„Können nicht die Hälfte der Menschheit ausblenden“

Tabubruch? Gesundheitstests mit Menstruationsblut

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Berlin -

Menstruationsblut als Diagnosequelle – geht das? Genau das haben Forschende aus Zürich und St. Gallen in einer Machbarkeitsstudie untersucht. Das System mit dem Namen MenstruAI integriert Teststreifen in Binden und macht es möglich, bestimmte Krankheitsmarker direkt im Menstruationsblut zu messen. Zugleich zeigte sich für das Forschungsteam auch: Das Thema Menstruation ist noch immer stark stigmatisiert – auch in der Wissenschaft.

Nach Einschätzung der Forschenden schrecken viele Menschen vor konventionellen Bluttests zurück – sie seien invasiv, unangenehm und im Alltag schwer umzusetzen. Menstruationsblut könnte deshalb eine niedrigschwellige Alternative sein: Es enthält vergleichbare Marker wie venöses Blut und ist ohne zusätzlichen Eingriff verfügbar.

„Bislang galt Menstruationsblut als Abfall. Wir zeigen, dass es eine wertvolle Informationsquelle ist“, sagt Erstautor und Doktorand Lucas Dosnon von der Eidgenössischen Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich).

Prototyp besteht ersten Praxistest

Ganz neu ist die Idee nicht: Menstruationsblut wurde bereits für Analysen wie Blutzucker oder HPV genutzt, allerdings mit aufwendigen Labormethoden. Erste Sensoren in Binden erfassten nur einfache Parameter wie Blutmenge oder pH-Wert.

Das aktuelle Projekt geht einen Schritt weiter: Entwickelt wurden zwei Prototypen mit Silikongehäusen und Volumenkontrolle, die eine definierte Blutmenge auf Teststreifen leiten. Diese funktionieren ähnlich wie Covid-Schnelltests, verfärben sich je nach Eiweißkonzentration und lassen sich mit bloßem Auge oder per App auslesen.

In der ersten Machbarkeitsstudie mit einer kleinen Studienpopulation zeigte sich, dass diese Prototypen die gesuchten Marker zuverlässig und im klinisch relevanten Bereich nachweisen können. Auch unter realen Bedingungen, also während der Menstruation, funktionierten die Sensoren zuverlässig und wurden von den Proband:innen als angenehm zu tragen bewertet.

Die App konnte die Ergebnisse mit hoher Genauigkeit auswerten. Besonders bemerkenswert ist laut Forschender die niedrige Kostenstruktur: Ein Teststreifen kostet etwa 40 US-Cent, das Silikonmodul rund 50 Cent – insgesamt also etwa einen Dollar pro Einheit.

Kein Ersatz für ärztliche Diagnostik

Als nächstes planen die Forschenden eine größere Feldstudie mit über hundert Teilnehmerinnen, um die Alltagstauglichkeit unter realen Bedingungen zu prüfen und die Werte mit etablierten Labormethoden zu vergleichen. Dabei soll auch die biologische Vielfalt des Menstruationsblutes berücksichtigt werden, das sich je nach Zyklustag und von Person zu Person unterscheidet.

MenstruAI sei nicht als Ersatz für eine ärztliche Diagnose gedacht, sondern als niedrigschwellige Möglichkeit, Veränderungen im Körper frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls medizinische Abklärung einzuleiten. Die Plattform erfüllt die von der WHO definierten Assured-Kriterien (Affordable, Sensitive, Specific, User-friendly, Rapid & Robust, Equipment-free, Deliverable).

Thema nach wie vor stigmatisiert

Herrmann und Dosnon sehen MenstruAI nicht nur als ein technisches Projekt, sondern als einen Beitrag zu einer gerechteren Gesundheitsversorgung. „Wenn wir über Gesundheitsversorgung sprechen, können wir nicht einfach die Hälfte der Menschheit ausblenden“, betont Herrmann.

Die Forschenden waren überrascht, wie stark das Thema Menstruation noch immer stigmatisiert sei – auch in akademischen Kreisen – und darüber, dass viele ihre Idee als unappetitlich oder unrealistisch bezeichneten. Dosnon zeigt sich dennoch überzeugt: „Es braucht mutige Projekte, um bestehende Verhaltensmuster aufzubrechen und sicherzustellen, dass die Frauengesundheit endlich den Platz erhält, den sie verdient.“

Die Studie mit dem Titel „A Wearable In-Pad Diagnostic for the Detection of Disease Biomarkers in Menstruation Blood“ wurde an den genannten Institutionen in der Schweiz durchgeführt und 2025 in der Fachzeitschrift Advanced Science veröffentlicht.

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