Versandverbot geht nicht – wegen EU-Recht, wegen Wettbewerbsrecht, wegen… ja, wegen allem Möglichen. So jedenfalls klang es in der Vergangenheit aus der Politik quer durch die Parteien. Und siehe da: Ganz so in Stein gemeißelt scheint es dann doch nicht zu sein. Das Kabinett hat heute den Entwurf von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) abgesegnet, die immerhin den Online-Vertrieb von Cannabis beenden will. Begründung: Cannabis sei ein „Arzneimittel mit Suchtrisiko und weiteren gesundheitlichen Risiken“. Klingt vernünftig – wäre da nicht die kleine Ironie, dass sich online problemlos verschreibungspflichtige Medikamente bestellen lassen, die ebenfalls erhebliche Risiken bergen. Ein Kommentar von Lilith Teusch.
Seit der Teillegalisierung boomt der Import von medizinischem Cannabis – zahlreiche Plattformen nutzen die neuen Freiheiten und verkaufen an Menschen, die sich über simple Fragebögen oder dubiose Online-Ärzte Rezepte besorgen können; ganz ohne persönlichen Arztkontakt, ganz ohne Beratung in der Apotheke. Und das bei einem „Arzneimittel mit Suchtrisiko und weiteren gesundheitlichen Risiken“ – wie das BMG selbst betont.
Aber wenn man die Sorge um die Patientensicherheit jetzt plötzlich wiederentdeckt, sollte man sie doch konsequent anwenden. Denn wo bleibt diese plötzliche Sorge um die Patientensicherheit bei anderen Wirkstoffen? GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid oder Liraglutid kann man ebenfalls über den Versandhandel bestellen. Genau wie Antibiotika. Beides kann bei falscher oder missbräuchlicher Anwendung massive Folgen haben – von Resistenzbildung bis hin zu ernsthaften Nebenwirkungen.
Genau deshalb gab es früher ein System, in dem Arzt und Apotheke die Verantwortung gemeinsam trugen: Der Arzt verschreibt, die Apotheke prüft, berät und kann bei Auffälligkeiten eingreifen – etwa wenn die Verordnung unstimmig ist oder die Kombination mit anderen Arzneimitteln nicht passt. Das gelingt in der Regel auch deshalb gut, weil sowohl Apotheken als auch Ärzte ihre Patienten kennen.
Apothekenteams beraten zusätzlich zu möglichen Wechselwirkungen auch mit OTC-Präparaten oder Lebensmitteln und können helfen, Folgeschäden zu vermeiden. Diese Beratung und doppelte Kontrolle ersetzt kein Onlineformular und keinen Chatbot, damit Medikamente richtig verordnet, dosiert und eingenommen werden. Eine doppelte Kontrollinstanz – für die Patientensicherheit.
Warum also soll ausgerechnet beim Ausnahmefall Cannabis „besondere Maßnahmen zur Gewährleistung einer sicheren Arzneimittelversorgung“ erforderlich sein – Maßnahmen, die den Vertriebsweg über den Versandhandel ausschließen und den Vertrieb ausschließlich über die Apotheken mit geschultem Personal erlauben? Wenn Patientensicherheit wirklich das Argument ist, dann sollte sie für alle gefährlichen Arzneien gelten – und nicht nur dort, wo es politisch opportun erscheint.
Wenn also Cannabis plötzlich zu gefährlich für den Versandhandel ist, sollte man ehrlich sein: Entweder gilt dieses Prinzip für alle Arzneimittel mit Risiko – oder für keines. Der Präzedenzfall ist geschaffen. Es ist höchste Zeit, das längst überfällige Rx-Versandverbot wieder aufzurollen.
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