Kommentar

Indische Verhältnisse

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Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und AOK-Chef Dr. Hans Jürgen Ahrens drohen Novartis und Roche offen mit der Zwangszulassung für Avastin. Das Darmkrebsmittel wird bisher nur im „Off-Label-Use“ zur Behandlung von altersbedingter Makula-Degeneration (AMD) angewendet. Das derzeit einzige für AMD zugelassene Präparat Lucentis von Novartis ist um ein Vielfaches teurer. Nun soll die Industrie gezwungen werden, die Zulassung für die billigere Alternative zu beantragen.

Der Streit erinnert an indische Verhältnisse. Dort sind die internationalen Pharmakonzerne scharfen Gegenwind gewohnt: Novartis hat einen spektakulären Rechtsstreit um Glivec verloren, und GlaxoSmithKline (GSK) hat nach der Klage eines Generikaherstellers den Patentantrag für Trizivir vorsichtshalber zurückgezogen. Die Hersteller sehen ihre Felle den Ganges hinuntertreiben, denn das indische Patentrecht mit der schon berüchtigten „Section 3d“ hält bislang zahlreichen Angriffen stand. Hierzulande werden dann nicht selten hinter vorgehaltener Hand die Zwangszulassungen begrüßt; Indien sowie Thailand und Brasilien scheinen weit entfernt, Patentstreitigkeiten ein Problem zu sein, mit dem sich vor allem Hilfsorganisationen herumschlagen.

Mit dem Fall Avastin/Lucentis kommt die Diskussion um Zwangszulassungen nun nach Deutschland. Nicht nur Schmidt und Ahrens wissen, dass Novartis rund ein Drittel der Roche-Anteile hält. Zwar haben weder Ahrens noch Schmidt derzeit kaum die rechtlichen Mittel, eine Zwangszulassung zu erwirken; schließlich ist die Versorgung der Patienten nicht in Gefahr. Der Elan gerät dann auch ins Stocken, wenn man nach den Einzelheiten fragt. Aber beide klingen entschlossen. Die berechtigte Frage: Dürfen echte Innovationen ihre Entwicklungskosten auf dem Markt gleich mehrfach wieder einspielen?

Vielleicht spürt man bei Novartis, dass dies ein Präzedenzfall werden könnte. Plötzlich macht der Hersteller ein Deckelungsangebot, wonach die Kassen nicht mehr als 315 Millionen Euro für Lucentis ausgeben sollen; nach heutigem Preis werden die Kosten auf 8,9 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Wer solche Zugeständnisse machen kann, darf sich über die Forderungen der größten deutschen Krankenkasse und der Spitze der Gesundheitspolitik nicht wundern. Der Streit zeigt aber auch, dass Medikamente eben doch eine besondere Ware sind, deren Herstellung und Vertrieb fairen aber harten Regeln unterworfen sein muss.

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