Im Streit um das Bayer-Patent über Xarelto (Rivaroxaban) hat das Bundespatentgericht gegen den Originalhersteller entschieden. Die Generikaanbieter reagieren schnell und werben in Apotheken bereits für ihr erweitertes Rivaroxaban-Sortiment. Der Leverkusener Pharmahersteller kündigt unterdessen an, vor den Bundesgerichtshof (BGH) ziehen zu wollen. Eine endgültige Entscheidung über die Aufhebung der einstweiligen Verfügungen steht laut Bayer noch aus.
Bei dem strittigen Patent handelt es sich um ein sogenanntes Dosierpatent, das 2015 für die Bayer Intellectual Property erteilt wurde. Es schützt die einmal tägliche Verabreichung der 10-, 15- und 20 mg-Tabletten. Zuletzt haben neun Unternehmen vor dem Bundespatentgericht in München gegen Bayer Nichtigkeitsklage erhoben. Sie sind der Auffassung, dass das Patent wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht hätte erteilt werden dürfen und beziehen sich auf bereits zum Prioritätstag des Streitpatents vorliegende Erkenntnisse aus klinischen Studien mit Rivaroxaban, wie es heißt.
Die Entscheidung ermöglicht, dass neue Generika auf den Markt kommen. Denn die Einstellung der Zwangsvollstreckung der bisherigen einstweiligen Verfügungen bedeutet, dass diese nicht mehr vollstreckt werden können. Allen Generikaanbietern ist deshalb ein Markteintritt in Deutschland rechtlich möglich.
Zuvor hat es Sandoz zufolge 16 Monate Verzögerung aufgrund der Maßnahmen von Bayer gegeben. Seit dem Ablauf des Hauptpatents im April 2024 konnte Bayer Rivaroxaban demnach weiterhin zu Monopolpreisen verkaufen und war durch einstweilige Verfügungen auf Basis des nun aufgehobenen Dosierungspatents geschützt.
Die Generikahersteller bringen sich nach dem Urteil in Stellung: Sandoz wird Generika-Versionen von Rivaroxaban 10 mg, 15 mg und 20 mg in Deutschland auf den Markt bringen. Julia Pike, die bei der Novartis-Tochter den Bereich Intellectual Property/IP (geistiges Eigentum) verantwortet, freut sich über das Urteil: „Jeder verlorene Tag hat deutsche Patientinnen und Patienten unnötig Geld gekostet. Jetzt bekommen sie endlich den Zugang, den sie verdienen – und das Gesundheitssystem spart Millionen. So setzen wir unser Versprechen um: Patienten zuerst.”
Auch Zentiva informiert in Apotheken bereits über den Ausgang des Urteils und das neue Angebot: „Aufgrund der Gerichtsurteile aus der vergangenen Woche wird Zentiva sein Portfolio um Rivaroxaban Zentiva ergänzen“, sagt Deutschlandchef Josip Mestrovic. Zusätzlich zu der bereits bei der AOK exklusiv rabattierten Stärke von 2,5 mg sollen ab Mitte August die Stärken 10 mg,15 mg und 20 mg dazukommen.
In Leverkusen will sich das Urteil nicht gefallen lassen: „Bayer ist mit dieser Entscheidung des Bundespatentgerichts nicht einverstanden“, sagt eine Konzernsprecherin. „Wir sind von der Gültigkeit unseres Patents, das durch die Entscheidung des Europäischen Patentamts im Jahr 2021 bestätigt wurde, überzeugt und werden unser geistiges Eigentum weiterhin entschieden verteidigen. Das Urteil des Bundespatentgerichts in erster Instanz ist nicht rechtskräftig und wird vor dem Bundesgerichtshof angefochten werden.“
Für den Originalhersteller bedeutet der Patentverlust herbe Einschitte, auch wenn sich der Konzern zuletzt mit mehreren Rabattverträgen absicherte: Der Jahresumsatz mit Xarelto in Deutschland soll bei rund 860 Millionen Euro liegen. Xarelto wurde 2008 eingeführt und ist das NOAK (Nicht-Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanz) mit den meisten zugelassenen Indikationen und wurde mittlerweile rund 133 Millionen Patienten weltweit verschrieben. Auch die Umsätze erfreuten den Konzern lange: Seit der Einführung stiegen die Verkäufserlöse bis 2021 auf rund 4,7 Milliarden Euro an. Dann kam es zu einem Wendepunkt und 2023 erwirtschaftete Bayer noch 4,1 Milliarden Euro mit Xarelto.
Xarelto wurde im Bayer-Forschungszentrum in Wuppertal unter anderem von der Biologin Dr. Elisabeth Perzborn entwickelt. Die ersten Phase III-Studien mit Xarelto begannen im Februar 2006, erstmals zugelassen wurde es dann im September 2008 zur Prävention von Thrombosen nach Operationen zum Hüft- und Kniegelenksersatz. Im Laufe der Jahre kamen nach weiteren Phase-III-Studien zusätzliche Indikationen dazu. Insgesamt wurden mehr als 2 Milliarden Euro in die Forschung investiert.
Der Name spielt auf den Wirkmechanismus an: Xarelto hemmt den Faktor Xa in der Blutgerinnungs-Kaskade, dadurch findet die Umwandlung von Prothrombin zu Thrombin nicht statt und die Blutgerinnung wird gehemmt. Mit Xarelto sei die Kontrolle der Gerinnungshemmung, die bei anderen Mitteln nötig gewesen sei, nur noch in Ausnahmefällen nötig. Zudem gebe es keine Wechselwirkungen mit Nahrungsmitteln und das Nebenwirkungsprofil sei vorteilhafter als bei anderen vergleichbaren Präparaten.
Mittlerweile ist das Medikament für eine ganze Reihe von Anwendungsgebieten auf dem Gebiet der Thrombose-Prophylaxe und -Behandlung zugelassen; die wichtigste dabei ist laut Bayer die Schlaganfall-Prophylaxe bei Vorhofflimmern.