche im Koalitionsvertrag. Um den Apotheken wirksam zu helfen, müsse aber unbedingt auch das Problem mit dem Versandhandel mit angegangen werden. Sonst bleibe die Lage für Apotheken und Patient:innen gleichermaßen schwierig. Er jedenfalls wäre bereit, den im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen zuzustimmen. Die Lage der Apotheken sei lange in einer prekären Situation, aber vermutlich nicht das akuteste Problem auf der Agenda der Regierung, schätzt der Linken-Politiker.

BMG prüft

Das BMG will nach der Sommerpause mindestens Eckpunkte für eine Apothekenreform vorlegen. „Gesetzliche Regelungen in Bezug auf das Apothekenwesen werden derzeit im BMG erarbeitet“, bestätigte ein Sprecher. Ob sich dort auch Regelungen zu Rx-Boni und Rabatten finden wird, bleibt abzuwarten. Auf Nachfrage erklärte eine Sprecherin: „Wir prüfen die Rechtslage, wir prüfen etwaigen Regelungsbedarf.“

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