Irreversible Veränderungen

Adipositas: Arbeit gegen das eigene Gehirn

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Berlin -

Adipositas ist eine chronische Ernährungs- und Stoffwechselstörung mit Krankheitswert, die durch starkes Übergewicht und positive Energiebilanz gekennzeichnet ist. Betroffene müssen oft hören, dass eine Abnahme und Sport doch die Lösung sei. Dieses Konzept ist jedoch längst obsolet, bestätigt Dr. Ruth Hanßen, Fachärztin für Innere Medizin und Endokrinologie. „Adipositas ist für Erkrankte mit einer lebenslangen Arbeit gegen das eigene Gehirn verbunden“, so die Expertin.

Von einer Adipositas sind weltweit mittlerweile etwa eine Milliarde Menschen betroffen und 25 Prozent der deutschen Bevölkerung. Die Ernährungsumgebung spielt dabei eine erhebliche Rolle. Denn Fakt ist: Fett- und zuckerreiche Lebensmittel haben direkte Auswirkungen auf das Gehirn. „Der Konsum von hoch verarbeiteten Nahrungsmitteln und Süßgetränken verändert langfristig den Stoffwechsel“, so Hanßen.

Adipositas-Betroffene müssen demnach ein lebenslang gegen den eigenen Kopf arbeiten, denn die natürlichen Belohnungs- und Sättigungssignale sind gestört. „Betroffene essen dann beispielsweise zu viel, obwohl der Körper bereits genug Energie hat, da das Gehirn weiterhin ein Hungersignal sendet.“ Deswegen sei es so wichtig, davon abzukommen, den Erkrankten nur eine Abnahme und mehr Sport zu empfehlen, mahnt die Expertin.

Die Auswirkungen einer fett- und zuckerreichen Ernährung gehen sogar über das Essverhalten hinaus. „Auch kognitive und emotionale Prozesse, wie die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, können durch diese gestörte Kommunikation zwischen Körper und Gehirn und die damit verbundene veränderte Motivation beeinträchtigt werden“, so Hanßen. „Betroffenen fällt es schwer, neue Assoziationen zu lernen, die nichts mit Essen zu tun haben.“

Es brauche deshalb in der Adipositas-Therapie grundsätzlich eine ganzheitliche Betrachtung: „Dazu gehören beispielsweise eine Verhaltenstherapie, medikamentöse Behandlungen oder auch bariatrische Operationen“, so Hanßen. Bei einem solchen Eingriff, wird in den Magen ein Ballon eingesetzt, der mit einer Kochsalzlösung gefüllt wird. Dies soll zu einer schnelleren Sättigung führen und Betroffenen bei der Gewichtsabnahme helfen. Darüber hinaus müsse die Stigmatisierung aufhören und die Schuld nicht bei den Einzelnen gesucht werden.

Große Hoffnungsträger in der Adipositas-Therapie würden auch die blutzuckersenkenden GLP-1-Agonisten sowie deren Weiterentwicklungen zu dualen und Triple-Agonisten darstellen, so Hanßen. „Diese Analoga wirken sowohl peripher, also am Ort des Geschehens im Körper, als auch zentral im Gehirn. Sie tragen dazu bei, das Essverhalten zu regulieren und die Motivation zu steuern“, so Hanßen. „Sie fördern ein besseres Sättigungsgefühl und helfen Betroffenen, ihre Ernährungsgewohnheiten zu ändern.“

Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) betont ebenfalls, eine ganzheitliche Therapie von Adipositas einzusetzen: „Durch die Forschung an neuen Medikamenten und die Verbesserung der Therapien können Menschen mit Adipositas in Zukunft effektiver unterstützt werden. Es ist wichtig, auch die gestörte Kommunikation zwischen Körper und Gehirn immer einzubeziehen, damit eine ganzheitliche, individuelle Therapie erfolgen kann“, so Professor Dr. Jens C. Brüning, Kongresspräsident 2025 und Direktor der Poliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Präventivmedizin an der Uniklinik Köln.

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