„Keiner braucht die Apotheken“, kommentierte Redakteur Ralph Bollmann in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) – und trat damit einen Shitstorm in der Branche los. Unlängst hatte unter anderem Kammerpräsidentin Gabriele Regina Overwiening auf den Kommentar reagiert. Doch auch andere Medienhäuser gehen auf Distanz zur Meinung der FAZ.
„Die Relevanz einer Apotheke vor Ort erschließt sich ganz leicht an einem Wochenende im Winter“, kommentiert Elisabeth Dostert in der Süddeutschen Zeitung (SZ). Wenn im Kindergarten Erkältungen und Grippe grassierten, das Kind Fieber habe, aber der Fiebersaft leer sei, sei es gut, dass Apotheken da seien, auch im Notdienst und am Wochenende.
Die niederländischen Versender wie Shop Apotheke oder DocMorris leisteten das nicht, betont die Autorin. Sie würden aber wachsen, während die Zahl der Vor-Ort-Apotheken weiter stagniere. „Die Schließungswelle hat noch kein Gesundheitsminister aufhalten können“, erklärt sie weiter. Mit jedem Amtswechsel sei der Frust der Apothekerschaft größer geworden. Aktuell sei die Wut insbesondere darin begründet, dass die Fixumserhöhung – obwohl im Koalitionsvertrag angekündigt – nicht in dem Entwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) vorgesehen sei. Das Fixum solle die Betriebskosten der Apotheken decken.
„Es ist ein Konstruktionsfehler in der Arzneimittelpreisverordnung, dass es fix ist und keine dynamische Komponente enthält, zum Beispiel in Höhe der Inflationsrate. Auch die Kosten der Apotheken etwa für Energie, Löhne und Mieten sind in den vergangenen Jahren kräftig gestiegen. So eine dynamische Komponente ist dringend geboten“, betont die Autorin.
Als Allheilmittel sieht die Autorin ein höheres Fixum allerdings nicht: „Egal, wie hoch das Fixum ist, alle Standorte wird es nicht erhalten.“ Von der Erhöhung würden vor allem Apotheken profitieren, die zum Beispiel durch die Nähe zu Arztpraxen, medizinischen Versorgungszentren oder Krankenhäusern viele verschreibungspflichtige Medikamente abgeben würden. Bei anderen, ebenfalls wirtschaftlich angeschlagenen Betrieben würde ein höheres Fixum das Ende nur hinauszögern.
Die Erhöhung würde auch Versendern wie Shop Apotheke oder DocMorris nutzen, die die Möglichkeit hätten, kräftig in Marketingmaßnahmen zu investieren, betont Dostert. Wenn es das Ziel der Reform sei, die Apotheken vor Ort zu stärken, braucht es andere Mittel, urteilt sie.
„Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) muss sich erst einmal Gedanken darüber machen, welche Apothekendichte nötig ist und wie lang der Weg zu einer Apotheke höchstens sein darf“, so Dostert. „Oder wer den Notdienst erledigen kann, wenn keine Apotheke mehr da ist.“
Nicht nur die SZ greift die Apothekenreform auf. Im „Top Magazin Ruhr“ appelliert Professor Dr. Jochen Werner an die Politik, die Apotheken nicht sterben zu lassen. Mehr als 2000 Betriebe hätten in den letzten fünf Jahren in Deutschland geschlossen. Im laufenden Jahr sei die Anzahl erstmals unter 17.000 gefallen. Besonders betroffen seien ländliche und strukturschwache Regionen: „An Orten, an denen die Apotheke oft mehr ist als nur Gesundheitsversorger, nämlich sozialer Knotenpunkt“, betont Werner.
Die Apotheker würden die Familiengeschichten kennen, um chronische Erkrankungen wissen, die örtlichen Dialekte sprechen und die Gesichter der Kunden wiedererkennen. „Kurz: Sie sind da, wo viele andere längst abgebaut wurden“, erklärt Werner. Dabei werde der Wert der Apotheke meist erst dann erkannt, wenn sie nicht mehr da sei. „Dann wundert man sich, dass es plötzlich keine Beratung mehr zu all den vermeintlich kleineren Gesundheitsproblemen gibt.“
Die Beratungsleistung in den Apotheken gewinnt nach Ansicht des Autors insbesondere in Zeiten überfüllter Arztpraxen immer mehr an Bedeutung. Patienten fühlten sich alleingelassen, gerade dann, wenn es schnell gehen müsse, aber nicht gleich der Notruf gewählt werden solle. In Apotheken würden sie Gehör finden.
Apotheker leisteten so niedrigschwellige Frühwarnsysteme, würden Fehlmedikation erkennen, zu Impfungen beraten und seien häufig erste Anlaufstelle bei psychischen Belastungen. „All das geschieht oft unsichtbar, dabei ist dieses Wissen hochrelevant“, so Werner. Nur werde es weder systematisch dokumentiert noch wissenschaftlich genutzt.
Und das, obwohl es oft näher an der Lebensrealität der Menschen sei als in ärztlichen Akten notiert. „Wir sprechen in politischen Gremien viel über Gesundheitsdaten, aber ignorieren den Datenschatz, der täglich über den Tresen von Apotheken geht. Gerade in Zeiten des demografischen Wandels ist das fatal“, erklärt Werner. Hausarztpraxen seien überlaufen oder gar nicht mehr vorhanden. „Und genau dort, in dieser Lücke, braucht es die Apotheke: Als niedrigschwellige, kompetente, menschliche Gesundheitsinstanz“, betont er.
Das System lasse die Inhaberinnen und Inhaber im Stich. „Die Vergütung ist veraltet, der bürokratische Aufwand hoch, die digitale Anbindung mangelhaft.“ Auch in der Nachwuchsförderung geschehe zu wenig: Wer eine Apotheke übernehmen wolle, trage ein enormes wirtschaftliches Risiko – ohne die politische Rückendeckung, die es eigentlich bräuchte, kritisiert Werner.
Dabei gehe es ihm nicht nur um die ökonomischen Fragen, sondern auch um Wertschätzung, verlässliche Rahmenbedingungen. „Und darum, Gesundheit nicht als Ware, sondern als Gemeinwohl zu begreifen“. Es brauche ein Umdenken bei den politisch Verantwortlichen, aber auch bei „uns allen“. Deshalb: „Lasst uns die Apotheken nicht erst vermissen, wenn sie verschwunden sind“, appelliert er.
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