Videointerview Dr. Sven Jansen (Medivise)

Telemedizin im Handel: „Das ist die Zukunft“

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Dr. Sven Jansen erklärt das Konzept zu Medivise.Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin -

Videosprechstunden sollen in Zukunft eine wichtige Rolle spielen – aber wo finden sie statt? Anbieter wie Teleclinic wollen sich im Netz positionieren, Medivise geht einen anderen Weg: Das Start-up hat eine Beratungskabine entwickelt, die in Apotheken, aber auch in Supermärkten oder Drogeriefilialen aufgestellt werden soll. Geschäftsführer Dr. Sven Jansen erklärt, was es mit dem Konzept auf sich hat.

ADHOC: Was ist Medivise?
JANSEN: Medivise ist eine Lösung für ländliche Regionen, wo Engpässe in der Infrastruktur bestehen und teilweise auch kein Arzt mehr da ist. Im Prinzip ist Medivise eine „Gesundheitsbox“, in der sich der Patient rund um die Uhr mit dem telemedizinisch behandelnden Arzt unterhalten kann.

ADHOC: Warum nicht direkt von zu Hause aus?
JANSEN: Man kann tatsächlich bereits mit Telemedizin sehr viel machen, auch vom Sofa aus. Aber irgendwann kommt man an den Punkt, wo zum Beispiel gewisse Diagnosegeräte nicht vorhanden sind. Deswegen haben wir uns überlegt, dass es einen Raum geben muss, wo genau solche diagnostischen Geräte vorgehalten werden und wo dann ein Arzt hinzu geschaltet werden kann. Man findet sich in einer klinischen Umgebung wieder, sodass man es als ärztlichen Raum annimmt.

ADHOC: Wo soll Medivise zum Einsatz kommen?
JANSEN: Das ist sehr unterschiedlich. Die Box kann mehr oder weniger auf der Wiese stehen und man kann dort als Patient nach Terminvereinbarung alles alleine machen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass die Box etwas größer und beispielsweise mit Liege ausgestattet ist und dass dort eine MTA zu gewissen Zeiten vor Ort ist und assistiert.

ADHOC: Welche Rolle spielen dabei Apotheken?
JANSEN: Bei den Apotheken sehen wir derzeit das größte Interesse, weil sie diese pharmazeutische Dienstleistung gerne in ihre Nähe bringen wollen. Denn als Betreiber einer solchen Box kann man sich am Markt noch einmal ganz anders positionieren. In anderen Ländern gibt es solche Modelle schon, gerade in den USA, aber auch asiatischen Raum. Bei uns steckt das Thema noch in den Kinderschuhen und wir erleben gerade, dass sehr viel Dynamik entsteht.

ADHOC: Wie finanziert sich das Konzept?
JANSEN: Die Box ist aus unserer Sicht nur die Grundlage für die telemedizinische Betreuung. Das heißt, wir verdienen nicht an der Box, sondern an dem, was in der Box passiert. Der Arzt hat Pauschalen, die er im Rahmen der Telemedizin abrechnen kann, und daran partizipieren wir zu einem kleinen Teil. Umgekehrt bekommt der Arzt durch uns die Möglichkeit, an der telemedizinischen Versorgung teilzunehmen. Im Grunde ist es also ein Geben und Nehmen.

ADHOC: Wer steht hinter Medivise?
JANSEN: Gestartet haben wir vor ungefähr zwei Jahren mit einem Gesundheitsökonomen, mit einem Innenausstatter, mit einem Möbelbauer und mit einem Experten für Human Centric Design. Ziel war es, eine Box zu entwickeln, in die man gerne hineingeht – und nicht einfach eine Plastikumgebung, wie wir es in anderen Ländern zurzeit sehen.

ADHOC: Was ist denn technisch besonders an der Box?
JANSEN: Unsere Box ist sehr durchdacht, sie ist nachhaltig: Die Abwärme vom Kühlschrank speist das Licht, die Luft wird permanent gereinigt, alles ist klinisch abwaschbar. Ich denke, man merkt, dass wir uns sehr viel Zeit genommen haben, um die Box auch wirklich ansprechend zu machen.

ADHOC: Wo sehen Sie konkrete Einsatzmöglichkeiten?
JANSEN: Wir sind jetzt in vielen Diskussionen, mit Apothekern, mit MVZ- und Klinikketten, aber auch mit Supermärkten oder Drogerieketten und auch mit Hotels. Aber am Ende muss der Patient das Angebot annehmen, und diesen Nachweis müssen wir natürlich noch liefern.

Wir glauben aber, dass wir im Moment nicht nur in Deutschland, sondern global in einer Situation sind, wo wir eine Dysbalance haben zwischen Angebot und Nachfrage. Die Leute werden immer älter, wir haben die Babyboomer, wir haben die Alterspyramide. Auf der anderen Seite studieren immer weniger Leute Medizin, ein weiteres Stichwort lautet Work-Life-Balance. Das heißt, wir müssen uns neuer Tools annehmen, um das auszugleichen. Und da machen wir jetzt den ersten Schritt und hoffen natürlich, dass er erfolgreich ist.

ADHOC: Wie wollen Sie an Patiententermine kommen?
JANSEN: Das kann ganz unterschiedlich sein. Wir sind gerade dabei, für eine Kassenärztliche Vereinigung (KV) den Kindernotdienst darüber abzubilden. Parallel arbeiten wir gemeinsam mit einer Universitätsklinik daran, die Notaufnahme zu entlasten: Da hat man so eine Art Stehle, wo man seine Versichertenkarte einsteckt und wo dann eine kleine Triage stattfindet, sodass man am Ende einen Termin buchen kann in der Box. Man kann es aber auch über das Handy von zu Hause aus machen, wenn man weiß, wo eine Box steht.

Die ersten Boxen sollen noch im April an den Start gehen.Foto: Medivise

ADHOC: Wann startet der Betrieb?
JANSEN: Die ersten Boxen gehen tatsächlich Ende April an den Start, das wird das Modellprojekt mit der KV sein. Kurz darauf folgen dann die Universitätsmedizin und einige Kliniken im Süden von Deutschland – und auch der erste Anwendungsfall in einem Supermarkt.

ADHOC: Medizin im Supermarkt… Gibt es dazu internationale Vorbilder?
JANSEN: In den USA gibt es das bei Walmart, Walgreens, CVS oder Amazon Clinic. Allerdings hat man dort sehr stark auf das „Prinzip Beton“ gesetzt, indem ein Supermarktonzern eine Praxiskette gekauft und beides dann physisch zusammengebracht hat. 11.500 sogenannter Primary Health Centers gibt es bereits. Man merkt aber, dass nicht nur das Investment sehr hoch war, sondern auch dass man eigentlich flexiblere Lösungen braucht: Also nicht der Kranke geht zum Arzt, sondern der Arzt kommt dahin, wo der kranke Mensch ist.

ADHOC: Videoarzt statt Praxis also?
JANSEN: Wir sind überzeugt, dass dieses Konzept an Bedeutung gewinnen und sich durchsetzen wird. Dafür müssen wir aber natürlich Berührungspunkte schaffen. Deswegen glaube ich, dass Telemedizin in Drogeriemärkten, Apotheken, Supermärkten die Zukunft ist.

ADHOC: Stärken oder schwächen Sie bestehende Strukturen?
JANSEN: Ich glaube, wir stärken die Infrastruktur, die heute schon vorhanden ist, weil wir sie einfach optimal ausnutzen. Die Ärzte dürfen jetzt in Deutschland 30 Prozent telemedizinisch behandeln, haben aber teilweise nicht die Voraussetzung dafür oder möchten es gar nicht. Durch Videosprechstunden kann beispielsweise auch eine junge Ärztin, die als Mutter nur gewisse Zeiten abdecken kann, ihre Arbeitskraft für diese 30 Prozent zur Verfügung stellen. Das ist Zeit, die sonst komplett verfallen wäre. Auch mit Blick auf die Landärzte bin ich überzeugt, Telemedizin stärkt das System insgesamt.

ADHOC: Wie viele Boxen wird es Ende 2026 geben?
JANSEN: Wenn ich mir was wünschen dürfte, würde ich jetzt sagen 1000. Das ist vielleicht noch ein bisschen hoch gegriffen, aber wir rechnen schon mit ein paar hundert Boxen, die Ende nächsten Jahres auf jeden Fall am Start sein werden.

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