In der Franziskus-Apotheke in Winterberg passiert gerade sehr viel. Inhaber Jürgen Schäfer bereitet die Übergabe vor. Dazu kamen ein großer Umbau und neue Dienstleistungen. Allerdings wurde er von der Aufsicht ausgebremst: Die Medivise-Arztkabine erlaubten die Amtsapotheker nicht. Diese Nachricht sei einen Tag vor der Neueröffnung gekommen, sagt er. Der Anbieter der Box sieht kein rechtliches Problem. Bizarr: In anderen Apotheken in Nordrhein-Westfalen gibt es seitens der Aufsicht keine Vorbehalte gegenüber dem telemedizinischen Konzept.
Zum Jahreswechsel gibt Schäfer die Leitung seiner Apotheke an seine angestellte Apothekerin, Jasmin Ennulath, ab. Sie ist die Partnerin seines Sohnes und seit mehr als drei Jahren bei ihm beschäftigt. Gemeinsam wollen sie den Betrieb modernisieren, bevor Schäfer sich im Anschluss Stück für Stück aus dem Betrieb zurückziehen wird. Nicht nur ältere Menschen sollten dabei betrachtet werden, sondern auch jüngere, die ebenfalls Bedürfnisse hätten. Dabei spielt auch Telemedizin eine große Rolle.
Allerdings wurden den beiden jetzt Hürden in den Weg gelegt. Denn Ennulath habe bei der Abholung ihrer Betriebserlaubnis gesagt bekommen, dass die geplante Arztkabine von Medivise nicht in der Offizin akzeptiert werde, berichtet Schäfer. Ein Schock für das Team: Die Box sei bereits gekauft und fest eingeplant gewesen. Auch der Termin für die Bereitstellung war mit dem 18. Dezember bereits fest ausgemacht. „Für mich ist es auch ein wirtschaftlicher Schaden. Die Box für 60.000 Euro steht da jetzt rum.“
Die Amtsapotheker hätten argumentiert, dass eine Arztkabine in der Apotheke nicht den gesetzlichen Vorschriften entspräche und es sich um Zuweisung handeln könne, sagt Schäfer. „Meiner Nachfolgerin wurde sogar angedroht, dass sie ihre Betriebserlaubnis entzogen bekommt, wenn sie sie aufstellt.“ Bisher habe er noch keine schriftliche Erklärung dazu erhalten, diese aber eingefordert.
Schäfer sieht in der Box mehrere Vorteile für den Apothekenalltag: „Wie häufig schicke ich als Apotheker meine Kunden in die Notfallaufnahme, nur weil sie ihr Rezept vergessen haben. Dies geschieht meistens am Mittwochnachmittag, Freitagnachmittag, samstags oder im Notdienst. Sind sie dann in der Notaufnahme, müssen sie zwischen vielen ernsthaft kranken Patienten lange warten.“ Das sei doch kein Zustand: „Ich möchte auch nicht entscheiden dürfen, ob ich ein verschreibungspflichtiges Medikament abgeben soll. Das obliegt einzig und allein dem Arzt. Auch Wiederholungsrezepte können über die Medivise-Box bearbeitet werden, ohne den umständlichen Abovertrag mit Versandhändlern aus Holland.“
Der Apotheker legte Einspruch ein. Laut seinen Recherchen ist die telemedizinische Beratung in Apotheken im § 129 Absatz 5h Sozialgesetzbuch (SGB V) verankert: „Apotheken können Maßnahmen der assistierten Telemedizin anbieten“, heißt es dort. Darunter fallen „die Beratung zu ambulanten telemedizinischen Leistungen“, „die Anleitung zu der Inanspruchnahme ambulanter telemedizinischer Leistungen“ oder „die Durchführung einfacher medizinischer Routineaufgaben zur Unterstützung anlässlich einer ärztlichen telemedizinischen Leistung“.
„Leider konnten die Rahmbedingungen bisher zwischen GKV und DAV nicht abgeschlossen werden“, sagt er.
Außerdem informierte er die juristische Abteilung von Medivise. Dort sieht man keine rechtlichen Hürden: „Die Medivise Telemedizin Box steht im Einklang mit den relevanten apothekenrechtlichen, datenschutzrechtlichen und weiteren gesetzlichen Vorgaben. Die Einhaltung aller regulatorischen Anforderungen steht von Beginn an im Zentrum unserer Arbeit“, sagt Tobias Leipold, Mitgründer und Chief Strategy Officer (CSO). Seit Inkrafttreten des Digital-Gesetzes sei assistierte Telemedizin in Apotheken ausdrücklich vorgesehen. „Die dafür geltenden Anforderungen wie ein geschützter Raum sowie datenschutzkonforme Abläufe setzen wir um.“
Ein wichtiges Anliegen von Medivise sei es, in diesen Projekten die Apotheke vor Ort zu stärken und ihre Rolle in der wohnortnahen Versorgung in Zusammenarbeit mit den regionalen Versorgern, zu unterstützen. „Dass die zuständigen Überwachungsbehörden neue Versorgungskonzepte im Einzelfall prüfen, ist üblich.“ Neue Versorgungsmodelle müssten im Alltag erklärt und gemeinsam mit allen Beteiligten eingeordnet werden. „Die dafür notwendigen Gespräche führen wir nun gemeinsam mit der Franziskus Apotheke.“
Bei dem Berliner Unternehmen geht man davon aus, dass sich die offenen Punkte zeitnah klären lassen und „derzeit noch bestehende Bedenken ausgeräumt werden können“. Das gemeinsame Ziel sei es, in Winterberg einen Zugang zu wohnortnaher telemedizinischer Versorgung zu ermöglichen und damit die Vor-Ort-Apotheke in ihrer Versorgungsfunktion zu unterstützen. „Und das selbstverständlich unter Einhaltung aller Vorgaben.“
In der Telemedizin liege großes Potenzial, sind sich Ennulath und Schäfer einig. „Gerade auf dem Land, wo es wenige Fachärzte gibt, ist das sinnvoll“, so die Apothekerin. In der Arztbox sehen sie keine Zuweisung, sondern einen Mehrwert für Apothekenkundinnen und -kunden. „Ich habe deshalb viele Gespräche mit Ärzten aus der Region geführt und klargestellt, dass wir nicht als neuer Doktor wahrgenommen werden wollen.“
Die vom Amt vorgeschlagene Alternative, die Kabine außerhalb der Apotheke in externen Räumen aufzustellen, komme nicht in Frage. Das wäre dann kein Unterschied zu Kaufland, sagt Schäfer. Die Box mache aber gerade in der Apotheke Sinn, da dort die pharmazeutische Expertise als Ergänzung direkt nachgefragt werden könne. „Der direkte Bezug zur Gesundheit und Gesunderhaltung ist in der Apotheke. Dort arbeiten pharmazeutische Fachkräfte“, betont er. „Kaufland nutzt die Box als Werbung, aber die können uns nicht den Schneid abkaufen.“
Die Box steht bereits in anderen Apotheken. Dort gibt es keinen Vorbehalt der Aufsicht – mindestens ein Fall aus NRW ist bekannt, in dem Aufsicht – anders als bei Schäfer – die Genehmigung erteilte. Wie viele Kabinen in der Offizin umgesetzt oder geplant sind, will Leipold nicht verraten. „Wir können jedoch darauf hinweisen, dass die Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden an anderen Standorten bereits konstruktiv verläuft und dort keine grundsätzlichen Bedenken gegen den Einsatz der Medivise Telemedizin-Box in Apotheken bestehen.“ Die Box wird auch in Supermärkten wie Kaufland, Notaufnahmen und im Kindernotdienst eingesetzt.