In nur einem Jahr

BaWü: 22.000 Rezeptur-Retaxationen

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Berlin -

Retaxationen über Rezepturen sind traurige Realität in vielen Apotheken. Die Kassen vertreten den Standpunkt, dass nur die tatsächliche benutzte Teilmenge abgerechnet werden kann, die Verbände verweisen dagegen auf die Vorgaben der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV). Alleine in Baden-Württemberg sind seit Kündigung der Regelungen nach Hilfstaxe massenhaft Kürzungen aufgelaufen.

Seit Anfang 2024 gelten die Anlagen 1 und 2 der Hilfstaxe nicht mehr; Deutscher Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband hatten keine Einigung in puncto Preisanpassung bei Stoffen und Gefäßen erzielen können. Die Abrechnung erfolgt seitdem auf Grundlage von §§ 4 und 5 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV).

Neun Monate später erreichten die ersten Retaxationen über Rezepturen den LAV Baden-Württemberg – und es werden täglich mehr: Seit September 2024 sind in der Geschäftsstelle rund 22.000 retaxierte Rezepturabrechnungen eingegangen. Die Einsprüche sind noch nicht final erledigt – in Stuttgart wartet man nun darauf, wie die Kassen mit dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) umgehen.

„In allen Fällen vertreten die Krankenkassen die Ansicht, dass die Apotheke trotz Kündigung der Anlagen 1 und 2 der Hilfstaxe nur eine anteilige Packungsmenge abrechnen dürfe. Dies deckt sich nicht mit unserer Rechtsauffassung“, so ein Verbandssprecher. Ausgangsbasis für die Berechnung nach AMPreisV sei bei Stoffen der Apothekeneinkaufspreis der für die Herstellung erforderlichen „übliche Abpackung“ und bei Fertigarzneimitteln der Apothekeneinkaufspreis der „erforderlichen Packungsgröße“. Laut dieser Vorschrift sei der Preis auf Grundlage der erforderlichen Packungsgröße zu ermitteln, die für die Herstellung der Rezeptur erforderlich sei – und zwar unabhängig davon, aus welchem Gebinde Herstellung tatsächlich erfolgte, so der Sprecher.

Kassen prüfen Urteil noch

Die Kassen wollen das Urteil erst noch prüfen und keine Auskunft erteilen. „Das Urteil mit den Entscheidungsgründen liegt uns noch nicht vor. Die Entscheidungsgründe sind aber maßgeblich für die rechtliche und interne Bewertung“, so ein DAK-Sprecher. Man wolle das Urteil mit den Entscheidungsgründen abwarten und anschließend auch zusammen im Ersatzkassenverband vdek die daraus resultierenden Folgen und Maßnahmen bewerten. „Wir bitten um Verständnis, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt keine konkreten Antworten auf die Anfrage geben können.“

Ähnlich antwortet der AOK-Bundesverband: „Ansprüche auf Rückzahlung von Retaxationen werden bewertet, wenn die vollständige, schriftliche Urteilsbegründung des BSG vorliegt. Bis dahin werden Zahlungsaufforderungen der Apotheken zurückgestellt.“ Und auch die Barmer will die Folgen des BSG-Urteils und seine Auswirkungen auf das Prüfgeschehen im Rahmen der Apothekenabrechnung prüfen. „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns darüber hinaus zu dem Thema bis auf Weiteres nicht äußern.“

Die TK schließlich teilt mit: „Die Abstimmungen hierzu laufen derzeit, auch mit den anderen Kassen“, so eine TK-Sprecherin. „Bei Fragen wenden Sie sich bitte an den GKV-Spitzenverband.“

Dort heißt es auf Nachfrage: „Wir nehmen die Entscheidung des BSG zur Kenntnis und werden die Entscheidungsgründe abwarten. Anschließend werden wir intern bewerten, ob das Urteil Auswirkungen auf die bisherigen Vereinbarungen hat.“ Zu einzelnen Retaxationen lägen keine Informationen vor.

BSG entschied pro Apotheke

Das BSG hatte sich im Zusammenhang mit der Verarbeitung von Fertigarzneimitteln intensiv mit der Regelung nach AMPreisV auseinander gesetzt. Auch wenn geringere Mengen verarbeitet würden, knüpfe die Vorgabe in Gestalt einer abstrakten Preisberechnungsregelung als Grundlage für den Festzuschlag allein maßgebend an den Einkaufspreisen der Packungen an, die mindestens erforderlich waren, um die für die Zubereitung konkret verordneten Mengen zu erhalten. „Nur für diese erhältlichen Packungsgrößen gelten ohne Weiteres feststellbare Apothekeneinkaufspreise“, so das BSG in seiner Entscheidung von Mitte November.

Doch nicht nur der Wortlaut, sondern auch der Sinn und Zweck dieser Abrechnungsregelung sei klar: „Die auch im Interesse der Vereinfachung ergangene Regelung der AMPreisV erfüllt diesen Zweck eher, wenn an ohne Weiteres feststellbaren Preisen erhältlicher Packungen angeknüpft wird statt an rechnerisch erst zu ermittelnden Preisen.“ Daran ändere auch das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot nichts: „Allein aus diesem lässt sich nicht ableiten, ein wirtschaftlicher Grundsatz der mengenbezogenen Vergütung hindere die Anknüpfung an den Einkaufspreisen für die erhältlichen Packungen, die zumindest die für die Zubereitung erforderlichen Mengen enthalten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die AMPreisV ihrerseits ihrer Konzeption nach auf die Ausgabenregulierung ausgerichtet ist, der nicht nur auf eine bestimmte Art und Weise Rechnung getragen werden kann.“

Sollten die Krankenkassen die Position vertreten, dass dem Wirtschaftlichkeitsgebot nicht hinreichend konkret Rechnung getragen werde, bedürfe es entweder hiervon abweichender vertraglicher Vereinbarungen über rechnerisch ermittelte (fiktive) Einkaufspreise oder einer geänderten Rechtsverordnungsregelung. „Dies kann durch gerichtliche Auslegung der Verordnungsregelung nicht ersetzt werden.“

BMG will Teilmengen

Zusätzliche Bedeutung hat der Prozess auch deswegen, weil die Hilfstaxe mittlerweile nicht mehr gilt und die Kassen wegen der veränderten Preisberechnung bereits massenhaft Retaxationen ausgesprochen haben. Das BMG will aber in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) regeln, dass bei der Verarbeitung von Fertigarzneimitteln nur Teilmengen abgerechnet werden können.

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