Das sagt die Wissenschaft

Wunden: An der Luft heilen lassen oder nicht?

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Berlin -

„Ach, der kleine Kratzer, das heilt an der Luft, ich brauche kein Pflaster“ – solche oder ähnliche Aussagen kennen Apothekenteams nur zu gut. Wie Wunden richtig abgedeckt werden, hängt von ihrer Tiefe, Sauberkeit und dem Heilungsverlauf ab. Klar ist: Eine sorgfältige Reinigung vor dem Abdecken ist entscheidend, sterile Mittel sind Pflicht. Wann jedoch ein Verband nötig ist – und wann es an der Luft besser heilt – zeigen aktuelle Studien.

Noch bevor eine Wunde abgedeckt wird, ist eine Reinigung unerlässlich, um Verunreinigungen und potenzielle Keime zu entfernen, die eine Infektion fördern könnten. Ein wichtiger Tipp im HV: Unsterilers Leitungswasser ist hierfür ungeeignet, da es neben Mikroorganismen auch mineralische Bestandteile enthält. Kalk beispielsweise kann das Wundgewebe mechanisch reizen und das empfindliche Regenerationsmilieu stören, was die Heilung verzögern kann. Fachgremien wie die Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung (DGfW) empfehlen daher die Verwendung steriler Wundspüllösungen oder antiseptischer, nicht brennender Desinfektionsmittel.

Abdecken – oder doch nicht?

Danach muss die Entscheidung getroffen werden: Wunde abdecken oder doch „an der Luft heilen lassen“? Letzteres galt lange als Standard. Die Idee: Die Lufttrocknung unterstützt den Heilungsprozess. Studien zeigen jedoch, dass Wunden an der Luft schneller austrocknen und sich Schorf bildet. Das kann die Neubildung von Hautzellen behindern, die Heilung verzögern und zu stärkerer Narbenbildung führen. Feuchte Wundauflagen hingegen erhalten ein ideales Mikroklima: Sie fördern die Zellteilung, unterstützen den natürlichen Abbau abgestorbener Gewebereste und verringern Schmerzen.

Bereits 1962 zeigte der britische Mediziner George D. Winter an der University of London in einem Tierexperiment mit Hausschweinen, dass Wunden in einer feuchten Umgebung etwa 40 Prozent schneller epithelisieren als solche, die an der Luft trocknen.

Neuere wissenschaftliche Arbeiten bestätigen diese Erkenntnisse. Eine Übersichtsarbeit von Omar M. Alvarez und Kollegen am University of Texas Health Science Center zeigt, dass ein feuchtes Wundmilieu das Austrocknen verhindert, das Zellsterben reduziert, die Bildung neuer Blutgefäße fördert und die Entfernung von Geweberesten erleichtert. Ein systematisches Review von Boateng und Mitarbeitern an der University of KwaZulu-Natal in Südafrika wertete zahlreiche Studien zu unterschiedlichen Wundauflagen aus und kam zu dem Ergebnis, dass feuchte Verbände im Vergleich zur trockenen Heilung eine schnellere Gewebereparatur, weniger Schmerzen, ein geringeres Infektionsrisiko und eine reduzierte Narbenbildung bewirken.

Pflaster und Verbände schützen somit nicht nur die Wunde vor Keimen, Schmutz und mechanischer Belastung, sondern fördern eine komplikationsfreie Heilung. Frische und tiefere Wunden wie Schnitt-, Stich- oder Platzwunden sollten daher immer mit sterilen, feuchten oder feuchtigkeitsregulierenden Wundauflagen abgedeckt und regelmäßig gewechselt werden. Oberflächliche, trockene Schürfwunden können nach Reinigung oft offen bleiben, solange sie sauber sind und nicht durch Wasser aufgeweicht werden.

Es geht auch anders

Eine Meta-Analyse der Sun Yat-sen Universität in China zeigt, dass das offene Liegenlassen von Operationswunden an der Luft im Vergleich zur Abdeckung mit Verbänden keinen Einfluss auf die Häufigkeit von Wundinfektionen hat.

„Obwohl die WHO empfiehlt, nach primärer chirurgischer Wundverschluss mindestens 48 Stunden einen Verband anzulegen“, schreiben die Autoren, „zeigte die vorliegende Meta-Analyse, dass die sofortige Luft-Exposition hinsichtlich des Auftretens von chirurgischen Wundinfektionen mit der Verbandanwendung vergleichbar ist.“ Die Infektionsrate lag bei der Luft-Exposition bei etwa 11 Prozent, ähnlich wie bei Verbandanwendung. Das galt besonders für saubere und leicht verschmutzte Operationswunden. Für stark verschmutzte Operationswunden gab es zu wenige Daten.

Dennoch empfehlen die Wissenschaftler:innen eine Beobachtung der Wunden von mindestens 30 Tagen, da die meisten Infektionen in diesem Zeitraum auftreten. Die Dauer der Verbandanwendung habe in ihrer Studie keinen großen Einfluss auf die Infektionsrate gehabt. Verschiedene Verbandsarten waren bei sauberen Wunden nicht besser als Luft-Exposition. Blutergüsse traten bei etwa 2 Prozent der Fälle auf, unabhängig von der Behandlung. Patienten bewerteten beide Methoden ähnlich, und die Kosten waren bei Luft-Exposition meist geringer.

Die Autoren weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass feuchte Verbände Vorteile bei der Wundheilung bieten können: „Die Anwendung von Verbänden zeigte Vorteile bei der Wundheilung, wie bereits in anderen Studien berichtet wurde. Feuchte Verbände fördern die Heilung und reduzieren lokale Schmerzen. Filmverbände können die Heilungsrate verbessern und zu einem guten kosmetischen Ergebnis beitragen. Okklusive Verbände unterstützen die Heilung der Operationsstelle nach einer Biopsie.“

Die Studie mit dem Originaltitel Immediate Air Exposure vs Dressings Following Primary Closure of Clean and Clean-contaminated Surgical Wounds: A Systematic Review and Meta-analysis of Randomized Controlled Trials wurde von Fan Wang, Xiu-Yun Wang und Xian Jiang verfasst, an der Sun Yat-sen Universität in Guangzhou, China, durchgeführt und im Fachmagazin Index Wounds veröffentlicht.

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