Im Gesundheitswesen braucht es einen „Prozessmusterwechsel“, findet Sebastian Bayer, Geschäftsführer bei dm. Was er damit meint: Die bloße Optimierung reiche nicht mehr aus, man brauche neue Ansätze, um neue Leistungsniveaus zu erreichen. Sein Konzern könne dabei eine führende Rolle übernehmen, so die Botschaft bei der Handelsblatt-Konferenz „Health 2025“. Gleichzeitig räumte er ein: „Wir sind keine Apotheke und wollen es auch nicht werden.“
Die Menschen im Land machten die Erfahrung, dass das Gesundheitssystem unglaublich kompliziert und komplex und nicht zu verstehen sei, so Bayer. Dabei lebe man in einer Phase großer Umbrüche, „die Menschen da draußen verändern sich, daher muss sich auch das Gesundheitssystem ändern“. Einerseits gebe es den demografischen Wandel, der eine Herausforderung für alle sei: Es gebe immer weniger Arztpraxen; auf einen Facharztermin warte man wochenlang, oft habe man weite Anfahrtswege. Gleichzeitig sinke auch die Zahl der Apotheken; die Unternehmensberatung Sempora kalkuliere mit einem Rückgang auf 13.500 im Jahr 2030.
Gleichzeitig zahlten immer weniger Menschen ins System ein; jüngere Menschen seien zunehmend von älteren umgeben. Das löse eine andere Sichtweise auf das Thema Gesundheit aus: „Die Menschen wollen ihr eigenes Wohlbefinden gestalten und nicht länger passive Empfänger von Gesundheitsbotschaften sein“. Aber: „Aufgeklärte und mündige Menschen treffen auf ein Gesundheitssystem, das sie immer schlechter begleiten kann.“ Er verwies auf die Aussagen des früheren Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD), wonach Deutschland das teuerste Gesundheitssystem Europas habe, das aber nur mittelmäßige Qualität biete.
Für Bayer ist klar: „Das deutsche Gesundheitswesen ist nicht in Stein gemeiselt, es ist erst wenige Jahrzehnte alt und kann verändert werden.“
Der Onlinehandel führe ohnehin dazu, dass die Abgrenzung zwischen Drogerie und Apotheke verschwimme. „Früher gab es eine physische Trennung, weil man schon durch unterschiedliche Türen gehen musste.“ Heute gebe es diese strikte Grenze nicht mehr; Kundinnen und Kunden suchten auch in der dm-App nach Aspirin, Ibuprofen und Voltaren, so Bayer. Auch im Ausland machten Menschen die Erfahrung, dass es OTC-Medikamente im Drogeriemarkt gebe, der dm-Manager nannte Holland und Polen als Beispiel.
Dass das hierzulande nicht gehe, hänge mit der Regulatorik zusammen. „Ich kann nicht erkennen, dass diese deutsche Regulatorik uns aus Patienten- und Kundensicht international zu einem nachahmenswerten Beispiel gemacht hat“, so Bayer.
Warum dm? Drogerien hätten seit jeher einen Fokus auf Gesunderhaltung, in Abgrenzung zur Apotheke, in die man gehe, wenn man krank sei. „Wir haben ein großes Pharmasortiment, Mund- und Zahnpflege, Intimhygiene und Inkontinenzprodukte.“ 67 Prozent der Befragten aus der Sempora-Umfrage könnten sich vorstellen, auch OTC-Medikamente in der Drogerie zu kaufen. Und dann habe man selbst schon den Nachweis erbracht, dass Gesundheitsdienstleistungen bei dm angenommen würden: In der Pandemie habe man in 523 Testzentren rund zwei Millionen Tests durchgeführt, 3800 Kolleginnen und Kollegen hätten sich freiwillig beteiligt.
„Die Menschen trauen dm schon einiges zu, deshalb gehen wir diesen Weg“, so Bayer. Den Gegenwind seitens Apotheker- und Ärzteschaft habe man erwartet, „das zeigt, dass wir auf dem richtigem Weg sind“. Am Ende gehe es nur um die Resonanz der Kundinnen und Kunden. Und nach den ersten Erfahrungen mit drei Dienstleistungen – Augen-, Blut, Hauttests – in jeweils zwei bis fünf Märkten sei man sehr zuversichtlich: „Das ist sehr ermunternd für uns, die Kunden nehmen es gut an.“
Für Bayer kann Prävention nur funktionieren, wenn sie niederschwellig, kostengünstig und schnell durchzuführen ist. „Gesundheitsvorsorge muss zeitlich, finanziell und logistisch zugänglich sein, sonst bleibt sie schöne Theorie.“ Heute lasse sie sich kaum in den Alltag der Menschen integrieren; für einen Laborbefund müsse man zwei Mal zum Arzt. „Wir wollen Prävention zugänglicher machen.“
Dann trat Bayer aber überraschend den Rückzug an: „Auch für uns gilt: Schuster bleib bei deinen Leisten. Wir sind keine Apotheke und wir wollen auch keine werden.“ Deshalb sehe er im Grunde mehr Synergien als Konkurrenz: Wenn Menschen ohnehin in der Apotheke seien, dann sei es auch richtig, dort über Prävention zu sprechen – wobei es dann natürlich auch kostengünstig sein müsse.
Natürlich erhalte man unglaublich viele Zuschriften von potenziellen Partnern, die man kaum alle prüfen könne. Aktuell sei keine Ausweitung geplant: „Wir haben viel zu tun mit den drei Dienstleistungen, wir wollen uns auch nicht übernehmen. Eins nach dem anderen.“
Und mit wirklich kranken Menschen werde man wohl auch künftig nichts zu tun haben: „Wir trauen uns Dinge zu, die oberflächlich am Körper sind. Die Kompetenz für die Therapie liegt woanders, ich weiß gar nicht, ob wir da jemals hinkommen.“ Das gelte auch für Arzneimittel: „Rezepte werden auf absehbare Zeit in der Apotheke bleiben, deshalb bieten wir das auch nicht an.“