Auf Kosten der Patientengesundheit

IKK schreibt an Arztpraxen: „Sparen Sie 5700 Euro“

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Berlin -

Um Kosten im Gesundheitssystem einzusparen, schreibt die IKK classic derzeit Arztpraxen an. Anhand von Tabellen, die aufzeigen, wie groß das Einsparpotenzial einzelner Generika gegenüber den Originalen ist, sollen Ärzt:innen dazu angehalten werden, preiswertere Medikamente zu verordnen. „Die Risiken und Nebenwirkungen werden dabei auf den Schultern der Versicherten getragen“, so Alexander Blume, Facharzt für Allgemeinmedizin in der Hausarztpraxis Blume im nordrhein-westfälischen Petershagen.

Das Schreiben der Krankenkasse richtet sich direkt an einzelne Arztpraxen. Auch Blume wurde Anfang Oktober angeschrieben. Darin heißt es: „Zwischen der IKK classic und verschiedenen Pharmaunternehmen bestehen Rabattverträge zu den Wirkstoffen Rivaroxaban, Edoxaban und Dabigatran.“ Die direkten oralen Antikoagulantien würden sich bezüglich ihrer Zulassung und den damit verbunden Therapiekosten unterscheiden, wird weiter erklärt.

Blume ist verärgert: „Ich finde es dreist, dass die Krankenkasse damit die Gesundheit der Patienten riskiert.“ Er stellt klar: „Hier geht es nur ums Geld!“

Tabelle mit Tageskosten

Und tatsächlich: Anhand einer Tabelle wird ein entsprechender Überblick mit den Tagestherapiekosten zum aktuellen Zeitpunkt (September 2025) gegeben. Konkret handelt es sich um direkte orale Antikoagulanzien (DOAK), sprich Arzneimittel zur Blutverdünnung, um Thrombosen oder Schlaganfälle präventiv zu behandeln. Verglichen werden die Wirkstoffe Apixaban (Eliquis), Dabigatran (Pradaxa), Edoxaban (Lixiana) und Rivaroxaban (Xarelto). Aufgeführt werden jeweils die Tageskosten für verschiedene Anwendungsgebiete.

So macht die IKK classic deutlich, das in der Primärprävention folgende Kosten anfallen:

  • Eliquis kostet 2,56 Euro pro Tag.
  • Pradaxa kostet 3,18 Euro, das Generikum nur 0,80 Euro.
  • Lixiana hat hier keine Zulassung.
  • Xarelto kostet 3,84 Euro, das Generikum nur 0,86 Euro.

Generika sind laut der IKK folglich um bis zu 75 Prozent günstiger.

In der Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern zeichne sich ein ähnliches Bild der täglichen Kosten ab:

  • Eliquis: 2,56 Euro
  • Pradaxa: 3,18 Euro, Generikum 0,80 Euro
  • Lixiana: 2,39 Euro
  • Xarelto: 3,84 Euro, Generikum 0,80 Euro

Lixianaist in dieser Gruppe günstiger als die Originalpräparate, aber teurer als Generika.

Generikum 90 Prozent günstiger

Besonders deutlich wird der Vergleich in der atherothrombotische Prophylaxe, wie sie beispielsweise nach einem Herzinfarkt erfolgt. In dieser Indikation ist laut IKK classic nur Rivaroxaban zugelassen: Das Original kostet pro Tag 3,56, ein Generikum nur 0,24 Euro. Das Generikum ist dabei über 90 Prozent günstiger als das Original.

Im Schreiben fragt die IKK direkt: „Sie behandeln Versicherte der IKK classic, die DOAKs benötigen?“ Weiter wird erklärt: „Neben den bestehenden Rabattverträgen sorgen außerdem die Patentabläufe bei Dabigatran und Rivaroxaban für die Wirtschaftlichkeit der Therapie.“ Die Arztpraxis könne zum Beispiel mit dem Einsatz eines generisch verfügbaren Rivaroxaban bei einer Prophylaxe von rezidivierenden tiefen Venenthrombosen im Vergleich zu einer Apixaban-Therapie mindestens 65 Prozent der Kosten einsparen, schlägt die IKK vor.

Einsparpotenzial von 5700 Euro

Die Hausarztpraxis habe 2024 für 15 Versicherte der IKK classic insgesamt 3900 Tagesdosen (DDD) DOAKs verordnet. „Davon 85 Prozent Apixaban“, heißt es weiter. „Bei Umstellung aller dieser Patienten auf generisches Rivaroxaban ergibt sich ein Einsparpotenzial von 5700 Euro Euro pro Jahr.“ Das entspreche rund 52 Prozent der Gesamtausgaben für DOAKs, stellt die IKK classic klar.

Immerhin: Am Ende des Schreibens versichert die Kasse, dass es selbstverständlich sei, dass der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin entscheide, welches Arzneimittel bei den Patient:innen eingesetzt werde. Blume entgegnet: „Der letzte Satz geht hier völlig unter und wirkt unscheinbar. Es darf auf keinen Fall Standard werden, dass die Krankenkassen unsere Therapiehoheit untergraben.“

Mehr noch: „Es geht bei den DOAKs auch um eine konkrete Studienlage, das heißt, dass der Wirkstoff Edoxaban dem Apixaban unterlegen ist was Blutungen und Sterblichkeit angeht“, so Blume. Deswegen sei Apixaban für ihn der klare Sieger und werde auch von ihm bevorzugt verordnet.

Völlig andere Wirkstoffe

Es sei zudem nicht der erste Fall. „Auch andere Kassen haben schon solche Schreiben geschickt“, so Blume. „Die Barmer beispielsweise wies mich darauf hin, dass SGLT2-Hemmer doch bitte vorrangig als Generika zu verordnen seien.“ Diese wurden ursprünglich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt, kommen aber auch bei chronischer Herz- und Niereninsuffizienz zum Einsatz.

„Bekannt sind die sogenannten Gliflozine aus Fertigarzneimitteln wie Forxiga mit dem Wirkstoff Dapagliflozin oder Jardiance mit Empagliflozin“, erklärt er. „Ich wurde angehalten, vermehrt Ertugliflozin zu verordnen, weil es eben billiger ist.“

Ähnliches habe er auch in Bezug auf Entresto erfahren. In dem Fertigarzneimittel ist die Wirkstoffkombination Sacubitril/Valsartan enthalten. „Eine Krankenkasse schlug vor, man soll sich mehr auf Betablocker konzentrieren“, so Blume. Er betont: „Die Gesundheit der Versicherten wird riskiert und dafür gibt man auch noch Geld aus. Davor kann nur der freie und unabhängige Beruf des Arztes schützen.“

Apotheker äußert Kritik

Murat Baskur, Inhaber der Apotheke im Seerheincenter in Konstanz, findet ein solches Vorgehen der Krankenkasse ebenfalls sehr grenzwertig. „In die Therapiehoheit des Arztes hat sich doch die Kasse nicht einzumischen.“ Es gebe ohnehin Rabattverträge, die beachtet werden müssten. „Das heißt, wir geben ein Generikum ab, wenn wir müssen. Auch über Wirkstoffe an sich entscheiden zu wollen, finde ich überhaupt nicht gut.“ Am Ende seien immer die Patient:innen die Leidtragenden.

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