Neue Rolle für die Apotheke

Lucas: Apothekenreform hat Potenzial

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Berlin -

Fachkräftemangel, Lieferengpässe und der demografische Wandel – das Gesundheitssystem steht zukünftig vor vielen Herausforderungen. Bei der Bewältigung müssen auch die Apotheken eine Rolle einnehmen. Auf der Digital Health Conference diskutierten Abda-Vizepräsidentin Dr. Ina Lucas, DocMorris-CEO Walter Hess und Luisa Wasilewski, Founder & CEO Pulsewave/Halbzeit.ai, die notwendigen Schritte.

„Das Schöne an Vor-Ort-Apotheken ist, dass die Patientinnen und Patienten eigentlich gar nicht so viel mitbekommen davon, wie schwierig alles geworden ist“, sagte Lucas. Noch – denn wenn man weiter nach vorne schaue, werde es druckvoller werden. „Wir werden weniger Menschen sein, die versorgen können. Wir werden mehr Menschen haben, die versorgt werden wollen“, so Lucas. Mit Blick auf Lieferengpässe werde man zudem vor strukturellen Herausforderungen stehen, und zusätzlich auch vor politischen Herausforderungen, nicht zuletzt im Hinblick auf die Honorierung der Arzneimittelversorgung durch Apotheken vor Ort.

„Aber Gott sei Dank, haben wir eine sehr engagierte Bundesgesundheitsministerin, die sich die Apothekenreform vorgenommen hat“, sagte Lucas. Im Entwurf seien viele Ansätze enthalten, die die Apotheke vor Ort als Zukunftsapotheke definieren würden. Dabei spiele auch die Digitalisierung eine Rolle.

Wasilewski erklärte: „Ich finde es ja immer ganz interessant, wenn man sich Apotheken anschaut. Wir alle kennen das Konzept Amazon Prime, ‚Same Day Delivery‘. Die Apotheken machen das schon seit etlichen Jahren, aber die sind krasser als jeder Amazon Prime Service.“ Man gehe um zehn Uhr rein und habe um zwölf Uhr das Medikament in der Filiale vor Ort. „Ich finde das ganz wichtig, auch zu sagen, dass Apotheken mit Blick auf das Warenwirtschaftssystem und die Logistik eigentlich ziemlich digital sind.“

Auch die Versender spielten heute schon eine relevante Rolle in der Versorgung, erklärte Hess – insbesondere im ländlichen Raum, wo die Versorgung teils schwieriger sei. „Genau da sehen wir uns eigentlich positioniert, dass wir die flächendeckende Versorgung auch mit sicherstellen können“, betonte Hess. Bereits heute würden rund 30 Prozent der Bevölkerung angeben, mindestens einmal im Jahr Medikamente über den Versand zu beziehen. Die Zahl sei in strukturschwachen Regionen noch höher.

Telepharmazie

Ein weiterer Punkt, der bereits unter Karl Lauterbach (SPD) heftig diskutiert wurde, war die Telepharmazie. „Mein Berufsstand, die Apotheken und Apotheker, haben unglaublich große Lust, mehr in der Primärversorgung anzupacken und auch mehr in der Primärversorgung sichtbar zu werden“, erklärte Lucas. Gute Patientenversorgung werde sich zukünftig nicht allein über ein primärärztliches Versorgungssystem stemmen lassen; es müsse ein Primärversorgungssystem sein, wo mehr Anlaufstellen sichtbar würden. „Telepharmazie ist aus meiner Sicht nicht der erste ‚Game Changer‘, über den wir sprechen müssen“, so Lucas.

Zunächst müsse über assistierte Telemedizin gesprochen werden. Das seien Versorgungspfade im digitalen Bereich, die wirklich beim Patienten ankämen. Bevor ein Patient in die Apotheke komme, müsse es zuerst ärztlichen Kontakt gegeben haben. „Der zweite Schnitt sind wir. Wir versorgen dann.“

Was die Apotheke allerdings als Mehrwert leisten könne, um weiter mitzuhelfen, seien Monitorings und Screenings. „Wir können begleiten, wir können Orientierung geben, wir können aufklären.“ Lucas sprach auch die Gesundheitskompetenz an: „Wir haben es mit einer sinkenden Gesundheitskompetenz zu tun, aber mit einem größeren Bedarf an Versorgung. Das müssen wir zusammenbringen.“

Die Apotheke vor Ort sei außerdem ein „Gatekeeper“, der viele Fälle betreue, die eben nicht mehr in die Arztpraxis müssten. „Die Apotheke der Zukunft ist für mich ein Player, der mitmacht“, so Lucas.

Apothekensterben

Der Versandhandel habe nicht zum Apothekensterben geführt, erklärte Hess. Zwischen 2010 und heute sei die Anzahl der Apotheken vor Ort von rund 21.000 auf 17.000 gesunken. In dem Zeitraum habe sich der Anteil der Online-Apotheken im Rezeptgeschäft allerdings kaum verändert; er liegt bei ungefähr 1 Prozent, erklärte Hess. „Das hat definitiv keinen Zusammenhang“, so Hess. Apotheken würden vielmehr aus Wettbewerbs- oder Performance-Gründen schließen, gerade im städtischen Bereich. Im ländlichen Bereich spiele auch die fehlende Nachfrage eine Rolle. „Und das sind die effektiven Gründe, also nicht die Online-Apotheke“, so Hess.

Hess sieht in der Telepharmazie großes Potenzial: „Da, glaube ich, machen wir einen Riesenschritt nach vorn. Und da ist Telepharmazie eine der Lösungen.“

Lucas sehe aktuell dagegen vor allem in der digitalen Verknüpfung von Apotheke und Arztpraxis einen Mehrwert, um den Patienten besser zu betreuen. Der Anwendungsfall zwischen Patient und Apotheker sei aktuell rechtlich noch nicht beschrieben. Sicherlich gehöre Telepharmazie zur Versorgung hinzu, „aber es wäre für mich in der Priorisierungskette nicht auf der Eins“.

Pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) und Impfen

Apotheken sollen zukünftig mehr Aufgaben in der Versorgung übernehmen. Wasilewski erklärte: „Impfen in Apotheken ist kein Trend mehr, es wird gemacht.“ Das zweite Thema seien aus ihrer Sicht Gesundheitsboxen, die in der Apotheke aufgestellt würden, in denen Tests gemacht und Ärzte zugeschaltet werden könnten. „Das, was früher Ärzte gemacht haben, rutscht immer mehr in die Apotheke, und das werden wir mit Blick auf den demografischen Wandel auch nicht mehr anders machen können“, erklärte sie. Auch der Online-Versand könne unterstützen.

Wasilewski glaubt, dass KI auch in Apotheken, nicht nur in Arztpraxen, künftig eine größere Rolle spielen wird. Auch bei Wechselwirkungen könne KI entlasten – generell in Prozessen, wie Dokumentation, Terminbuchungen und ähnlichem.

Hybrider Weg und Bürokratie

Hess erklärte: „Ich glaube, mit jedem Digitalisierungsschritt, sei es das elektronische Rezept, oder eine elektronische Patientenakte, geht es in die richtige Richtung. Es braucht aber natürlich noch viel, viel mehr.“ Aber es müsse noch sehr viel mehr und sehr viel schneller gehen, „mit weniger Regulierung“. Diejenigen, die Innovation treiben, dürften nicht gebremst werden, sei es durch endlose Klagefluten, durch noch eine Regulierung oder durch Lobbyismus. Innovation dürfe nicht durch Regularien und Bürokratie gestoppt werden.

Aus der Sicht des DocMorris-Chefs sei der „hybride Weg“ der richtige. Dazu brauche es vor allem eine digitale Identität, um in der Telepharmazie und der Telemedizin wirklich die Potenziale heben zu können.

„Wir sollten aus der Patientenperspektive schauen“, so Lucas. Die alternde Gesellschaft werde häufiger krank, die Krankheitsbilder würden komplexer. Man müsse die Frage auch gesellschaftlich beantworten: „Wie viel Miteinander, wie viel Betreuungsangebot, wie viel vor Ort sein, wie viel Hand halten, wie viel Gespräch führen, will diese Gesellschaft sich leisten? Und das kann eine Apotheke vor Ort einfach, dafür ist sie prädestiniert. Das ist unser Alltag.“

pDL

Lucas erklärte, dass die pDL aktuell kaum genutzt werden. Dass diese noch nicht „fliegen“, habe Gründe. Mit der neuen Rolle seien auch neue Aufgaben gekommen, die man früher so nicht gehabt habe. Die Kammer habe Fortbildungen organisieren müssen, Lieferengpässe mussten verwaltet werden und die Herausforderungen der Pandemie galt es zu stemmen. „Da kommt dann manchmal auch einfach viel zusammen, warum Dinge nicht sofort zum Fliegen kommen. Aber mein Berufsstand lernt dazu“, so Lucas.

Man sehe bereits, dass es besser werde und mehr Angebote gemacht würden. „Aber es braucht eben manchmal auch noch ein bisschen Zeit.“

Hess erklärte: „Diese Überregulierung erstickt jede Innovation im Keim.“ Außerdem müsse mehr Gleichwertigkeit in den hybriden Versorgungswegen geschaffen werden – technisch und rechtlich. Ein Beispiel sei die Heimversorgung: „Da kommen wir als Online-Apotheke, als digitaler Kanal nicht ran“, kritisierte Hess, das müsse aufgebrochen werden. Auch beim Botendienst müsse Gleichheit in der Vergütung geschaffen werden.

Lucas entgegnete: „Es gibt einen Unterschied zwischen einer Apotheke vor Ort und Versendern. Wir haben ganz andere Versorgungspflichten.“ Bei der Heimversorgung mit vielen multimorbiden Patienten könne nicht einfach ein Päckchen geschickt werden, da müsse jemand drauf schauen.

„Ich prophezeie, dass wir eine Apotheke der Zukunft haben werden, die niedrigschwellige Anlaufstelle ist, die Lotsenfunktion übernimmt, die den Patientinnen und Patienten Angebote macht.“ Man spreche immer von ambulant vor stationär. „Ambulant – das sind wir und wir werden eine gute Figur machen. Dafür gebe ich mein Wort“, versprach Lucas.

Hess schloss: Mit der ePA werde man viel mehr Datentransparenz haben und das Forschungsdatenzentrum werde es schaffen, dass die individuelle Versorgung besser werde. Das zweite sei KI, die werde überall Einzug halten. „Ich glaube, in fünf Jahren werden wir sehen, dass es digital vor ambulant vor stationär sein wird.“

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