Keine Apotheke, keine Betriebserlaubnis, keine Kontrolle?

Länderliste: BMG schuf Sonderregel für DocMorris

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Berlin -

Eigentlich hatte DocMorris schon vor drei Jahren vom Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) einen Freibrief bekommen, was den Nachweis einer öffentlichen Apotheke am Standort in Heerlen angeht. Doch der Bundesgerichtshof (BGH) hat völlig überraschend Zweifel angemeldet und schickt die Sache zur gründlichen Prüfung zurück. Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) will die Chance nutzen und nachweisen, dass der Versender den apothekenrechtlichen Anforderungen nicht genügt. Ungemütlich könnte es auch für das Bundesgesundheitsministerium (BMG) werden, das vor fast 20 Jahren eine Sonderregel erlassen und seitdem jegliche Kritik ignoriert hat.

Entscheidender Punkt im Streit ist die Frage, ob DocMorris dem Mindeststandard für den Versandhandel aus dem Ausland entspricht. So heißt es in § 73 Arzneimittelgesetz (AMG), dass eine Apotheke aus dem EU/EWR-Ausland nur dann Arzneimittel an deutsche Verbraucher verschicken darf, wenn sie „für den Versandhandel nach ihrem nationalen Recht, soweit es dem deutschen Apothekenrecht im Hinblick auf die Vorschriften zum Versandhandel entspricht, oder nach dem deutschen Apothekengesetz befugt ist“ und „entsprechend den deutschen Vorschriften zum Versandhandel oder zum elektronischen Handel versandt wird“.

In § 11a Apothekengesetz heißt es klipp und klar: „Der Versand wird aus einer öffentlichen Apotheke zusätzlich zu dem üblichen Apothekenbetrieb und nach den dafür geltenden Vorschriften erfolgen, soweit für den Versandhandel keine gesonderten Vorschriften bestehen.“

So klar diese Vorgabe klingen mag: Im Juni 2006 machte das BMG den Weg frei für DocMorris & Co. In der ersten Bekanntmachung zur Länderliste wurde entschieden, dass in Großbritannien und in den Niederlanden „für den Versandhandel und den elektronischen Handel mit Arzneimitteln dem deutschen Recht vergleichbare Sicherheitsstandards bestehen“. Was die Grundlage für diese Einschätzung war, ist nicht bekannt.

Zwar verwies das BMG explizit auf § 11a ApoG, fügte aber eine unscheinbare Formulierung hinzu: „Für die Niederlande gilt dies, soweit Versandapotheken gleichzeitig eine Präsenzapotheke unterhalten.“ In der Aktualisierung aus dem Juni 2011 wurde diese Formulierung beibehalten; weitere Befassungen gab es seitdem nicht, obwohl die Liste eigentlich regelmäßig aktualisiert werden soll.

Keine Betriebserlaubnis

Schon in der ersten Runde vor dem OLG hatte die AKNR versucht zu beweisen, dass DocMorris keine echte Präsenzapotheke betreibt und damit im Grunde nicht zum Versand befugt ist. Die Kammer hatte sogar Fotos vom Betriebsgelände gemacht, auf denen weit und breit keine Apotheke zu sehen war. Doch das Gericht wollte davon nichts wissen: Die Apotheke müsse nach niederländischem Arzneimittelgesetz lediglich registriert und so gestaltet sein, dass sie den in der Länderliste zum Ausdruck gebrachten Vorstellungen einer Gleichwertigkeit gerecht werde. Und da das BMG in seiner Bekanntmachung eine andere Formulierung („gleichzeitig eine Präsenzapotheke unterhalten“) gewählt habe als in § 11a ApoG („aus einer öffentlichen Apotheke zusätzlich zu dem üblichen Apothekenbetrieb“), seien keine hohen Anforderungen an Ausstattung und Größe zu stellen. „Es reicht vielmehr jede in einem Geschäftslokal tatsächlich betriebene, öffentlich zugängliche – und nach niederländischem Recht zugelassene – Apotheke, in der Arzneimittel von jedermann direkt erworben werden können.“

Das sah der BGH jetzt anders. Das OLG hätte sich bei der Ermittlung des fremden Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken dürfen, sondern auch „die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen“ müssen. „Das Tatgericht ist gehalten, das Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung entwickelt hat. Es muss dabei die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpfen.“

Offenbar haben die Richter in Karlsruhe erkannt, dass das BMG mit seiner Formulierung eine vollkommen untaugliche Regelung geschaffen hat: Wenn nach deutschem Recht der Versand aus der Apotheke zusätzlich zum üblichen Apothekenbetrieb erfolgen soll, werden explizit einheitliche Standards gefordert. Versender in den Niederlanden können dieses Kriterium von vornherein nicht erfüllen, da sie in der Präsenzapotheke niederländische Ware vorrätig halten müssten, während im Lager deutsche Medikamente verschickt werden. Es handelt sich also zwangsläufig um getrennte Geschäftsbereiche, was sich mit den deutschen Vorschriften von vornherein nicht in Einklang bringen lässt. Im Übrigen muss die Präsenzapotheke nach der Regelung nur „gleichzeitig“ betrieben werden, was nach freier Lesart wohl auch an einem ganz anderen Standort möglich wäre.

Rechtsfreier Raum

Nun mag das BMG seinerzeit versucht haben, der besonderen Konstellation in beschränktem Umfang Rechnung zu tragen. Aber dadurch agieren die Versender in einem teilweise rechtsfreien Raum, wie auch Rechtsanwalt Dr. Fiete Kalscheuer von Kanzlei Brock Ziegenbein findet: Denn sowohl im deutschen als auch im niederländischen Recht wird auf die Vorschriften im jeweils anderen Land verwiesen, sodass im Grunde keine der beiden Rechtsgrundlagen gilt. So ist seitens der niederländischen Behörde explizit eine Ausnahme für sogenannte Grenzapotheken vorgesehen, die Medikamente ausschließlich an Patienten im Ausland beliefern: „Die Apotheke hält sich an die Gesetze und Vorschriften des EU-Landes, in dem der Patient wohnt.“

Heißt im Klartext: Einerseits muss sich die Apotheke nicht an die niederländischen Normen halten, weil sie nach den Gesetzen und Vorschriften des anderen EU-Landes arbeiten soll. Andererseits werden die deutschen Vorschriften offenbar genauso wenig beachtet – angefangen beim Fremdbesitzverbot bis hin zur Betriebsausstattung der Präsenzapotheke, die ja eigentlich mit dem Versandhandel in Verbindung stehen sollte.

Kalscheuer hat die Bundesrepublik deswegen im Auftrag mehrerer Apotheker aus dem Umfeld der Freien Apothekerschaft (FA) auf Streichung der Niederlande von der Länderliste verklagt. Er hat in seinem Schriftsatz auch eine Zeugenaussage von Reinhard Rokitta aufgenommen, der vor Ort war: „Der Zugang zur Apotheke war hinter einem großen ‚Betonklotz‘ versteckt. Der ‚Apothekenraum‘ konnte durch die Automatiktür betreten werden. Es ist dort ein ca. 5x5 qm großer Raum mit einem Wartebereich vorzufinden (links: ein Tisch mit vier Stühlen). Es gibt gegenüber dem Eingang zwei Türen: Eine führt zu einer Toilette, eine andere ist für das Personal. Rechts gibt es eine Durchreiche, die durch zwei Schiebefenster abgetrennt ist. Daneben gibt es eine Klingel. Hinter der Durchreiche gibt es einen kleinen Büroraum, ca. 3x5 qm. An der gegenüberliegenden Wand gibt es ein Glasregal mit einigen Arzneimittelpackungen. Es lässt sich nicht von einer Apotheke im herkömmlichen Sinne sprechen. Schon gar nicht werden die Vorgaben für Präsenzapotheken nach § 4 ApBetrO eingehalten.“

Keine Kontrollen

Aber hinzu kommt jetzt, dass es offenbar gar keine Kontrollen gibt. DocMorris hatte im Prozess vor dem OLG selbst eingeräumt, dass für den Betrieb einer Apotheke in den Niederlanden keine Betriebserlaubnis erforderlich sei, sondern ausschließlich eine Anzeigepflicht bestehe und dass lediglich ein Apotheker benannt werden müsse.

Tatsächlich werden die sogenannten Grenzapotheken auch gar nicht von der niederländischen Aufsicht kontrolliert, jedenfalls sofern sie ausschließlich Patienten im Ausland beliefern. Denn die Sonderreglung wurde unter der Voraussetzung eingeführt, dass die Versender eine Bescheinigung einer deutschen Behörde vorlegen, dass sie die Gesetze und Regelungen des EU-Mitgliedstaates einhalten, in dem ihrem Kunden ansässig sind. So heißt es in der Bekanntmachung der Aufsichtsbehörde: „Die Apotheke weist dies [die Einhaltung der ausländischen Vorschriften, Anm. d. Red.] mit einer schriftlichen Erklärung einer zuständigen Behörde des Wohnsitzlandes des Patienten nach.“

Schon 2019 wollte die Linke von der Bundesregierung wissen, wie oft ein solcher Nachweis ausgestellt wurde. „Die Niederlande regeln und vollziehen die Überwachung der Apotheken in ihrem Hoheitsgebiet in eigener Zuständigkeit. Deutsche Behörden können durch niederländisches Recht grundsätzlich nicht zu Überwachungsmaßnahmen in den Niederlanden verpflichtet werden“, lautete die Antwort damals. Laut Kalscheuer wurde bislang kein einziges Bundesland von einem EU-Versender kontaktiert und hat eine solche Überwachungsbestätigung ausgestellt.

Der BGH gibt der AKNR jetzt also eine zweite Chance, dieses Vakuum noch einmal gründlich auszuleuchten – und dabei endlich Öffentlichkeit dafür zu schaffen, dass die Versender weitgehend in einem rechtsfreien Raum agieren. Es ist nicht der einzige Prozess, in dem das Thema diskutiert wird. Der Fall von Kalscheuer liegt vor dem Oberverwaltungsgericht Münster (OVG), allerdings hatte das Verwaltungsgericht Köln (VG) den Eilantrag vor einem Jahr abgewiesen. Außerdem hat IhreApotheken.de im Streit mit Shop Apotheke vor dem Landgericht Frankfurt (LG) ebenfalls darauf abgehoben. Womöglich drohen DocMorris auch finanzielle Konsequenzen: Sollte sich herausstellen, dass das Konstrukt unzulässig ist, könnten die Kassen laut AKNR fünf Jahre zurück retaxieren.

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