Retaxationen

Duplikatrezept hilft nicht bei Form-Retax

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Berlin -

Ein Rezept ohne Arztunterschrift ist aus Sicht der Krankenkassen nur ein rosa Zettel. Entsprechend wird auch nicht bezahlt, was auf diesem Zettel steht. Die DAK-Gesundheit lässt sich in einem aktuellen Fall auch nicht davon erweichen, dass der Arzt seine Verordnung schriftlich bestätigte, wie auch die Patientin ihre Versorgung. Die Kasse ist formal im Recht, die retaxierte Apothekerin Sybille Hoferichter aus dem hessischen Beselich will trotzdem nicht aufgeben.

Die Patientin hatte im September 2014 ein Rezept über Sondennahrung erhalten. Weil die Unterschrift des verordnenden Arztes fehlte, retaxierte die DAK auf Null. Hoferichter legte Einspruch ein, doch die Kasse lehnte dies ab.

Die Apothekerin besorgte sich die Bestätigung des Arztes und der Patientin und schrieb erneut an die DAK: „Wie aus unseren Bemühungen ersichtlich geworden ist, wäre nach einer Rückinformation innerhalb der begrenzten Fristen möglich gewesen, das Rezept entsprechend Ihrer Beanstandung heilen zu lassen.“ Leider sei die Retaxation erst ein Jahr später erfolgt. Danach seien sofort die Bestätigungen nachgereicht worden, der Arzt habe sogar eine neue Verordnung ausgestellt.

Die DAK ließ sich davon nicht erweichen. Im Arzneiliefervertrag (ALV) sei geregelt, dass eine fehlende Arztunterschrift nicht nachträglich geheilt werden könne. „Es gehört zur Prüf- und Sorgfaltspflicht der Apotheke, die Verordnung bei Vorlage und Belieferung auf ordnungsgemäße Ausstellung und stimmige Angaben zu überprüfen.“ Diese Pflicht könne auch nicht auf ein Rechenzentrum übertragen werden, da dort nicht die Versorgung des Patienten stattfinde, so die DAK.

Hoferichter weiß, dass die Kasse formal im Recht ist. Trotzdem will sie die Retaxation nicht hinnehmen. Die Patientin werde wöchentlich versorgt. Auch in diesem Fall sei klar zu ersehen, dass eine Versorgung im Sinne des Arztes stattgefunden habe. „Ich habe doch eine Leistung erbracht, was nachweisbar ist“, so Hoferichter. Den Kassen sei gar nicht bewusst, was die Apotheken alles zur Versorgung ihrer Versicherten leisten würden: „Wir fahren das hin, gekühlt, sogar am Wochenende und an Feiertagen“, sagt Hoferichter. Sie will es jetzt noch einmal direkt bei der DAK versuchen und hofft auf Kulanz.

Besonders gut dürften ihre Chancen dabei nicht stehen. Die DAK gilt bei Retaxationen als unnachgiebig. Vorstandschef Professor Dr. Herbert Rebscher scheut in diesem Punkt keine Auseinandersetzung mit den Apothekern. Die DAK verteidigt ihre Nullretaxationen regelmäßig auch vor Gericht.

Im aktuellen Fall verweist die Kasse auf eine Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Gießen, das bei fehlender Arztunterschrift ebenfalls zu ihren Gunsten entschieden hatte. In einem anderen Fall hatte die Kasse zumindest in erster Instanz verloren: Das SG Hannover hatte eine Nullretaxation zurückgewiesen, nachdem der Apotheker ein korrektes Rezept nachgereicht hatte. Im Berufungsverfahren wurde das Urteil aufgehoben.

Die Kasse habe das Rezept ohne Arztunterschrift zwar zu Recht retaxiert, eine abschließende Zahlungsverweigerung sei aber unbegründet, so das SG Hannover im November 2011. In der Urteilsbegründung erkennen die Richter an, dass die Vergütungsregeln grundsätzlich streng nach dem Wortlaut auszulegen seien, da regelmäßige nachträgliche Korrekturen nicht mit den Erfordernissen einer Massenverwaltung zu vereinbaren seien. In diesem Fall seien aber gar keine Beweisschwierigkeiten aufgetreten, das Abrechnungsverfahren somit nicht erschwert worden.

Der Arzneiliefervertrag sehe einen Einspruch des Apothekers gegen Retaxationen trotz Massenverwaltung vor. In diesem Rahmen hätten Arzt und Patient die Verordnung beziehungsweise Versorgung bestätigt. Die Unterschrift sei nur vergessen worden, weil die Verordnung unmittelbar während der Verhandlung habe ausgestellt werden müssen. Zweck der Vorschriften des ALV sei, die Kasse vor Zahlungen zu schützen, wenn kein Arzt das Rezept ausgestellt habe. Dies treffe im vorliegenden Fall aber zweifellos nicht zu, so das SG. Eine endgültige Ablehnung sei daher nicht mehr zulässig gewesen.

Die DAK ging in Berufung: Der ALV regele alle Heilungsmöglichkeiten abschließend, eine fehlende Arztunterschrift zähle eben nicht dazu. Ein Heilung sei nur möglich, solange der Apotheker im Besitz der Originalverordnung sei, und müsse von ihm gegengezeichnet werden. Die nachträgliche Einreichung einer Duplikatverordnung sei nicht zulässig. Die Kasse wies zusätzlich darauf hin, der Apotheker habe schon aus berufsrechtlichen Gründen das erste Rezept ohne Arztunterschrift gar nicht beliefern dürfen.

Der Apotheker erwiderte, seine Aufgabe bestehe darin, die ärztliche Verordnung auf Wirkung und Wechselwirkung zu kontrollieren, die verwaltungstechnische Abwicklung von täglich bis zu 180 Rezepte sei nicht seine Kernkompetenz. Da die Kasse Gelder der Solidargemeinschaft verwalte, sei an sie ein besonderer Anspruch zu stellen – und dazu gehöre, auf die Vertragspartner Rücksicht zu nehmen.

Bei Rezepten mit offensichtlich falscher Datumsangaben oder fehlender Unterschrift müsse die Kasse den Apotheker kontaktieren und Korrekturen zulassen. Der Patient sei in diesem Fall schon mehrfach mit diesem Mittel behandelt worden, die Arztpraxis befinde sich im gleichen Haus wie die Apotheke.

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) gab der Kasse recht. Das Bundessozialgericht (BSG) habe schon 2009 entschieden, dass der Apotheker selbst bei einer nicht vom Arzt abgezeichneten Mengenänderung keinen Anspruch auf Vergütung habe. Dies gelte erst recht, wenn die Unterschrift überhaupt fehlte.

Eine Heilung bei fehlender Arztunterschrift sei nach dem Wortlaut des ALV nicht möglich. Es sei Sache der Spitzenverbände der Kassen und Apotheker, im Rahmenvertrag andere Regelungen zu finden. Allerdings sei der ALV eine ergänzende Regelung zum Sozialgesetzbuch (SGB-V). Demnach sei das Rezept zentrales Element der Versorgung mit Arzneimitteln. In diesem Fall gebe es aber wegen der fehlenden Arztunterschrift gar keine Verordnung. Das LSG hatte keine Revision zum BSG zugelassen.

Interessant an dem Fall ist noch eine Begründung der DAK. Der Apotheker hatte darauf hingewiesen, dass die Kasse in anderen Fällen nicht retaxiert hatte. Die DAK erklärte dies vor Gericht so: Sollten fehlerhafte Verordnungen tatsächlich nicht retaxiert worden sein, so sei dies darauf zurückzuführen, dass es wegen der Vielzahl der zur Abrechnung eingereichten Verordnungen unmöglich gewesen sei, jede einzelne Verordnung auf ihre Richtigkeit zu prüfen.

Von den Apothekern wird genau dies verlangt. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband hatten zuletzt erfolglos über neue Regeln zu Nullretaxationen aufgrund formeller Fehler verhandelt. Die Sache liegt jetzt bei der Schiedsstelle unter dem Vorsitz von Dr. Rainer Hess. Der ehemalige G-BA-Vorsitzende hat aber schon angekündigt, dass er nur wenig Spielraum sieht.

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