Langjährige Berufserfahrung? Check. Erkennen der eigenen fachlichen Grenzen? Check. Alle weiteren Anforderungen laut Apothekenversorgung-Weiterentwicklungsgesetz (ApoVWG), um als PTA Apotheker:innen vertreten zu dürfen? Check. Fehlende Kompetenzen stehen damit nicht zwischen Frieda Koorts und ihrer Vertretungsbefugnis – sondern ein unsäglicher Radius von mindestens sechs Kilometern bis zur nächsten Apotheke.
Falkenberg, Gemeinde Garrel, Landkreis Cloppenburg, Niedersachsen, 6.30 Uhr. Dichter Nebel liegt über den nassen Feldern, Tau glitzert auf den Ackerfurchen von Bauer Janssen, der heute mal ausschläft. Die Luft riecht nach feuchtem Laub, Erde und dem vertrauten Duft von Stall und Vieh.
Es hätte alles so schön in dieser sonst so stillen norddeutschen Idylle sein können – aber zwei Gestalten in gelben Friesennerzen stapfen – platsch, platsch, platsch – über die Felder und machen einen tierischen Krach. Kurzum: Für norddeutsche Verhältnisse ist richtig was los.
Unter den gelben Mänteln blitzen weiße Kittel hervor: Apotheker Hauke Groothusen-Sievers und PTA Frieda Koorts machen die Gegend unsicher. Der Apotheker schiebt einen Rolltacho vor sich her, ein kleines Messrad, das bei jedem Klick die zurückgelegte Strecke zählt: Klick-klick-klick, klick-klick, klick. Das monotone Geräusch durchbricht die Stille der Felder. Es ist ein seltsames Bild: Zwei Leute aus der Apotheke stapfen im Morgengrauen durch Matsch und Tau, als hätten sie sich morgens nach dem Aufstehen im Weg geirrt.
Koorts folgt ihrem Chef Schritt für Schritt, während der Rolltacho lustig weiterzählt. „Apothekenleitung ist wie Fahrradfahren“, sagt Groothusen-Sievers, während er mit seinen knallgelben Gummistiefeln im Morast versinkt. „Man kann es nicht erklären, man muss es einfach machen.“ Wie beim Traktorfahren auf dem elterlichen Hof gilt: lange genug gemacht, schon zählt es als Erfahrung – ganz ähnlich wie eine PTA, die hin und wieder den Notdienst ihres Chefs erledigt, ohne dass die Offiziellen davon etwas mitbekommen oder sich daran stören würden.
Koorts ist für den Vertretungsjob mehr als geeignet: Sie gehört seit über zwanzig Jahren zum Inventar der Apotheke. Sie kennt jeden Schrank, jedes Dokument, jeden Dorfbewohner – und erfüllt auch sonst alle Vorgaben, die das ApoVWG so vorsieht – und das würde auch Groothusen-Sievers ihr so attestieren. Niemand, absolut niemand, würde auf die Idee kommen, dass Koorts ihn nicht vertreten könnte. Dennoch entscheiden mindestens sechs Kilometer darüber, ob sie es nun darf oder nicht.
Am Küchenfenster in der Ferne steht bereits seit geraumer Zeit Stammkundin Oma Petersen in Habachtstellung. Mit verschränkten Armen und stoischem Blick beobachtet sie die Szene. „Mensch, Hauke“, ruft sie dem Duo trocken entgegen, „brauchst du jetzt schon ’n Rollator?“ Am Vorabend hatte sie mehrfach in der Apotheke angerufen, wann denn nun endlich ihre Blutdrucktabletten vorbeigebracht werden. Sie hat zwar noch genug für die nächsten Tage – aber sicher ist sicher.
Als die nette PKA ihr am Telefon sagte, man würde ihr frühmorgens die Tabletten vorbeibringen, hatte sich Oma Petersen bereits am Küchenfenster positioniert. „Wollt‘ ihr auch wohl ’n Lütten?“ ruft sie den beiden aus dem Küchenfenster zu, als wäre es das Normalste von der Welt. Koorts reicht ihr das Botentütchen durch das Küchenfenster, während Oma Petersen ihr ein paar Plätzchen einpackt. Für den Weg.
Nachdem Koorts ihren Chef wieder eingeholt hat, zieht das Apotheker-PTA-Gespann Meter um Meter, Klick für Klick, Schritt für Schritt über Matsch und Felder, bis sie irgendwann im nächsten Dort – Werlte – ankommen. Der Rolltacho verstummt, als er gegen die Mauer der ehrwürdigen Apotheke stößt: 5,95 Kilometer. „Mensch, das kann ja wohl nicht angehen“, seufzt Koorts. „Das müssen wir jetzt nochmal nachmessen, Chef. Vielleicht hat das Ding am Anfang nicht gleich funktioniert.“
Groothusen-Sievers seufzt. Die Sonne ist mittlerweile aufgegangen und wirft lange Schatten über Straße und Felder. Er wollte doch einfach nur mal in Ruhe boßeln gehen, ohne Nachtdienst schieben zu müssen.
Da trifft ihn mit einem Mal der Schlag: Hat eigentlich jemand die Apotheke aufgemacht? Und wenn ja: Wer?
In dieser Woche hat das ApoVWG tatsächlich das Kabinett passiert. Die umstrittene PTA-Vertretung soll zunächst auf Probe eingeführt werden, und zwar nur in ländlichen Regionen, in denen es keine Apotheken im Umkreis von mindestens sechs Kilometern gibt.
Am selben Tag hieß es in vielen Apotheken bundesweit „Licht aus!“ Während die Aktion von Apothekenteams stark kritisiert wurde, bewertete Inhaber Oscar Wilfried Lienau aus der Adler Apotheke Adlershof den Protest positiv: „Es lohnt sich allein deshalb teilzunehmen, um Sichtbarkeit auf die Apotheke vor Ort zu lenken, ganz egal, wie die Aktion an sich zu bewerten ist.“
Außerdem hat dm den Versand von OTC-Produkten aus Tschechien gestartet. Auf der Website können über den Reiter „dm-med“ nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sowie apothekenexklusiven Produkte bestellt werden.
In diesem Sinne: Ein schönes viertes Adventswochenende!
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