Mit der Apothekenreform sollen auch neue Aufgaben den Handlungsspielraum der Apotheken erweitern. Dazu gehört auch die Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten in bestimmten Fällen, zur Akutversorgung oder zur Behandlung von Chronikern ohne ärztliches Rezept. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) warnt in seiner Stellungnahme vor möglichen Mehrkosten und fordert weitere Konkretisierungen der Voraussetzungen, wann die Abgabe erfolgen darf und wann nicht.
Zukünftig soll es Apotheken möglich sein, in eng begrenzten Fällen eine Anschlussversorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auch ohne ärztliche oder zahnärztliche Verschreibung vorzunehmen, sofern das betreffende Arzneimittel bereits über mindestens vier Quartale hinweg regelmäßig ärztlich verordnet wurde und die Fortführung der Therapie keinen Aufschub erlaubt. In diesem Fall soll einmalig die kleinste Packungsgröße abgegeben werden dürfen. Davon ausgenommen sollen Arzneimittel mit hohem Missbrauchs- oder Abhängigkeitspotenzial, solche, die nach Fachinformation eine ärztliche Kontrolle vor der Weiterverordnung erfordern, sowie Off-Label-Anwendungen.
Der G-BA weist darauf hin, dass die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln regele. Ob die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) die Kosten für das Medikament übernimmt, ergibt sich aus dem Sozialgesetzbuch (SGB V).
„Daher bleibt unklar, ob und inwieweit der Gesetzgeber in den genannten Ausnahmekonstellationen von einer Abgabe zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeht, da sich keine korrespondierenden Änderungen des SGB V finden“, heißt es in der Stellungnahme.
In der AMVV könne beispielsweise bestimmt werden, ob und wie oft ein Arzneimittel auf dieselbe Verschreibung wiederholt abgegeben werden darf. Damit korrespondiere wiederum § 31 Absatz 1b SGB V, der dem generellen und auf § 15 SGB V gründenden Verordnungsprinzip für die Möglichkeit wiederholender Abgaben vorsieht und insoweit die wirtschaftliche Versorgung und die Verantwortungsübernahme dafür sicherstellt.
„Sofern an der geplanten Änderung des AMG festgehalten wird und diese dem Anspruch der Versicherten nach § 31 SGB V unterfällt, wird darauf hingewiesen, dass die Abgabe der kleinsten Packungsgröße bei einer chronischen Erkrankung zu Mehrkosten in der Versorgung führt“, warnt der G-BA.
Unabhängig davon müssten für die direkte und unabhängige Versorgung der Versicherten mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch Apotheken die Regelungen einer wirtschaftlichen Verordnungsweise gelten.
„Demnach wäre eine gesetzliche Verknüpfung im SGB V im Zusammenhang mit den Leistungsansprüchen der Versicherten und die Bindung der Apotheken an das Wirtschaftlichkeitsgebot erforderlich“, erklärt der G-BA.
Darüber hinaus seien weitergehende Konkretisierungen der Voraussetzungen, unter denen keine Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch die Apotheke erfolgen darf, sinnvoll.
Denn die Einschätzung eines hohen Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzials oder eine nach Fachinformation erforderliche ärztliche Diagnostik oder Kontrolle zum Zeitpunkt vor einer weiteren Verordnung dürfe weder im Einzelfall entschieden noch uneinheitlich bewertet werden. Sonst könnte das zu Unsicherheiten in der Versorgung führen. Der G-BA schlägt vor, die konkreten „Abgabeverbote“ in der AMVV zu regeln oder die zur Abgabe freigegebenen Arzneimittel zu listen.
Dasselbe gelte für die Abgabe bei akuten, unkomplizierten Erkrankungen. Grundlage soll hierfür eine Verordnung des BMG bieten, die auf Empfehlung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und unter Beteiligung der Arzneimittelkommissionen der Ärzte (AkdÄ) und der Apotheker (AMK) sowie mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden darf. Darin soll auch festgelegt werden, für welche Erkrankungen und Patientengruppen und welche Arzneimittel abgegeben werden dürfen.
„Auch hier stellt sich aus rechtssystematischer Sicht die Frage, weshalb die ausnahmsweise Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne ärztliche Verschreibung nicht in der AMVV, sondern in einer weiteren Rechtsverordnung mit abweichenden Beteiligungsmöglichkeiten geregelt wird“, heißt es in der Stellungnahme.
Zudem bleibe auch hier unklar, ob der Gesetzgeber in den beschriebenen Ausnahmekonstellationen von einer Abgabe zu Lasten der GKVausgeht.
„Vor dem Hintergrund, dass es sich um die Akutversorgung nicht schwerwiegender Erkrankungen handeln soll, ist zu hinterfragen, ob eine solche Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht vergleichbar mit der Versorgung mit nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nach § 34 Abs. 1 SGB V und folglich von der Erstattungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung auszuschließen ist.“