Interview BAH

OTC-Bereich bleibt kritisch

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Rabattverträge, OTC-Ausgrenzung, Apothekenpflicht: Deutschlands pharmazeutischer Mittelstand sieht sich unter Dauerfeuer. Mit dem Grünen Rezept will der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) die Selbstmedikation stärken. APOTHEKE ADHOC sprach mit dem BAH-Vorsitzenden Hans-Georg Hoffmann über das Verhältnis der Hersteller zu Politik und Kassen und über die Zukunft der Selbstmedikation in der Apotheke.

ADHOC: Herr Hoffmann, wie entwickelt sich die Selbstmedikation?
HOFFMANN: Der Markt ist bis zu Beginn dieses Jahres rückläufig gewesen, er hat sich aber etwas stabilisiert. Wir glauben, dass auch das Grüne Rezept dazu beigetragen hat. Aber wir sehen immer noch, dass in der Bevölkerung eine falsche Vorstellung herrscht, dass das, was nicht verordnungsfähig ist und nicht erstattet wird, eine mindere Qualität hat. Das beeinträchtigt den Selbstmedikationsmarkt und ist ein grundlegendes Problem.

ADHOC: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Apothekenpflicht?
HOFFMANN: Die Apothekenpflicht halten wir für eine richtige Entscheidung, denn sie bindet Arzneimittel in Abhängigkeit vom Beratungsbedürfnis an den Vertriebsweg Apotheke. Nur Arzneimittel, die als weitgehend risikofrei eingestuft und für den Vertrieb außerhalb der Apotheke freigegeben wurden, sollten auch weiterhin so behandelt werden können.

ADHOC: Hat das Urteil des Europäischen Gerichtshof zum Fremdbesitzverbot Ihrer Meinung nach eine Auswirkung auf die Apothekenpflicht?
HOFFMANN: Grundsätzlich haben die EU-Richter mit dem Vertriebsweg auch die Apothekenpflicht bestätigt. Aber es könnte durchaus sein, dass der eine oder andere zu einem „Umweg-Denken“ angeleitet wird, nach dem Motto: Wenn ich schon die Vertriebsstruktur nicht ändern konnte, dann will ich wenigsten den Vertriebsinhalt verändern. Wir hielten das für falsch. Man wird darauf achten müssen, dass solche Wege nicht gegangen werden.

ADHOC: Wie entwickelt sich aus Ihrer Sicht der Apothekenmarkt?
HOFFMANN: Ich denke, dass es einen Umsatzzuwachs geben wird. Die Altersstruktur führt dazu, dass mehr Arzneimittel benötigt werden, auch teurere Medikamente. Aber wir befürchten auch, dass es im Bereich der OTC-Arzneimittel weiterhin kritisch bleiben wird.

ADHOC: Was meinen Sie mit kritisch?
HOFFMANN: …dass die Hersteller von OTC-Arzneimitteln Umsatz verlieren werden.

ADHOC: Was gibt es Neues bei Aut idem?
HOFFMANN: Der BAH ist der Auffassung, dass, wenn man Aut idem schon nicht verhindern kann, es jedenfalls sorgfältig umsetzen muss. Es ist keinesfalls ausreichend, dass substanzbezogene Arzneimittel einfach ausgetauscht werden, egal für was sie zugelassen wurden. Das gilt sowohl für die Packungsgröße, aber insbesondere für die Indikation. Wir müssen aber feststellen, dass unser Gutachten wenig Eindruck im Gesundheitsministerium gemacht hat. Es wird jetzt im Wesentlichen darauf ankommen, wie die Verträge zwischen Apothekern und Krankenkassen ausgehandelt werden.

ADHOC: Wie läuft Ihre Kampagne mit dem Grünen Rezept?
HOFFMANN: Das Grüne Rezept ist eine Hilfestellung für den Arzt, dem Patienten ein Arzneimittel zu empfehlen, das nicht zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden kann. Diese ausdrückliche schriftliche Empfehlung des Arztes ist nach unserer Auffassung im Verhältnis zum Patienten hilfreich.

ADHOC: Lässt sich der Effekt des Grünen Rezeptes messen?
HOFFMANN: Wir wissen, dass gut ein Drittel der Bevölkerung schon Erfahrung mit dem Grünen Rezept hat und dass 29 Prozent der Patienten ihr Grünes Rezept in der Apotheke auch einlösen. Das mag man als gering einschätzen, wir halten die Zahl für hoch. Die Effekte, die wir aus den Berichten einzelner Firmen erkennen, schwanken sehr. Aber wir haben durchgängig eine Steigerung bei der Zahl der eingelösten Grünen Rezepte, was ja keine Neuerfindung ist, sondern nur eine Auffrischungskampagne durch den BAH erfahren hat. Das Plus von 8 Prozent halten wir für sehr erheblich, zumal wenn man es mit anderen Markteffekten vergleicht.

ADHOC: Was steht beim Grünen Rezept im Vordergrund: ein ökonomischer oder ein gesundheitlicher Nutzen?
HOFFMANN: Optimalerweise eine Mischung aus beidem. Natürlich ist der pharmazeutische Unternehmer angetan von der schriftlichen Empfehlung seines Produktes. Aber der Arzt wird es nicht empfehlen, wenn er nicht überzeugt ist, dass es dem Patient nutzt. Und wenn der Patient dann ein Arzneimittel nimmt, das ihm nutzt und dabei ein geringeres Risikopotenzial hat, dann halten wir dass für einen gesundheitspolitisch gewollten Effekt. Eigentlich müssten auch die Krankenkassen das so sehen, denn das Grüne Rezept bedeutet ja 100 Prozent Selbstbeteiligung.

ADHOC: Sehen die Krankenkassen das nicht so?
HOFFMANN: Nein, die Krankenkassen beschäftigen sich gar nicht damit. Die Kassen haben nur Leistungen im Auge, die sie bezahlen müssen. Dass auch das Grüne Rezept ihre Ausgaben reduzieren könnte, sehen sie bislang nicht.

ADHOC: Welche Erwartungen haben Sie an die neue Bundesregierung?
HOFFMANN: Unsere Hoffnung ist eigentlich eine ganz bescheidene: Es sollte klarer werden, was politisch gewollt ist, und die Maßnahmen sollten handwerklich sauber sein, damit für die Firmen ein verlässliches Umfeld entsteht. Wir befürchten aber, dass auch die neue Bundesregierung eher über neue Instrumente nachdenken wird, die sie aufsatteln könnte.

ADHOC: Was brennt Ihnen gesundheitspolitisch am meisten unter den Nägeln?
HOFFMANN: Die Rabattverträge. Wenn das System so fortgeschrieben wird, werden viele pharmazeutische Unternehmer im generischen Markt Probleme bekommen, und dies sollte die Krankenkassen eigentlich aufhorchen lassen. Wenn sich der Markt in der Struktur verändert, dann verändert sich auch die Angebotsstruktur auf Dauer. Das kann nicht im Interesse der Kassen sein. Wir halten aber auch das System von unterschiedlichsten Preisbildungselementen für falsch. Auch die unzureichenden Regelungen im Zusammenhang mit dem Vertrieb über den Großhandel sind ein Mangel.

ADHOC: Warum will sich der BAH an den Kosten für die Kennzeichnung von Arzneimittel nicht beteiligen?
HOFFMANN: Das ist keine Frage von Beteiligung oder Nichtbeteiligung, sondern das ist eine Frage von Betroffenheit: Sie werden niemandem eine Versicherung gegen Hochwasserschäden verkaufen können, der sein Haus auf einem Berg hat. Warum? Weil er nicht betroffen ist. So ist es auch hier: Es gibt keine Fälschungen apothekenpflichtiger, nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, und deswegen ist die Einbeziehung in Sicherungsmaßnahmen aus unserer Sicht eine überflüssige Belastung. Eine derart kostenintensive Maßnahme sollte auf den Bereich beschränkt werden, in dem es Fälschungen gibt, und das ist - bedauerlich genug - im Grundsatz der Bereich verschreibungspflichtiger Arzneimittel. Das gilt umso mehr, als eine Einbeziehung ja keine „solidarischen Effekte“ für die Arzneimittelhersteller hätte.

ADHOC: Sehen Sie im europäischen Umfeld einen Trend hin zu Entlassungen von Arzneimitteln aus der Verschreibungspflicht?
HOFFMANN: Ja, es gibt sogenannte Switches nun erstmalig auch im europäischen Bereich. Arzneimittel werden aus der Verschreibungspflicht entlassen und dem OTC-Markt zugänglich gemacht - mit verschiedenen Einschränkungen. Das könnte, zumal es eine EU-einheitliche Regelung ist, eine Belebung des Marktes bedeuten. Ob das dann letztendlich einen Zuwachs darstellt oder nur eine Verlagerung, wird man abwarten müssen.

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