In der vergangenen Woche erschien der Zwischenbericht zur Evaluation des Konsumcannabisgesetzes (EKOCAN) von Forscher:innen der Universitätskliniken Hamburg-Eppendorf und Düsseldorf und des Instituts für Kriminologie der Uni Tübingen. Die Überprüfung von Auswirkungen war schon im Konsumcannabisgesetz (KCanG) festgelegt worden und lieferte vorerst keine Anzeichen für akuten Handlungsbedarf. Doch der TÜV-Verband schlägt Alarm und bemängelt die Praxis der Cannabis-Plattformen.
Mit Blick auf die Verkehrssicherheit sind nach Ansicht des Verbands durchaus Korrekturen notwendig: „Die derzeitige Praxis bei Medizinalcannabis gefährdet nach Einschätzung des TÜV-Verbands die Verkehrssicherheit“, heißt es in einem Positionspapier. „Der Konsum von Cannabis beeinflusst die Fahrtauglichkeit erheblich“, sagt Fani Zaneta, Referentin für Verkehrssicherheit beim TÜV-Verband. „Die aktuelle Verordnungspraxis von Medizinalcannabis führt dazu, dass immer mehr Menschen mit hohen THC-Werten im Straßenverkehr unterwegs sind.“
So seien die Verordnungen cannabinoidhaltiger Arzneimittel von rund 340.000 im Jahr 2020 auf über 415.000 im Jahr 2024 gestiegen, wobei Rezepte über Zubereitungen teils stark rückläufig, die Verordnungen von Cannabisblüten und cannabinoidhaltigen Stoffen aber teils extrem gestiegen seien. „Die wachsende Zahl der Verschreibungen legt nahe, dass ärztliche Rezepte bewusst genutzt werden, um privaten Freizeitkonsum abzusichern. Damit entsteht eine Sicherheitslücke in unserem Verkehrssystem und gefährdet alle Verkehrsteilnehmer“, sagt Zaneta.
Laut Zwischenbericht haben im Jahr 2024 in Deutschland schätzungsweise 5,3 Millionen Erwachsene Cannabis konsumiert. Durch das verfügbare Medizinalcannabis konnten demnach etwa 12 bis 14 Prozent des Gesamtbedarfs an Cannabis gedeckt werden.
Seit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (CanG) im April 2024, wodurch Cannabis auch von der Betäubungsmittelliste gestrichen und damit der Versand erlaubt wurde, „floriere“ der Onlinehandel – „manchmal reicht ein einfacher Fragebogen“, bemängelt der Verband. Er weist auf die Besonderheiten des Straßenverkehrsrechts hin: Hier greife im Gegensatz zum Freizeitkonsum der gesetzliche THC-Grenzwert von 3,5 ng/ml im Blutserum bei ärztlich verschriebenem Cannabis nicht automatisch: „Wer Medikamente bestimmungsgemäß einnimmt und keine Ausfallerscheinungen zeigt, kann grundsätzlich als fahrtauglich gelten“, heißt es.
Dass das Medizinprivileg missbraucht werde, sei nicht hinnehmbar, so der TÜV-Verband. Zwar plane das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bereits Anpassungen: „Eine strengere Verordnungspraxis ist notwendig, um den Missbrauch des Medizinprivilegs zu verhindern und die Verkehrssicherheit zu gewährleisten“, sagt Zaneta. „Diese Sicherheitslücke muss geschlossen werden.“
Auch Fahreignungsbegutachtungen bei Dauermedikation seien angebracht, genauso wie verbindliche Kontrollen für Berufskraftfahrer:innen und gezielte Aufklärungskampagnen. Die Anhebung des Grenzwerts von 1,0 auf 3,5 ng/ml sei ebenfalls problematisch: „Dieser Schritt war verkehrspolitisch ein Fehler. Mindestens muss die MPU bereits beim ersten Verstoß verpflichtend sein und Mischkonsum mit Alkohol klar verboten werden.“
Wer aus legitimen Gründen konsumiere, solle dadurch nicht vom Straßenverkehr ausgeschlossen werden. „Es geht vielmehr darum, diejenigen zu identifizieren, die Cannabisverordnungen nutzen, um ihren gewohnten Konsum abzusichern und bei Verkehrskontrollen straffrei zu bleiben“, so der Verband. Es brauche hier eine differenzierte Betrachtung zwischen legitimer Medikation und missbräuchlicher Nutzung.
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