Auch wenn an einigen Stellen nachgebessert wurde: Die Apothekenreform von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) greift Ideen auf, mit denen ihr Amtsvorgänger Karl Lauterbach (SPD) den Apothekenmarkt in die weitere Liberalisierung treiben wollte. Die Abda warnt daher in ihrer Stellungnahme vor unkontrollierten Verbünden und Zweigapotheken: Aus ihrer Sicht könnte Apotheken aufgrund der vielen verschiedenen Lockerungen durch „Arzneimittelkioske“ ersetzt werden.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will einige Grundsätze des Apothekenrechts über Bord werfen. Das betrifft neben den Themen Dienstbereitschaft und Öffnungszeiten sowie PTA-Vertretung vor allem die deutlich abgespeckte Ausstattung von Apotheken im Filialverbund und die Möglichkeit, zusätzlich zu drei Filialen auch noch bis zu zwei Zweigapotheken zu betreiben. Laut Abda ist klar: Hier wird auf lange Sicht der Zulassung von Ketten die Tür geöffnet: „Im Gesamtkontext der geplanten Apothekenreform führen die vorgesehenen Änderungen zu einer strukturellen Gefährdung des bestehenden Mehrbetriebsverbots (und damit nachfolgend auch des Fremdbesitzverbots), weswegen wir […] dringenden Nachbesserungsbedarf geltend machen.“
Es fängt schon damit an, dass in § 1a Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) erstmals eine Legaldefinition für den Begriff des Filialverbunds aufgenommen werden soll: „Verbund aus einer Hauptapotheke, bis zu drei Filialapotheken und bis zu zwei Zweigapotheken, die von demselben Betreiber betrieben werden“. Laut Abda ist das nicht nur juristische Feinschmeckerkost, sondern die Abkehr vom Leitbild des Apothekers in seiner Apotheke. Denn aus gutem Grund sei der Begriff „Apotheke“ auch nach der Einführung der Filialisierungsmöglichkeit im Jahr 2004 als Synonym für des Gesamtbetrieb beibehalten worden, wohingegen einzelne Filialen als Betriebsstätten bezeichnet werden. „Die Einführung eines legaldefinierten ‚Filialverbundes‘ führt hingegen zu unveranlassten Auslegungsschwierigkeiten und Abgrenzungsproblemen zum Begriff der Apotheke.“
Was die Abda meint: „Die persönliche Verantwortung des Erlaubnisinhabers für alle von ihm betriebenen Apothekenbetriebstätten muss weiterhin durch eine einheitliche Betriebserlaubnis sichergestellt werden.“ Gerade nach dem Urteil aus Sachsen, mit dem zwei unterschiedlichen Inhabern der Betrieb einer gemeinsamen Filiale erlaubt wurde, ist laut Abda eine gesetzgeberische Klarstellung dringend erforderlich. Unklare Formulierungen in den beiden Referentenentwürfen würden diese „bedenkliche Entwicklung“ aber bestätigen und vorantreiben.
„Verbunden mit den weiteren geplanten Liberalisierungen der erforderlichen Apothekenausstattung und des Leistungsspektrums innerhalb von Filialverbünden, drohen verfassungs- und unionsrechtlich bedenkliche Inkohärenzen zu entstehen. Wir fordern daher nachdrücklich ein Bekenntnis des Gesetz- und Verordnungsgebers zur ungeteilten persönlichen Verantwortung des Erlaubnisinhabers für alle von ihm betriebenen verantworteten Betriebsstätten als Teil seiner einen Apotheke, wie es insbesondere auch in der ausdrücklichen Bekräftigung des Fremdbetriebsverbots im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung enthalten ist“, so die Abda.
Dafür, Zweigapotheken als Versorgungsform weiterzuentwickeln, wie es im Entwurf heißt, sieht die Abda keine Notwendigkeit. Dafür habe es in der Vergangenheit keinen Bedarf gegeben, jetzt aber sollen die Maßstäbe deutlich gelockert werden. So ist nicht mehr von einem Notstand, sondern von einer Einschränkung der Arzneimittelversorgung in abgelegenen Orten die Rede. „Geht man davon aus, dass in Orten, in denen es keine Apotheke gibt, die Arzneimittelversorgung stets deutlich eingeschränkt sein wird, verbleibt das Kriterium der Abgelegenheit als Korrektiv.“ Das werde aber schon dadurch relativiert, dass Apotheke und Zweigapotheke in räumlicher Nähe zueinander liegen müssen. Und daher sei damit zu rechnen, dass durch eine Zweigapotheke auch andere nahe gelegene Vollapotheken unter wirtschaftlichen Druck gesetzt würden.
Gerade weil auch noch bei Räumlichkeiten, Personal, Ausstattung und Dienstzeiten deutlich abgesenkte Vorgaben gelten, würde sich laut Abda das Leistungsspektrum der zukünftigen Zweigapotheke „auf das Niveau einer Abgabestelle reduzieren“, die mit einer Vollapotheke nicht zu vergleichen sei: „Sie könnte sich in der Praxis insofern zu einem Arzneimittelkiosk entwickeln, der mit einer Apotheke als Institution der Gesundheitsversorgung nichts mehr gemein hat.“
Weder Notdienste noch Rezepturen würden geleistet; und weil der Inhaber die Möglichkeit bekomme, die Zweigapotheke quasi nebenbei selbst zu leiten, sei noch nicht einmal die ständige Anwesenheit eines Apothekers erforderlich. Auch der Genehmigungsvorbehalt falle weg.
Für die Abda ist klar: In abgelegenen Orten oder Ortsteilen mit lediglich einer Apotheke wird die Neuregelung Anlass bieten, die vorhandene Vollapotheke aus Kostengründen möglichst auf das Niveau einer Zweigapotheke zu senken. „Da zudem der Betrieb einer Vollapotheke sich wirtschaftlich neben einer Zweigapotheke kaum lohnen kann, besteht auch keine Veranlassung davon auszugehen, dass in einem Ort oder Ortsteil, an dem eine Zweigapotheke betrieben wird, eine Vollapotheke neu gegründet wird. Die ausbleibende Anpassung der Vergütung der Apotheken setzt die Betriebserlaubnisinhaber unter Druck, möglichweise auch entgegen berufsethischer Überlegungen, aus rein ökonomischen Gründen derartige Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer Absenkung des Niveaus der Arzneimittelversorgung führen.“
Auch andere Apotheken würden zusätzlich unter wirtschaftlichen Druck gesetzt mit der Folge, dass Zweigapotheken jedenfalls in Regionen mit geringer Apothekendichte zukünftig für die Qualität der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung prägend würden. „Der Gesetzgeber beabsichtigt also, die Qualität der Arzneimittelversorgung in Gebieten, in denen es bereits wenige Apotheken gibt, zu senken.“
Und auch die Beschränkung des Mehrbesitzes werde ausgehöhlt: Bislang müsse eine Zweigapotheke gemäß § 13 Apothekengesetz (ApoG) verwaltet werden; damit werde ausgeschlossen, dass der eigentliche Inhaber gegen den Grundsatz des Mehrbetriebsverbots verstoße. „Der Gesetzgeber würde durch die vorgesehene Regelung den Mehrbetrieb an Apotheken legalisieren“, so die Abda. „Diese strukturelle Änderung bedeutet eine erhebliche Gefährdung des Fremdbesitzverbots.“
Auch die geplante Lockerung für externe Betriebsräume sieht die Abda kritisch: „Die Liberalisierung, die als Bürokratieabbau charakterisiert wird, ist geeignet, die Wahrnehmung der Apotheke als Institution zu gefährden, sofern zukünftig einzelne Betriebsräume nicht mehr in Raumeinheit zueinander betrieben werden müssen.“ Da es keinerlei Vorgaben gebe, in welchen Ausnahmefällen eine Abweichung zulässig sei, drohe eine „Zersplitterung der rechtlichen Interpretation“, so die Abda. „Die Lockerung spielt dabei weniger bestehenden Betrieben, die von ihr kaum profitieren werden, als vielmehr externen Interessenten in die Karten, die unter erleichterten personellen und räumlichen Vorgaben den Zutritt zum System der Arzneimittelversorgung zu erlangen versuchen.“
Damit Ausnahmen nicht zu wettbewerblichen Zwecken gegenüber Konkurrenten genutzt würden, sei allenfalls eine Erweiterung der bestehenden Regelung ausschließlich für bereits bestehende Apotheken denkbar, sofern am Grundsatz der Raumeinheit festgehalten werde, ein Nachweis erbracht werde, dass Dienstleistungen nicht in die vorhandenen Räume integriert werden können, die externen Räume in unmittelbarer Nähe zu den Betriebsräumen der Apotheke liegen, eindeutig gekennzeichnet sind und ausschließlich durch Personal der Apotheke genutzt werden und kein über das jeweilige Dienstleistungsangebot hinausgehender Vertrieb von Waren stattfindet.
„Das Laboratorium gehört zum Markenkern einer Apotheke und damit zu den zwingend erforderlichen räumlichen Einrichtungen in jeder Betriebsstätte“, kritisiert die Abda die geplante Neuregelung, nach der nur noch an einem Standort pro Filialverbund die erforderliche Ausrüstung vorrätig gehalten werden muss. „Durch den Referentenentwurf wird damit neben dem Betrieb von voll ausgestatteten Betriebsräumen die Etablierung von Apotheken ermöglicht, die lediglich als Abgabestätten fungieren.“
„Für bestehende Betriebe, die auf der Basis des geltenden Apothekenrechts aktuell stets mit einem Laboratorium ausgestattet sind, wird sich die vorgesehen Liberalisierung nicht als Entlastung, sondern vielmehr als betriebswirtschaftliche Belastung gegenüber Betriebsstätten in Filialverbünden darstellen, die die räumlichen Minderanforderungen umsetzen. Der Gesetzgeber würde damit einen unerwünschten Anreiz für eine Umwandlung bestehender Vollapotheken in Apotheken light ohne Laboratorium setzen.“
Auch mit Blick auf den Katastrophenfall sei es wichtig, vollwärtige Strukturen dezentral zu erhalten. „Treten Versorgungslücken durch Lieferengpässe oder andere Krisensituationen auf, muss die Apotheke gegebenenfalls schnell in der Lage sein, Versorgungslücken durch die Eigenherstellung zu schließen.“ Aus diesem Grund müssten auch Geräte für die gängigen Darreichungsformen unabhängig vom jeweiligen Verschreibungsverhalten der Ärztinnen und Ärzte vor Ort vorhanden sein.
Die Abda sieht eine „Privilegierung von Filialverbünden“, der nach den Plänen künftig auch noch bis zu sechs Betriebsstätten angehören könnten. Damit werde „ein weiterer Schritt zur Aufgabe des Mehrbetriebsverbots – und damit mittelfristig auch des Fremdbesitzverbots – gemacht, durch den Kettenstrukturen im Apothekenwesen eingeführt werden könnten“.
Der Grundsatz der ständigen Dienstbereitschaft ist laut Abda ein Kerncharakteristikum der öffentlichen Apotheke. Zwar seien Flexibilisierungen angesichts sinkender Apothekenzahlen erforderlich. Aber: „Der Gesetzgeber kehrt das bisherige System der ständigen Dienstbereitschaft mit Befreiungsmöglichkeit um und begründet dies mit Bürokratieentlastung. Das Gegenteil ist der Fall.“
Denn während bislang die Befreiung ein begünstigender Verwaltungsakt sei, wäre die Dienstbereitschaftseinteilung zukünftig ein belastender Verwaltungsakt. Die zuständige Behörde müsste jede Einteilung zum Notdienst entsprechend beurteilen und begründen, um Ermessensfehler zu vermeiden. Und wehrt sich eine Apotheke gegen die Anordnung, hätte dies eine aufschiebende Wirkung, sodass die zum Dienst eingeteilte Apotheke im Einzelfall aus dem System der Dienstbereitschaft entfallen würde.
Gleiches gelte, wenn ein Inhaber kurzfristig eine Änderung der Öffnungszeiten mitteile. Damit könnte weder die Behörde noch die benachbarten Apotheken ihrer Aufgabe nachkommen. „Damit wird die Arzneimittelversorgung gefährdet.“
Stattdessen schlägt die Abda vor, an der grundsätzlichen Struktur der ständigen Dienstbereitschaft festzuhalten, aber den zuständigen Behörden weitergehende und flexible Möglichkeiten für Befreiungen an die Hand zu geben.