„Diese Daten liegen uns leider nicht vor“

E-Rezept: Gematik kennt Einlösewege nicht

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Berlin -

In wenigen Wochen soll das E-Rezept verpflichtend werden. Doch obwohl die Arzneimittelversorgung massiv beeinflusst werden könnte, macht sich offenbar niemand die Mühe, die Folgen im Blick zu behalten. Die Gematik weiß angeblich noch nicht einmal genau, welche Einlösewege genutzt werden und wo die Rezepte landen.

Die Digitalisierung soll alles einfacher und transparenter machen. Die Gematik spricht sogar von einem „Quantensprung“ in der Entwicklung der Medizin: „Die Erfassung, Verarbeitung und Nutzung medizinischer Daten beflügelt die Forschung, revolutioniert Therapien und sorgt dafür, dass wir immer gesünder, länger und besser leben. Diesen Prozess in Deutschland entschlossen voranzutreiben und konstruktiv mitzugestalten, ist Ziel, Aufgabe und Mission der Gematik“, heißt es auf der Website.

Auf ihrem Dashboard weist die Gematik stets aktuelle Zahlen dazu aus, wie sich das E-Rezept entwickelt. Demnach wurden mittlerweile 9,6 Millionen digitale Verordnungen eingelöst – zum Vergleich: Pro Tag werden rund 2 Millionen Papierrezepte ausgestellt. Immerhin, das Thema nimmt Fahrt auf: Während knapp 25.000 Praxen und andere Einrichtungen die neue Möglichkeit nutzen, liegt die Anzahl der Apotheken, die in der vergangenen Woche mindestens ein E-Rezept beliefert haben, mittlerweile bei 17.104 – bei aktuell rund 17.700 Apotheken insgesamt.

Um abschätzen zu können, wo die Akzeptanz am größten ist, aber auch wie sich der Anteil des Versandhandels entwickelt, bräuchte man Details zu den verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten des E-Rezepts. Immerhin erwecken die Versender gegenüber ihren Investoren bei jeder Gelegenheit den Eindruck, die digitalen Verordnungen würden ihnen ganz automatisch zufließen. Andererseits klagen DocMorris und Shop Apotheke immer wieder darüber, dass sie beim eGK-Verfahren außen vor sind und sich juristische Schritte gegen diese vermeintliche Diskriminierung vorbehalten.

Daten liegen nicht vor

Informationen, die diesbezüglich Rückschlüsse zulassen, gibt es von offizieller Seite nicht: Auf Anfrage, wie die verschiedenen Einlösewege – eGK-Stecklösung, Ausdruck, Gematik-App – genutzt werden und wo die E-Rezepte beliefert werden, teilt eine Sprecherin mit: „Diese Daten liegen uns leider nicht vor.“

Noch nicht einmal die Nutzung der eigenen App scheint die Gematik zu kennen: Wie hoch ist die Zahl der eingelösten E-Rezepte mittels App? „Dies können wir leider nicht beziffern.“

Auch die Kassen können (oder wollen) keine Daten dazu zur Verfügung stellen: Das sei nichts, das man standardmäßig auswerte, heißt es. Somit habe man auch leider keine Zahlen.

Dass sich die zuständigen Stellen, allen voran die mit Millionenetats ausgestattete, mehrheitlich staatliche „Agentur für digitale Medizin“, keinerlei Mühe machen, die Auswirkungen der Digitalisierung im Blick zu behalten, ist kaum zu glauben. Immerhin soll die Anwendung des E-Rezepts ab 1. Januar verpflichtend werden – und je nachdem, wie sich die Sache entwickelt, könnten tatsächlich erhebliche Verordnungsvolumina in den Versandhandel abwandern.

Schon aus diesem Grund sollte das politische verantwortliche Bundesgesundheitsministerium (BMG), immerhin Mehrheitsgesellschafter der Gematik, ein erhebliches Interesse daran haben, dass die Entwicklungen beim E-Rezept kontinuierlich im Blick behalten werden.

Datenschutz geht vor

Andererseits ist es gut möglich, dass die Gematik doch über viel mehr Informationen verfügt, als sie öffentlich verraten will. „Nach unseren Informationen wird das E-Rezept mittlerweile mehrheitlich über die eGK genutzt, gefolgt vom Ausdruck“, räumt ein Sprecher auf nochmalige Nachfrage ein. „Die App-Nutzungen ist vergleichsweise noch gering. Aus datenschutzrechtlichen Gründen erheben wir keine feingranularen Daten dazu.“

Ein Näherungswert für die Nutzung des eGK-Verfahrens könnte die Anzahl der Abrufe aus dem Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) liefern. Der Identitätsnachweis (Proof of patient presence) ist Voraussetzung für den Abruf des E-Rezepts aus dem Fachdienst.

Laut einer internen Analyse der Gematik wurde in KW 37 knapp 97.000 Mal eine eGK in der Apotheke gesteckt. Insgesamt wurden im gleichen Zeitraum 226.000 E-Rezepte erfolgreich eingelöst. Beim Abgleich beider Zahlen sind etwaige Mehrfachverordnungen zu beachten: Beim Papierrezept werden im Durchschnitt 1,6 Zeilen verordnet, beim E-Rezept liegt der Wert sogar noch höher.

In den wöchentlichen Jour fixes mit den Ärzte- und Apothekerorganisationen, den sogenannten E-Rezept-Sprechstunden, wurde daher der Anteil, der auf das eGK-Verfahren entfällt, vor einiger Zeit auf 70 bis 75 Prozent beziffert. Im November soll er laut Analyse eines Warenwirtschaftsanbieters sogar bei 85 Prozent gelegen haben – Tendenz weiter steigend. Die Gematik-App spielt demnach mit 0,1 Prozent so gut wie keine Rolle, und auch andere Apps sollen zu vernachlässigen.

Versender hüllen sich in Schweigen

Wie viele Verordnungen, die nicht über die eGK eingelöst wurden, in Holland gelandet sind, weiß niemand außer den Versendern – und die wollen dazu partout keine Aussagen machen. Auf Nachfrage werden keine Zahlen genannt, selbst gegenüber Analysten werden dazu Aussagen verweigert. Immer wieder wird stattdessen die Gesamtzahl referenziert – ohne dass sich daraus irgendetwas für das eigene Geschäft ableiten ließe.

Dabei ließe sich sogar herausfinden, wie oft E-Rezepte bei DocMorris & Co. eingelöst werden. Über die jeweiligen Hersteller-Codes der Softwarehäuser etwa wäre eine Analyse möglich, da die großen Versender ihre jeweiligen IT-Dienstleister natürlich ebenfalls angemeldet haben.

Wie hoch der Anteil am Ende sein mag: Für die Versender ist das Übergewicht der eGK-Variante ein massives Problem. Aktuell führt der Weg zu ihnen nur über die Gematik-App oder das Abfotografieren des ausgedruckten Token. Dass keine Erfolgszahlen verkündet werden, ist vor diesem Hintergrund immerhin auch schon eine Aussage.

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