Werbeaktionen und Gewinnspiele beim Kauf von Arzneimitteln bergen die Gefahr, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher unsachgemäß beeinflussen lassen. Das hat der Vorsitzende Richter des 1. Zivilsenats am Bundesgerichtshof (BGH), Professor Dr. Thomas Koch, heute klargestellt. Aber waren die Rx-Gutscheine von DocMorris, gegen die die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) vorgegangen war, deswegen unzulässig? Oder hat der Versender einen Anspruch auf Schadenersatz, weil er Preisnachlässe gewähren durfte? „Es ist kompliziert“, so Koch. Vier von fünf Fälle sind anscheinend abgeräumt, eine Hintertür hat der BGH womöglich auch gelassen. Ein Urteil soll es heute noch nicht geben.
Grundsätzlich gilt: Wer als Kläger vor Gericht eine einstweilige Verfügung erwirke, müsse, wenn diese sich im Nachhinein als falsch erweise, die Folgen hinnehmen, so Koch in seiner Einleitung zur mündlichen Verhandlung. Damit spielte er auf die Schadenersatzforderung von DocMorris an: Der Versender fordert in fünf Fällen Schadenersatz von der AKNR im Gesamtumfang von 18 Millionen Euro, weil sich die erwirkten Verbote als unzulässig erwiesen hätten.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe die ihm gestellten Vorlagefragen dahingehend beantwortet, dass die Preisbindung gegen die Warenverkehrsfreiheit verstoße, so Koch. Dies gelte zumindest für sofortige Preisabzüge. Aber wie sieht es bei Sachbezügen aus? Auch die Werbung mit Gewinnspielen sei zu prüfen.
Und dann nahm die Verhandlung eine ganz andere Richtung, als sich DocMorris womöglich erhofft hatte. Laut BGH kann die Werbung mit Gutscheinen und Gewinnspielen die Verbraucherentscheidung tatsächlich unsachgemäß beeinflussen, „das sieht auch der EuGH so“, erklärte Koch. So gebe es eine Gefahr der Irreführung bei Zuwendungen, die mit dem eigentlichen Kauf nichts zu tun hätten.
Zwar sei beim Erwerb von rezeptpflichtigen Arzneimitteln die Entscheidung durch den Arzt gefallen, aber der Patient müsse sich dennoch für eine Apotheke entscheiden. Und hier sei zu differenzieren zwischen einer Vor-Ort-Apotheke, in der man unaufgefordert eine qualitativ höhere Beratung erhalten, und einer Versandapotheke, wo man Beratung nur auf Nachfrage erhalte.
Die erst kürzlich im Zusammenhang mit Payback bestätigte Geringwertigsgrenze von 1 Euro werde zwar bei den Rabatten von DocMorris überschritten, spiele aber zumindest im Zusammenhang mit Barrabatten keine Rolle, da sie laut § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) nur für Sachzuwendungen gelte. Allerdings sei der Begriff der Sachzuwendung nicht definiert, sodass eben auch die Payback-Punkte oder Gewinne darunter fallen könnten.
Nach einer kurzen Pause ging es weiter. DocMorris ließ die beiden Punkte fallen, die der EuGH im Februar ohnehin schon abgeräumt hatte: Hier ging es um Gutscheine, die auch für OTC-Käufe eingesetzt werden konnten und damit laut den Richtern aus Luxemburg schon gegen EU-Recht verstießen.
Dann erwiderte die Vertreterin von DocMorris, dass Vor-Ort-Apotheken nicht besser seien als Versender; anderenfalls hätte der Gesetzgeber den Versandhandel gar nicht zugelassen. Die EU wiederum wolle explizit auch den Preiswettbewerb; daher müssten auch Gutschriften erlaubt sein: Wenn man nur Sofortrabatte zuließe, könne man den vielen von der Zuzahlung befreiten Patienten keine Vorteile mehr zukommen lassen.
Koch wies darauf hin, dass zu Gewinnspielen schon längst entschieden sei. „Ich weiß nicht, warum das ein Punkt sein soll, der noch offen ist.“ Und dann räumte er noch ein, dass sich eine Frage jüngst erst aufgetan habe: Bei einem Modell sei es nämlich nicht nur um einen Barrabatt, sondern um einen Barrabatt oder Gutschein gegangen. „Wie ist das ‚Oder‛ zu verstehen?“ Das sei nicht Streitgegenstand, erwiderte die DocMorris-Anwältin. „Doch, ist es schon“, konterte Koch.
Zum Verständnis: Als Gutschein wäre nach der vorgetragenen Auffassung des BGH auch diese Maßnahme unzulässig gewesen und damit ein weiterer Punkt abgeräumt. Damit wäre von fünf Punkten nur noch einer übrig.
Und dann versuchte die DocMorris-Anwältin noch zu argumentieren, dass es in den Verfahren um analoge Werbemaßnahmen wie Flyer gegangen sei; digitale Werbung sei nach E-Commerce-Richtlinie ganz anders zu bewerten. Auch hier widersprach Koch: Der EuGH habe die Zügel stärker angezogen, hier habe man es mit Paradebeispielen für unsachgemäße Beeinflussung zu tun.
Eine Hintertür machte der BGH auch noch auf: Koch brachte auch das Verbringungsverbot nach § 73 Arzneimittelgesetz (AMG) ins Spiel. Hier habe das Berufungsgericht sich lediglich auf die Aussagen von DocMorris gestützt, was die angeblich Präsenzapotheke am Standort in Heerlen angehe. „Wir sind nicht glücklich mit der Entscheidung des Berufungsgerichts“, so der Richter. Denn im Zusammenhang mit den Vorgaben der Länderliste könnte dies entscheidend sein – womöglich ein Hinweis darauf, dass dies vom Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) noch einmal zu prüfen sein wird.
Ein Termin für die Urteilsverkündung soll im Laufe des Tages genannt werden.
Konkret geht es um fünf Fälle, in denen das Landgericht Köln die beantragten einstweiligen Verfügungen erlassen hatte:
Anders als vor zwei Wochen geht es im Prozess nicht um die Boni an sich, sondern um die Werbung dafür. Der Fall lag schon zur Prüfung beim EuGH; zwei der fünf streitigen Fälle (Fall 2 und Fall 4) hatten die Richter in Luxemburg im Februar direkt abgeräumt, weil hier Gutscheine für OTC-Medikamente spendiert worden waren und dies zu einem Mehrverbrauch führen kann, was schon nach nach Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 unzulässig ist.
Im ersten der genannten Fälle war außerdem die Höhe der Nachlässe nicht nachvollziehbar – das ist laut § 7 HWG verboten; laut EuGH verstößt diese nationale Vorschrift nicht gegen Europarecht.
In den beiden verbliebenen Fällen (Fall 3 und Fall 5) hatte DocMorris schlichte Preisnachlässe gewährt – also genau jene Boni, die der BGH zuletzt für zulässig erklärt hat. In einem Fall hat der BGH jetzt wegen der tatsächlichen Konstruktion ebenfalls Zweifel angemeldet.