Arzneimittel-Zuzahlung und Praxisgebühr

GKV-Finanzen: Rettung durch höhere Zuzahlungen?

, Uhr aktualisiert am 22.08.2025 11:31 Uhr
Berlin -

Die gesetzlichen Krankenkassen stehen finanziell unter Druck – die Ausgaben steigen, die Einnahmen hinken hinterher. Nach Überlegungen für eine Praxisgebühr zielt ein neuer Vorschlag zur Aufbesserung der Krankenkassen-Finanzen auf höhere Arzneimittel-Zuzahlungen ab.

Der Bielefelder Gesundheitsökonom Professor Dr. Wolfgang Greiner schlug in den Zeitungen der Funke Mediengruppe vor, die aus seiner Sicht sehr geringen Selbstbeteiligungen der Patient:innen an die Inflationsentwicklung in den zurückliegenden Jahren anzupassen. Dies käme seinen Angaben zufolge einer Verdoppelung gleich: „Also 10 Euro pro Medikament, maximal 20 Euro.“

Auch die Einnahmen durch die Zuzahlungen würden sich nach Schätzung Greiners verdoppeln. Heute liegen sie bei etwa 2,5 Milliarden Euro. Eine ganze Reihe von Arzneimitteln wäre dann gar nicht mehr in der Erstattung, weil ihr Preis niedriger wäre als die Selbstbeteiligung, wie Greiner erläuterte. Heute leisten die Kassenmitglieder Zuzahlungen in Höhe von 10 Prozent des Preises, mindestens jedoch fünf, höchstens zehn Euro. Kostet ein Medikament zum Beispiel 4,75 Euro, zahlen Versicherte 4,75 Euro. Die Höhe der Zuzahlung ist seit 20 Jahren stabil.

Gesundheitspolitiker Ates Gürpinar (Linke) bezeichnet die Diskussion um höhere Zuzahlungsbeiträge als „absurde Ablenkungsdebatte“. „Wir können die Gesundheitsfinanzierung nur auf starke Füße stellen, wenn die Bundesregierung sich von ihren ideologischen Vorbehalten trennt und endlich eine grundlegende Strukturreform einläutet“, so Gürpinar. Die Schonung der Spitzenverdiener:innen sei nicht länger akzeptabel, daher fordert er eine Krankenkasse für alle ohne Beitragsbemessungsgrenze.

Arbeitgeber fordern Kostendämpfung

Auch die Debatte über eine Praxisgebühr geht weiter. Deutschlands Arbeitgeber fordern neben einer Kontaktgebühr kostendämpfende Reformen in allen Versicherungsbereichen. „Dann ist endlich Schluss mit dieser Strafsteuer auf Arbeit“, sagte der BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter mit Blick auf die gestiegenen Lohnnebenkosten.

„Unsozial sind die ständig steigenden Beiträge für die Krankenversicherung. Die sorgen für immer weniger Netto vom Brutto bei den Arbeitnehmern“, so Kampeter. „Arbeit ist in Deutschland zu teuer. So kommen wir nicht aus der Rezession.“

Praxisgebühr: Irrweg oder Möglichkeit?

Kampeter hatte mit dem Vorschlag einer Kontaktgebühr bei jedem Arztbesuch zur Begrenzung von „Ärzte-Hopping“ und einer Beitragsstabilisierung heftige Kritik auf sich gezogen. Hausärzte, Patientenschützer und Gewerkschafter hatten sich gegen ihn gestellt. Nun verteidigte er den umstrittenen Vorschlag als Möglichkeit, um die Sozialsysteme effizienter und gerechter zu machen. „Sinnvoll wäre auch eine Konzentration der Krankenhauslandschaft, eine bessere Patientensteuerung, eine bessere Verzahnung von ambulant und stationär – und insgesamt mehr Wettbewerb im System.“

Auch innerhalb der Union gibt es kritische Stimmen: „Eine Kontaktgebühr belastet überwiegend chronisch kranke Patienten und ist deswegen höchst ungerecht“, sagte der Vizevorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, Stephan Pilsinger, der Augsburger Allgemeinen. Nötig sei demnach mehr Patientensteuerung unter anderem über ein Primärarztsystem.

Auch die Grünen fordern Kurskorrekturen. „Eine Kontaktgebühr für Arztbesuche wäre nichts anderes als ein Rückfall in alte Irrwege“, sagte der Grünen-Gesundheitsexperte Dr. Janosch Dahmen. Das Kernproblem des Gesundheitswesens liege auch nicht auf der Einnahmenseite, sondern unter anderem bei aus dem Ruder laufenden Ausgaben etwa für Krankenhausversorgung und Arzneimittel.

„Gerade deshalb ist es so sträflich, dass die Union mit Gesundheitsministerin Nina Warken auch nach 100 Tagen keine einzige der überfälligen Strukturreformen auf den Weg gebracht hat“, sagte Dahmen an die Adresse der CDU-Ressortchefin. „Das ist Gesundheitspolitik der Wirklichkeitsverweigerung.“

Ausfallgebühren

Laut Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des Spitzenverbands Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFa), könne ein Primärarztsystem nur dann erfolgreich sein, wenn die Patient:innen aktiv mitwirken. „Ohne Akzeptanz und Verantwortungsübernahme funktioniert keine Steuerung – und schon gar nicht in der Realität unserer Praxen.“ Viele Facharztpraxen berichteten, dass vereinbarte Termine nicht wahrgenommen, aber auch nicht abgesagt werden – was nicht nur zu Verdienstausfällen führe, sondern auch andere Patient:innen benachteilige.

Der SpiFa fordert daher, dass Praxen bei unentschuldigtem Nichterscheinen angemessene Ausfallgebühren erheben dürfen. Gleichzeitig müsse transparent geregelt sein, wie Patient:innen im Ausnahmefall direkt Facharzttermine wahrnehmen könnten.

Steuerzahler auch zur Kasse gebeten

Experte Greiner hält angesichts der wachsenden Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben bei den Krankenkassen Milliardenbeträge des Bundes aus Steuermitteln für nötig – und zwar wie Warken als Zuschuss und nicht nur als Darlehen. Ein Darlehen reiche nicht und verschiebe das Problem lediglich. Warken will sich nach eigenen Worten in den anstehenden Haushaltsverhandlungen für Zuschüsse einsetzen.

Mehr als 1 Prozentpunkt höherer Zusatzbeitrag?

Zuletzt hatte der Bundesrechnungshof Alarm geschlagen: Nach einem Rekordwachstum bei den Ausgaben der Krankenkassen 2024 würden auch künftig die Kasseneinnahmen den Ausgaben hinterherhinken. Die Folge: höhere Zusatzbeiträge. Nach einem von den Finanzkontrolleuren zitierten Szenario könnten diese von Anfang 2025 im Schnitt 2,9 Prozent bis 2029 auf 4,05 Prozent steigen.

Der jüngste Bericht des Rechnungshofs sollte in Berlin „der endgültige Weckruf sein“, sagte die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Thüringens Gesundheitsministerin Katharina Schenk (SPD), den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Die gesetzliche Krankenversicherung muss jetzt dringend einer grundlegenden Strukturreform unterzogen und als solidarisch finanziertes System weiterentwickelt werden.“

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