Sehschwäche im Alter

Pilocarpin/Diclofenac: Augentropfen statt Lesebrille

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Berlin -

Fast jeder Mensch entwickelt im Laufe des Lebens eine Presbyopie, also Altersweitsichtigkeit, die das Scharfstellen auf nahe Objekte erschwert. Üblicherweise wird dies mit einer Lesebrille ausgeglichen. Eine Forschungsarbeit aus Argentinien zeigt, dass auch spezielle Augentropfen helfen könnten. Werden sie zwei- bis dreimal täglich angewendet, verbessert sich die Nahsicht deutlich – und die Wirkung kann bis zu zwei Jahre anhalten.

Bei Presbyopie handelt es sich um eine altersbedingte Sehschwäche, die durchschnittlich ab einem Alter von etwa 40 Jahren beginnt. Durch den Elastizitätsverlust der Augenlinse kann das Auge nicht mehr problemlos zwischen nahen und fernen Objekten scharfstellen. Besonders beim Lesen oder bei Arbeiten im Nahbereich wird das Sehen dadurch unscharf.

In der retrospektiven Untersuchung wurden Daten von 766 Patientinnen und Patienten analysiert, im Durchschnitt 55 Jahre alt, darunter 373 Frauen und 393 Männer. Eine Auswertung nach Geschlecht erfolgte nicht, geschlechtsspezifische Unterschiede in Wirkung oder Nebenwirkungen wurden nicht berichtet.

Kombination aus Pilocarpin und Diclofenac

Die Tropfen wurden zweimal täglich verabreicht, morgens und etwa sechs Stunden später; bei Bedarf konnte eine dritte Gabe folgen. Entwickelt wurde die Rezeptur von Jorge Benozzi, dem verstorbenen Vater der Studienleiterin Giovanna Benozzi. Sie enthält Pilocarpin, ein Parasympathomimetikum aus der Gruppe der Muskarinrezeptor-Agonisten, das die Pupille verengt und die Fokussierung verbessert, sowie das entzündungshemmende nichtsteroidales Antirheumatikum Diclofenac, das Nebenwirkungen abmildert.

„Wir führten diese Untersuchung durch, weil es einen erheblichen ungedeckten medizinischen Bedarf in der Behandlung der Presbyopie gibt. Die derzeitigen Lösungen wie Lesebrillen oder chirurgische Eingriffe haben Einschränkungen, darunter Unannehmlichkeiten, soziale Belastungen und mögliche Risiken. Es gibt eine Gruppe von Patientinnen und Patienten, die außer einer Brille kaum Optionen haben und nicht für eine Operation infrage kommen; auf diese konzentrieren wir uns in besonderem Maße“, erklärte Benozzi.

Hohe Erfolgsraten unabhängig von der Dosierung

Die Teilnehmenden wurden in drei Gruppen eingeteilt, die jeweils Tropfen mit 1 Prozent, 2 Prozent oder 3 Prozent Pilocarpin erhielten. Bereits eine Stunde nach der ersten Anwendung konnten sie im Durchschnitt 3,45 zusätzliche Zeilen auf der Jaeger-Tafel lesen. „Unser wichtigstes Ergebnis zeigte schnelle und anhaltende Verbesserungen der Nahsicht bei allen drei Konzentrationen. Die Behandlung verbesserte zudem die Fokussierung in allen Entfernungen“, berichtete Benozzi.

In der Gruppe mit 1 Prozent Pilocarpin erreichten 99 Prozent von 148 Teilnehmenden eine optimale Nahsicht und konnten mindestens zwei zusätzliche Zeilen lesen. In der 2-Prozent-Gruppe waren es 69 Prozent von 248 Personen, die drei oder mehr Zeilen schafften, und in der 3-Prozent-Gruppe 84 Prozent von 370 Patientinnen und Patienten. Nach einem Jahr verfügten noch 83 Prozent über eine funktional gute Nahsicht, die mittlere Dauer der Sehverbesserung betrug 434 Tage.

Wirkung abhängig vom Schweregrad

Nebenwirkungen waren meist mild: Vorübergehendes gedimmtes Sehen trat bei 32 Prozent auf, Irritationen beim Eintropfen bei 3,7 Prozent und Kopfschmerzen bei 3,8 Prozent. Niemand brach die Behandlung ab, schwerwiegende Komplikationen wie erhöhter Augeninnendruck oder Netzhautablösungen wurden nicht beobachtet.

„Nahezu alle Patientinnen und Patienten erfuhren positive Verbesserungen ihrer Nahsehschärfe, wenngleich das Ausmaß vom Ausgangszustand abhing. Unsere Studie zeigte, dass optimale Pilocarpin-Konzentrationen je nach Schweregrad der Presbyopie angepasst werden können“, sagte Benozzi. „Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Kombinationstherapie eine sichere, wirksame und gut verträgliche Alternative zum bisherigen Presbyopie-Management bietet. Sie reduziert die Abhängigkeit von der Lesebrille erheblich und stellt eine bequeme, nicht-invasive Option dar.“

Aussagekraft eingeschränkt

Expert:innen weisen jedoch darauf hin, dass es sich um eine retrospektive Untersuchung aus einem einzigen Zentrum handelt. Professor Burkhard Dick, Präsident elect der European Society of Cataract and Refractive Surgeons und Direktor der Augenklinik am Universitätsklinikum Bochum, sagte: „Die Untersuchung von Dr. Benozzi deutet darauf hin, dass Augentropfen mit Pilocarpin und Diclofenac die Nahsicht bis zu zwei Jahre verbessern können. Allerdings bedeutet das eingeschränkte Studiendesign, dass die Ergebnisse nicht für alle gelten müssen. Langfristige, multizentrische Studien sind nötig, um Sicherheit und Wirksamkeit zu bestätigen.“

Die Studie mit dem Titel „Dose-dependent efficacy and safety of pilocarpine-diclofenac eye drops for presbyopia: a real-world single-center study“ wurde von Giovanna Benozzi am Center for Advanced Research for Presbyopia in Buenos Aires durchgeführt und beim 43. Kongress der European Society of Cataract and Refractive Surgeons in Kopenhagen vorgestellt und veröffentlicht..

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