Die Rx-Preisbindung gilt nicht für ausländische Versender – laut Bundesgerichtshof (BGH) gibt es nach wie vor keine überzeugenden Argumente, die dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) dazu vorgelegt werden müssten. Das Urteil ist eine schallende Ohrfeige, aber vielleicht haben die Richter in Karlsruhe die Apotheken damit vor Schlimmerem bewahrt. Ein Kommentar von Patrick Hollstein.
Schon in der mündlichen Verhandlung hatte der Senat den Anwalt der Apothekerseite in ein regelrechtes Kreuzverhör genommen. Der hatte tapfer vorgetragen, warum die Preisbindung für das deutsche Gesundheitswesen wichtig ist. Doch laut BGH fehlten harte Fakten: Es müsse substantiiert dargelegt werden, warum die Regelung geeignet und angemessen sei, um die Gesundheit und die flächendeckende Versorgung zu sichern.
Das Oberlandesgericht München habe zwar alles zusammengekratzt und ein „sehr ausführliches und eingehendes Urteil“ vorgelegt. Aber der EuGH habe schon 2016 klar gemacht, dass er nur Nachweise mit statistischen Daten oder anderen Mitteln, die in ihrer Aussagekraft vergleichbar seien, anerkenne. „Was soll denn da noch kommen“, musste sich der Anwalt in der Verhandlung fragen lassen, als er um einen Verweis zurück ans OLG zur neuerlichen Bestandsaufnahme regelrecht betteln musste.
Die rigide Gangart des BGH überrascht. In der Vergangenheit hatten die Richter wiederholt signalisiert, dass sie eine solche Gelegenheit gerne nutzen würden, um die Sachlage neu erörtern zu lassen. Denn der Streit, der 2016 für das EuGH-Urteil gesorgt hatte, mit dem die Preisbindung für ausländische Versender aufgehoben wurde, war seinerzeit vom OLG Düsseldorf am BGH vorbei nach Luxemburg geschickt worden. In Luxemburg hatte man sich aus Sicht der Kritiker nicht hinreichend mit den Gründen beschäftigt, die für den einheitlichen Abgabepreis sprechen könnten.
Eigentlich hätte das Verfahren also die Chance geboten, die Sache vor dem EuGH neu aufrollen zu lassen. Auch DocMorris hätte die Sache gerne ein für alle Mal klären lassen. Doch dazu kommt es jetzt nicht. Vielleicht ist es besser so, vielleicht hat der BGH die Apotheker davor bewahrt, sich derart schlecht vorbereitet in Luxemburg eine blutige Nase zu holen. Andererseits ist fraglich, ob es überhaupt eine realistische Chance gibt, Statistiken und harte Fakten zu liefern. Der Ausgang wirkt fast so, als wäre das Verfahren in Karlsruhe von Beginn an zum Scheitern verurteilt gewesen. Was bleibt, ist eine verpasste Möglichkeit: Hätte der BGH nicht einfach einmal für die Preisbindung einstehen und durchentscheiden können?

Dabei lässt der BGH eine Hintertür. Denn entschieden wurden genau genommen nur zur alten Rechtslage, also der früheren Vorschrift nach § 78 Arzneimittelgesetz (AMG). Auf die Frage, ob die neue Vorschrift nach § 129 Sozialgesetzbuch (SGB V) mit Unionsrecht vereinbar sei, sei es im Verfahren nicht angekommen. Daher beantwortete sie der BGH nicht.
Haben die Richter sich nur einen schlanken Fuß gemacht? Oder waren sie vielleicht der Meinung, dass man nur besser vorbereitet noch einmal nach Luxemburg ziehen sollte? Dazu passt, dass der BGH direkt danach in einem anderen Urteil zu Payback-Punkten ganz andere Töne angeschlagen hat: Bei den nach Heilmittelwerbegesetz erlaubten „geringwertigen Kleinigkeiten“ müsse der Wert so niedrig sein, dass er keinen Einfluss auf die Kaufentscheidung habe, sagte der Vorsitzende Richter. Es sei der „bloße Ausdruck der allgemeinen Kundenzufriedenheit“. Daher habe der BGH die Grenze schon bei einem Euro gezogen.
In Karlsruhe scheint man die Preisbindung also noch nicht gänzlich aufgegeben zu haben. Falls das der Fall sein sollte, müssen nun aber alle Beteiligten ihre Hausaufgaben erledigen – Verbände, Anwälte und auch Politik. Solange werden sich DocMorris & Co. weiter nicht an die Preisbindung halten. Bis die Gerichte entscheiden und sich der BGH tatsächlich noch einmal mit der Frage befasst, wird es wohl noch Jahre dauern. Jahre, in denen Günther Jauch & Co. für die Boni der Versender trommeln dürfen.
Was im Grunde nur bleibt, ist eine politische Lösung. Und bislang hatte sich die Politik nicht allzu sehr für das Thema interessiert, sondern den Versendern freien Raum gelassen. Vielleicht geht der Denkzettel aus Karlsruhe ja auch in diese Richtung nach Berlin.