Antibiotika-Forschung stockt

„Wir rennen offenen Auges in eine Versorgungslücke“

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Berlin -

Anlässlich der Europäischen Antibiotikawoche lud Pharma Deutschland in seine Hauptgeschäftsstelle in Berlin zu einer Veranstaltung unter dem Titel „Antibiotika-Forschung sichern, Versorgung stärken“ ein. Es diskutierten Corinna Templin, Direktorin Market Access und Pricing bei Berlin-Chemie, Dr. Esther Wohlfarth, Hauptgeschäftsführerin von Antiinfectives Intelligence, und Dr. Elmar Kroth, stellvertretender Hauptgeschäftsführer von Pharma Deutschland. Im Fokus standen Antibiotikaresistenzen, die mikrobiologische Forschung und die Problematik von Reserveantibiotika.

„Antibiotika gehören zu den wichtigsten Arzneimitteln“, erklärte Kroth. Nötig seien sie sowohl in ihrer Verfügbarkeit als auch in ihrer Vielfalt. Doch der Nachschub an neuen Antibiotika stocke. Das sei problematisch, weil Bakterien Resistenzen entwickeln. „Das ist kein neues Problem, das war schon immer so“, betonte er. Auch bei geringem Einsatz seien schon Resistenzen zu beobachten gewesen. Daran werde man nie etwas ändern können; die einzige Strategie sei, dass man stetig neue entwickle und verantwortungsvoll mit ihnen umgehe.

Dazu gehöre sowohl das verantwortungsvolle Verschreiben als auch die verantwortungsvolle Einnahme – zum Beispiel, dass der Patient eine Therapie nicht frühzeitig abbricht, weil er sich besser fühlt.

Nicht nur die Entwicklung neuer Antibiotika stocke, auch der Bestandsmarkt habe mit der Preissituation zu kämpfen. Das gelte für den gesamten Generikamarkt, erklärte Kroth, doch besonders bei Antibiotika seien die Preise sehr niedrig. „Das macht es nicht attraktiv, im Markt zu bleiben und besonders nicht attraktiv, neue Produkte zu vermarkten.“ Besonders schwierig sei es noch einmal bei Reserveantibiotika, die als „Last Resort“ eingesetzt werden, weil diese naturgemäß wenig eingesetzt werden sollen, erklärte Kroth.

Lagebild und Pipeline-Lücken

„Antibiotika-Resistenzen gehen uns alle an“, erklärte Wohlfarth. 2021 habe es global rund 4,7 Millionen Todesfälle im Zusammenhang mit resistenten Keimen gegeben. Laut Prognosen könnte diese Zahl bis 2050 auf 8,2 Millionen ansteigen.

Nach der Entdeckung des Penicillins habe es einige Jahre eine „goldene Ära“ der Antibiotikaentwicklung gegeben, doch dann habe diese abgenommen. Zwar seien um 2020 herum noch einmal neue Medikamente auf den Markt gekommen, aber hauptsächlich Reserveantibiotika, mahnte sie.

„Wir rennen offenen Auges in eine Versorgungslücke, weil wir nicht mehr viel in der Pipeline haben“, erklärte sie. Die Entwicklung neuer Wirkstoffe dauere im Schnitt 15 Jahre. Doch gerade die fortlaufende Entwicklung sei wichtig, denn die Problematik bleibe bestehen, dass unmittelbar nach dem Inverkehrbringen des Antibiotikums auch erste Resistenzen auftreten.

Was vor allem fehlt, sind neue Substanzklassen, ergänzte Wohlfarth. Aktuell würden sehr spezifisch Wirkstoffe kombiniert, um neue Sparten zu schließen. Grundlagenforschung sei nötig, aber noch schwieriger in der Finanzierung zu erhalten. Auch Wohlfarth mahnte daher zur Vorsicht bei der Anwendung der Substanzen.

Resistenzen Europaweit und globale Risiken

Bei Resistenzen sehe es in Deutschland noch verhältnismäßig gut aus, im Vergleich zu anderen Ländern in Europa. Allerdings dürfe man sich nicht in falscher Sicherheit wiegen, denn Deutschland sei kein abgeschlossenes System. So könnten zum Beispiel Urlauber Keime aus dem Ausland einschleppen. Gravierender könnten sich zukünftig auch Krisen auswirken. Als aktuelles Beispiel führte sie den Ukraine-Krieg an. Verwundete, die in Deutschland behandelt würden, könnten mit anderen resistenten Stämmen nach Deutschland kommen. Dies sei relevant, weil gerade jetzt mit Kriegsgefangenen auch aus anderen Ländern Leute mit Kontakt zu anderen Keimen kommen würden.

Auch die Abhängigkeit von Indien und China für Grundstoffe ist nach wie vor dramatisch, warnte Kroth. Im Krisenfall ist man abgeschnitten und die Hände sind gebunden, ergänzte Wohlfarth.

Sie verwiesen auf die Zentralstelle für die Auswertung von Resistenzdaten bei systemisch wirkenden Antibiotika (Z.A.R.S.), welche die Zusammenführung von Datenbanken Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), des Robert-Koch-Instituts (RKI), des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) und verschiedener Referenzzentren leiste.

Bei MRSA habe es in Deutschland 2004 viele resistente Stämme gegeben. Unter anderem durch Hygienestandards habe man die Situation bis 2024 in Deutschland stark verbessern können. In anderen Ländern sei das weniger gut gelungen. Bei 3GC dagegen habe sich die Situation zwischen 2005 und 2024 auch in Deutschland verschlechtert. Auch bei Carbapenem-Resistenzen seien die Stämme zwischen 2005 und 2024 in Deutschland leicht gesunken, allerdings sei es in anderen europäischen Ländern schlimmer geworden.

Reserveantibiotika – Wirtschaftliche Anreize fehlen

Gerade die Forschung an Reserveantibiotika lohne sich kaum. Templin sprach von einem „Reserveantibiotika-Dilemma“. Je nach Resistenzlage bediene man nur eine sehr geringe Patientenzahl.

So habe Berlin-Chemie ein neues Reserveantibiotikum (Vaborem) auf den Markt gebracht. Das Arzneimittel sei in anderen Ländern der EU schon länger auf dem Markt gewesen. In Deutschland habe man lange gezögert, weil die Resistenzlage im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch sehr gering sei.

„Eine qualitätssichere Anwendung bedeutet, dass der Einsatz eben nur erfolgt, wenn keine anderen Optionen bestehen“, wiederholte Templin. Das sei auch einer der Gründe, warum Deutschland noch so gut dastehe. Allerdings stünden die Hersteller dadurch vor betriebswirtschaftlichen Problemen, da die anfallenden Kosten gedeckt werden müssten, erklärte sie. Wenn durch den Vertrieb eines neuen Antibiotikums nicht einmal die Entwicklungskosten gedeckt werden könnten, bestehe kein Anreiz für Hersteller zu entwickeln.

Gleichzeitig sei das Erstattungssystem in Deutschland so ausgelegt, dass auch die Krankenhäuser angehalten seien, teurere Antibiotika zu vermeiden. Denn das DRG-System berücksichtige die Kosten von Reserveantibiotika nicht. Derzeit sei es in Deutschland nicht möglich, die Kosten mit dem Produkt zu decken; das Geld müsse im allgemeinen Krankenhausbudget gefunden werden. Klinisch indizierter Einsatz von Reserveantibiotika führe zum finanziellen Nachteil des Krankenhauses – ein Anreiz, teurere Antibiotika zu vermeiden.

Anreize und Lösungsmodelle

Es habe in der Vergangenheit bereits einen Versuch gegeben, die Entwicklung von Reserveantibiotika attraktiver zu gestalten. Der Preis für das Reserveantibiotikum solle frei festgelegt und nicht an einen Zusatznutzen oder eine Nutzenbewertung gekoppelt werden; der Preis, mit dem man auf den Markt gehe, bleibe bestehen. Dennoch bleibe man in einem Marktumfeld und Preise auch für Reserveantibiotika seien im Vergleich zu anderen lebensrettenden Maßnahmen nicht sehr hoch. Außerdem werde so das Problem der Kostenübernahme bei den Krankenhäusern nicht gelöst. Ein Anreiz löse die Problematik nicht, auch ein etwas höherer Preis decke die Kosten nicht.

Templin erklärte, dass die Behandlung eines Patienten mit einem Reserveantibiotikum 1000 bis 10.000 Euro koste. Orphan Drugs dagegen hätten im Vergleich jährliche Behandlungskosten von 100.000 bis 200.000 Euro, die bis in die Millionen gehen könnten.

Anderer Ansatz: UK-Modell

In Großbritannien gebe es das Subscription-Modell: Die Kosten für das Reserveantibiotikum würden von der Patientenzahl entkoppelt. Ein Grundbudget werde vereinbart und dieses werde bezahlt, unabhängig vom Einsatz. Auch in Italien gibt es ein ähnliches Modell: 100 Millionen Euro als Topf für alle Reserveantibiotika, ergänzte Kroth.

Woher soll das Geld kommen?

„Können wir es uns leisten, Menschen mit resistenten Keimen nicht zu behandeln?“, so Kroth. Allerdings könne Deutschland allein das Problem nicht lösen. „Arzneien werden global entwickelt und brauchen globale Märkte.“ Das grundlegende Geschäftsmodell der Eigenfinanzierung und Refinanzierung funktioniere bei diesen Arzneimitteln nicht. Hier brauche es alternative Modelle.

Forschungsförderung sei dabei sicher ein Weg, aber dauere lange.

„Wir müssen im breiten Generika-Bereich über die Preise reden. Wir sind bei einstelligen Centbeträgen bei einer Packung Antibiotika. [Der Preis] muss steigen, damit wenigstens die Produkte erhalten bleiben, die wir haben“, betonte Kroth. Da müsse dringend nachgebessert werden. Auch zu langes Behandeln mit Breitspektrum-Antibiotika treibe Resistenzen in die Höhe.

Die Möglichkeit, die Kosten für Reserveantibiotika bei Krankenhäusern zur Kostenübernahme mit aufzunehmen, müsse geprüft werden.

Verschlechterung durch KARL?

Antibiotika und Abbauprodukte seien im Abwasser vorhanden und für die aquatischen Stoffe relevant. Hierfür brauche man die vierte Abwasserstufe. Die Kosten hierfür könnten – auch wenn sie hochrelevant seien – nicht überwälzt werden. Im Generikamarkt seien diese in einer Größenordnung, die etwa dem Umsatz gleichkommen. Dies kann das Problem im Antibiotikabereich dramatisch verschlimmern, erklärte Kroth.

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