ApoRetro – Der satirische Wochenrückblick

Roll-out abgeblasen: Auf E- folgt A-Rezept

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Berlin -

Das E-Rezept kommt – nicht mehr. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zieht die Reißleine und legt einen regelrechten U-Turn hin: Warum mit Plastikkarten, Serverfarmen und Elektroschrott arbeiten, wenn man ganz nachhaltig und ausfallsicher auf Papierrezepte setzen kann?

Wenn Lauterbach ein politisches Talent hat, dann ist es die Fähigkeit, Blamagen einfach wegzudeklarieren. Schon bei den Lieferengpässen verkaufte er seine behelfsmäßigen Notmaßnahmen als ausgebufften Plan. Seine Zerknirschtheit ist Lauterbach also auch nicht anzumerken, als er das E-Rezept nur zwei Tage nach der verpflichtenden Einführung überraschend komplett einstampft.

„Wir haben es mit der Digitalisierung übertrieben“, gibt er mit beherzter Miene im Presseraum seines Ministeriums zu Protokoll. Umgeben ist er von Kassen- und Verbändevertretern – warum soll er alleine seinen Kopf für das Scheitern hinhalten... Die „High-Level-AG“ (vulgo: Steuerungskreis) hat mit der Stimmenmehrheit des BMG entschieden, dass das E-Rezept doch nicht umgesetzt wird. Grund sind allerdings nicht die vielen Unzulänglichkeiten im Versorgungsalltag, sondern vielmehr die Tatsache, dass die Infrastruktur schon jetzt nicht mehr auf dem aktuellen Stand ist und die permanente Aufholjagd nur noch mehr Geld verschlingen würde.

Erst Papier, dann Kreidetafel

Als Sofortmaßnahme präsentiert Lauterbach das Muster-16-Formblatt; akribisch erklärt vor den anwesenden Journalisten, welche Daten in welche Felder eingetragen werden müssen und welche Stolperstellen es dabei gibt. Lang und breit legt er außerdem dar, warum ein Rezept aus nachwachsenden Rohstoffen die ökologischere Alternative zu eGK, iPhone und Konnektor ist. 2025 soll das Papierrezept aber noch einmal abgelöst werden, und zwar durch kleine Täfelchen, auf die die Verordnung mit Kreide aufgetragen wird und die nach Ablauf der Retax- und Aufbewahrungsfrist zur erneuten Verwendung an die Praxen zurückgehen.

Breite Zustimmung im Kabinett: Verkehrsminister Volker Wissing bekommt mehr Zeit für den Netzausbau, Finanzminister Christian Lindner darf die dringend benötigten Kürzungen im Haushalt vornehmen. Und Agrarminister Cem Özdemir bekommt die Aufsicht über die Gematik, die zu einer Agentur für Cannabiskonsumforschung umgebaut wird. Selbst die Kassen sind dabei, finanzieren sie doch seit Jahren das mittlerweile fast milliardenschwere Prestigeprojekt.

Untauglich im Alltag

Tatsächlich würden sich wohl viele Apotheken wünschen, wenn das E-Rezept tatsächlich abgeblasen würde. Nicht nur, weil die Versender schon wieder mit Sonderangeboten und Expresslieferungen um Verordnungen buhlen. Sondern weil sich in der ersten Woche nach der verpflichtenden Einführung zeigt, wie wenig zu Ende gedacht das E-Rezept ist.

Ob Arztbezeichnung oder Ablauffrist, Heimversorgung oder Vorbestellung, Abholer oder Chargenübermittlung – ganz offensichtlich arbeitet bei der Gematik niemand, der sich mit den Niederungen des Versorgungsalltags auskennt oder beschäftigt hat. Das kann man auch nicht als kleine Unzulänglichkeiten abtun, Digitalisierung bedeutet nun einmal, dass Prozesse bis ins Detail abgebildet sind. Die Spezifikationen der Gematik tragen aber ausschließlich die Handschrift von Informatikern, bis zum Protestbrief kurz vor Weihnachten scheinen die Apothekenvertreter im Tiefschlaf gewesen zu sein.

Hinzu kommt, dass die Praxen, so wie zu erwarten war, zum Jahresbeginn regelrecht überrannt wurden und ganz andere Sorgen hatten. So wurden vielerorts Papierrezepte ausgestellt. Hinzu kamen gleich mehrere neuerliche Ausfälle der TI.

Und als ob das nicht genug wäre, sind die Apotheken auch noch mit den neuen Preisbildungsregeln bei der Rezepturherstellung konfrontiert. Die Verbände sind von den vielen Anfragen heillos überfordert, genauso wie die Hotlines einiger Softwarehäuser.

Zu guter Letzt kommen die ersten Statistiken ans Licht, wie viele Apotheken im vergangenen Jahr geschlossen haben. Während Nordrhein mit einem guten Dutzend Neueröffnungen ein Sonderfall ist, rasseln in anderen Kammerbezirken die Zahlen weiter in den Keller. Alleine in Kiel haben Ende des Jahres vier Apotheken für immer dicht gemacht. Für Lauterbach dürften das Argumente sein, seine Reformpläne durchzusetzen. Von ihm war allerdings im neuen Jahr nichts zu hören, genauso wie von der Abda. Schönes Wochenende!

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