Normalerweise nehmen die Gerichte einen großen Umweg, wenn es um die seit 2020 geltende Rx-Preisbindung geht. Die Frage, ob die neue Regelung nach § 129 Sozialgesetzbuch (SGB V) anders zu bewerten ist als die alte nach § 78 Arzneimittelgesetz (AMG), wird in der Regel offen gelassen und auf Grundlage anderer Zusammenhänge entschieden. Selbst der Bundesgerichtshof (BGH) hat es bislang vermieden, sich zu dieser entscheidenden Frage zu äußern. Doch jetzt hat sich erstmals ein Gericht eine Einschätzung abgegeben: In einem Eilverfahren hat das Oberlandgericht Frankfurt (OLG) Zweifel angemeldet.
Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2016 alle Versender mit Sitz im Ausland von der alten Preisbindung nach § 78 AMG freigestellt hatte, hatte die Bundesregierung mit dem Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) eine neue Regelung eingeführt. So heißt es in § 129 Abs. 3 SBG V: „Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 AMG erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.“
Die Idee dahinter war es, den einheitlichen Abgabepreis ins Sozialrecht zu überführen und so dem Zugriff nach EU-Recht zu entziehen. Ob dieser Schachzug aufgeht, ist nach wie vor unklar. Selbst der BGH, der zuletzt den Kampf um die alte Preisbindung endgültig aufgegeben hatte, hat es bislang vermieden, sich zu der Frage zu äußern.
Ausgerechnet in einem Eilverfahren hat sich das OLG Frankfurt jetzt aber dazu eingelassen. In dem Verfahren geht es eigentlich um eine Aktion von DocMorris, bei der je nach Preis des bestellten Rx-Medikaments bestimmte Beträge auf dem Kundenkonto gutgeschrieben wurden. Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) war dagegen vorgegangen und hatte im September vor dem Landgericht Frankfurt (LG) auch die beantragte einstweilige Verfügung erwirkt. Der Bonus sei unzulässig, weil er entgegen der Preisvorschrift gewährt werde. § 129 SGB V sei nicht unionsrechtswidrig.
Im Beschwerdeverfahren ging es jetzt eigentlich nur noch um einen Antrag von DocMorris auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung. Der wurde auch noch abgewiesen und zwischenzeitlich auch ein Ordnungsmittelbeschluss erlassen. Denn laut OLG kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Entscheidung des LG offensichtlich keinen Bestand haben kann.
Denn im Eilverfahren nicht zu klären sei die Frage, ob es sich bei der Gutschrift um eine Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG) handele oder um einen Barrabatt nach § 7 Abs. 1 Nr. 2a. Nur der zweite Fall könnte laut OLG überhaupt zulässig sein, da hier weder die Geringwertigkeitsgrenze gelte, die im konkreten Fall überschritten werde, noch ein Mehrverbrauch induziert werde. Der EuGH hatte bereits entschieden, dass Gutscheine schon nach EU-Recht unzulässig sind, wenn sie für den Kauf von OTC-Medikamenten genutzt werden können. Laut OLG geht es also um die Frage, ob durch den Bonus nur das „Wie“ des Medikamentenkaufs beeinflusst werde oder auch das „Ob“.
Nicht gelten lässt das OLG dagegen die Begründung des LG, nach der der Bonus unzulässig ist, weil er einen Verstoß gegen die aktuelle Preisbindung darstelle. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass § 129 Abs. 3 S. 3 SGB V eine gegen Art. 34 AEUV verstoßende Behinderung des Marktzugangs darstellt und daher gegen im EU-Ausland ansässige Apotheken nicht anwendbar ist.“
Der BGH habe zur Vorgängerreglung in § 78 AMG entschieden, dass dieser mit den EU-Vorschriften zum Binnenmarkt nicht in Einklang stand und daher gegenüber dem in den Niederlanden ansässigen Versender nicht anwendbar war. „Es ist nicht erkennbar, dass für die inhaltsgleiche Regelung des § 129 Abs. 3 S. 3 SGB V anderes gelten sollte, so dass davon auszugehen ist, dass die Arzneimittelpreisbindung – derzeit – nicht zu Lasten der Antragsgegnerin angewendet werden darf, soweit sich die in § 129 Abs. 3 S. 3 SGB V vorgesehene Festlegung einheitlicher Abgabepreise als absolutes Verbot des Preiswettbewerbs erweist und sich als solches auf die Antragsgegnerin – eine in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland ansässige Apotheke – stärker auswirkt als auf im deutschen Hoheitsgebiet ansässige Apotheken, weil dies eine gegen Art. 34 AEUV verstoßende Behinderung des Marktzugangs darstellt.“
Laut Dr. Bettina Mecking, Justiziarin der AKNR, sollte man diesen Ausführungen nicht allzu viel Bedeutung beimessen. „Da der Antrag bereits nach § 7 HWG begründet war, wurde die Vorschrift des § 129 SGB V nicht intensiver diskutiert und wir hatten hier zum neuen Sachverhalt nach Einführung des E-Rezeptes noch nicht umfassend vorgetragen. Vor diesem Hintergrund kann man nicht erwarten, dass das Gericht sich dezidiert und umfassend mit einer solch komplexen Fragen wie der des § 129 SGB V und dessen Europarechtswidrigkeit befasst. Den Ausführungen des OLG Frankfurt kommt daher nur begrenzte Aussagekraft zu. Diese Frage werden wir im Hauptsacheverfahren in gebotenem Umfang klären.“