Am Mittwoch fand eine gesundheitspolitische Veranstaltung des Wirtschaftsrats statt – mit prominenter Beteiligung aus Politik und Industrie. Dabei waren nicht nur Abgeordnete wie Matthias Mieves (SPD) oder Hendrick Streeck (CDU) zugegen; auch Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) und einige Apotheker:innen besuchten die Veranstaltung. Abda-Vizepräsidentin Dr. Ina Lucas vertrat die Belange der Apothekerschaft im letzten Panel.
Unter den anwesenden Apotheker:innen waren Dr. Schamim Eckert, Vizepräsidentin der Landesapothekerkammer Hessen, und Ina Leischner, Inhaberin der Neuen Apotheke in Hohenmölsen bei Leipzig; beide nahmen für die Freie Apothekerschaft (FA) an der Veranstaltung teil. Insgesamt seien sieben Kolleginnen und Kollegen bei der Veranstaltung gewesen, berichten die beiden Apothekerinnen nach der Veranstaltung.
Warken habe bei ihrem kurzen Auftritt auch die Apotheken angesprochen. „Sie hat einen Rundumschlag durch das gesamte Gesundheitssystem gemacht“, berichtete Eckert. Dabei sei zwar kein Wort zur Honorierung oder der angedachten PTA-Vertretung gefallen, aber die Ministerin habe die Relevanz der Apotheken hervorgehoben: als niedrigschwellige, hochausgebildete Anlaufstelle, die zukünftig auch intensiver im Gesundheitssystem genutzt werden müsse – sei es beim Impfen und der Impfberatung oder auch bei frühdiagnostischen Aufgaben und Tests.
Allerdings habe sich erneut gezeigt, dass die Apothekerschaft in den Augen einiger aus der Industrie immer noch als veraltet und rückständig angesehen wird. Gleich während des ersten Panels habe Eckert sich nach einer Frage des Moderators aus dem Publikum zu Wort gemeldet. Grund war eine besondere Situation während des ersten Panels mit dem Titel „Gesundheitswesen am Limit: Wie wir die Versorgung von morgen sichern“.
Hier sei es zu Beginn um die Überlastung der Krankenhäuser, insbesondere der Notaufnahme, gegangen. Patienten würden hier häufig immer noch mit Bagatellthemen ankommen, die eigentlich nicht in die Notaufnahme müssten. Dr. Michael Müller (Labor 28) hatte Ralf Hermes (Innovationskasse) daraufhin gefragt, wie er dazu stehe, dass laut Referentenentwurf Apotheken zukünftig Rx-Medikationen unter bestimmten Bedingungen ohne ärztliche Verschreibung abgeben dürfen und mit Tests und Screenings eine Rolle bei der Frühdiagnose übernehmen sollen. Müller habe es aber nicht bei der Frage belassen, sondern ergänzt, dass er sich vorstelle, wie der Apotheker Blutwerte auf einen Zettel schreibe und sich frage, wie die Werte denn in die elektronische Patientenakte (ePA) kämen, berichtete Eckert.
Dass die Apotheken künftig stärker eingebunden werden sollten, traue er ihnen zwar zu, so die Antwort. Aber er habe im Freundeskreis eine PTA und eine PKA, die beide in Apotheken arbeiteten und sagten, sie zögen den ganzen Tag nur Schubladen auf und zu.
Ein absolutes No-Go, fand Eckert, die diese Aussagen nicht unkommentiert lassen wollte: „Ich habe mich dann gemeldet, bin aufgestanden, habe meinen Namen genannt und gesagt, dass ich Apothekerin bin und mich an Herrn Dr. Müller und Herrn Hermes gerichtet und gesagt, dass ich ihre Aussagen ein wenig richtigstellen möchte.“
Sie erklärte, dass die öffentlichen Vollapotheken seit Jahren sehr modern und digital arbeiteten und im Januar bereits schon seit zwei Jahren mit dem E-Rezept arbeiteten. „Wir werden somit künftig keine Probleme haben, erhobene Werte in die ePA einzuspeisen, Herr Dr. Müller!“
Auch den Kommentar des Kassenchefs wollte Eckert nicht unkommentiert lassen: Natürlich öffne das pharmazeutische Personal täglich Schubladen: „Nach jedem Beratungsgespräch gehen wir an die Schublade und geben das Medikament, zu dem wir beraten haben, ab, um dieses zu entnehmen!“
Zur Überlastung der Notaufnahmen durch Bagatellfälle erklärte Eckert den Mehrwert, den Apotheken zukünftig durch die Abgabe von Rx-Medikamenten haben könnten, gerade mit Blick auf die Tatsache, dass in den nächsten vier bis fünf Jahren etwa 30 Prozent der Babyboomer in den Ruhestand gehen würden und die Notaufnahmen mit lauter Bagatellfällen belegt seien, die nicht in die Kliniken gehörten. „Wir wollen das System entlasten, Kosten einsparen und die Patienten, die laut Kundendatei oder ePA schon lange auf Dauermedizin eingestellt sind, eben nicht mehr in die Bereitschaftsdienste schicken müssen, sondern uns hier einbringen können und wollen!“
Zum letzten Panel war Lucas mit auf der Bühne, stellvertretend für den laut Program eingeladenen Abda-Präsidenten Thomas Preis. „Sie hat das wirklich toll gemacht! Super sympathisch, eloquent und sehr gut thematisch“, sind sich Leischner und Eckert einig. Moderiert wurde das Panel vom Vorsitzenden der Bundesfachkommission Digital Health des Wirtschaftsrats, Dr. Frank Wartenberg (Iqvia). Mit auf der Bühne waren auch Redcare-Chef Olaf Heinrich, Matthias Mieves (SPD), Dr. Florian Hartge (Gematik) und der Noventi-Vorstandsvorsitzende Mark Böhm.
„Heinrich hat gesagt, die Versender wären viel besser als die Vor-Ort-Apotheken und viele Patienten bräuchten keine Beratung und seien besser bei denen aufgehoben, da der Versandhandel diskret sei und der Nachbar nicht alles mitbekomme“, erinnert sich Eckert.
Auch hier wollte sie gerne einhaken: „Ich habe mich an Herrn Heinrich gewandt, meinen Namen und Beruf genannt und gesagt, dass ich ihn gerne etwas fragen möchte, aber ihn vorher mit Zahlen, die er selbst genannt hat, zitieren möchte: Shop Apotheke gebe 112.000 Pakete pro Tag an deutsche Haushalte ab, im Lager arbeiteten 2700 Mitarbeitende, davon rund 150 pharmazeutisches Personal. Richtig?“ Das habe er bejaht.
„Heilberufe sind kein Geschäftsmodell, sondern ein Versprechen, Leben zu schützen! Wie wollen Sie mit nur 5 Prozent pharmazeutischem Personal diesen Leitsatz verwirklichen und alle Pakete kontrollieren?“ In der Apotheke vor Ort sei der Anteil des pharmazeutischen Personals bei über 90 Prozent.
Heinrich habe daraufhin auf die vielen Lagermitarbeiter und den großen Anteil OTC-Medikamenten hingewiesen. Bei Rezepten würde erst eine KI kontrollieren und im Nachgang dann pharmazeutisches Personal, und der Abgleich mit Daten werde mit der ePA gemacht. Heinrich habe ihr auch eine Einladung ausgesprochen, um sich den Betrieb persönlich anzuschauen.
Die Gematik teilte auf Anfrage mit, dass Unternehmen wie Shop Apotheke oder DocMorris nur dann auf die ePA zugreifen könnten, „wenn der oder die Versicherte ihnen explizit über die ePA-App der jeweiligen Krankenkasse einen Zugriff erteilt hat“. Das gängige CardLink-Verfahren sehe dagegen keine Berechtigung für den Zugriff auf die ePA vor: „Ein solcher Zugriff ist untersagt.“
Bei den geringen Nutzungszahlen der ePA durch die Versicherten in Deutschland sei es doch sehr fraglich, dass jeder Patient, der sein Rezept an Shop Apotheke schicke, auch die Zugriffsrechte über die ePA-Krankenkassen-App erteilt habe, sind sich die Apothekerinnen einig.
Auch was die Überprüfung durch pharmazeutisches Personal angehe, hätten sie ihre Zweifel: Bei 112.000 Paketen pro Tag und 150 Köpfen liege man bei 750 Paketen pro Person, wenn das gesamte pharmazeutische Personal volle acht Stunden am Tag vor Ort wäre, rechnete Leischner vor. „Das wären 1,6 Pakete pro Minute“, erklärte sie.
Auch das Thema der Gleichbehandlung sei aufgegriffen worden, beispielsweise im Zusammenhang mit Temperaturkontrollen. Auf dem Panel habe Mieves erklärt, dass konstruktive Vorschläge aus der Apothekerschaft fehlen würden. Beim Vorschlag der assistierten Telemedizin in der Vor-Ort-Apotheke habe die Abda durchgesetzt, dass Telepharmazie nicht außerhalb der Apotheke gemacht werden dürfe.
Hier forderte Heinrich auch Gleichbehandlung. Leischner meldete sich zu Wort und forderte Gleichbehandlung bei Temperaturkontrollen oder dem Warensortiment. Sie fragte an Mieves gewandt, ob die Apotheken vor Ort künftig analog zu den Versendern auch Kärcher, Reitbedarf und Sexspielzeug verkaufen dürfen.
„Wir müssen besser aufzeigen, dass wir bereits voll digitalisiert, modern und innovativ sind“, betonte Leischner nach der Veranstaltung. Zudem seien die Apotheken vor Ort nahe am Menschen und daher sogar besser als der Versandhandel.
„Dies ist nach unseren Beobachtungen noch nicht vollständig bei der Politik angekommen. Hier braucht es Überzeugungsarbeit, Überzeugungsarbeit, die unsere Standesvertreter leisten müssten“, kritisiert die Apothekerin. Es sei enttäuschend, dass die Abda bei einer so wichtigen Veranstaltung die Chance verstreichen lasse, etwas im Sinne der Apothekerschaft zu bewirken. Es reiche nicht, wenn nur eine Vertreterin zu einem Programmpunkt anwesend sei.
Streeck habe auf der Veranstaltung erneut auf die leeren Kassen verwiesen, berichteten die Apothekerinnen. Leischner sah für die Apothekerschaft eine Chance in der Prävention: „Dafür ist Geld da, davon bin ich überzeugt“, erklärte sie. Außerdem erklärte sie, dass Medikationsabgabe durch Präsenz und Apotheker, persönliche Abgabe von Medikation in Präsenz höher dotiert sein müsse, als eine reine Automaten-Abgabe. „Beim Friseur bekommt der Meister auch mehr Geld als der Lehrling.“
Sie könnte sich vorstellen, dass 30 Cent Fixvergütung dem reinen Versandhandel abgezogen werden könnten und im Gegenzug die Abgabe mit beratendem pharmazeutischem Personal vor Ort besser bezahlt wird. „Schon alleine aufgrund der persönlichen Haftung des Apothekenbetreibers.“