Kommentar

Das Ende der Koalitionen?

, Uhr
Berlin -

Die AfD wurde in der vergangenen Bundestagswahl zweitstärkste Kraft. Unlängst hat sie die Union allerdings in Umfragen von der Spitze verdrängt. An der Frage nach dem Umgang mit der in Teilen gesichert rechtsextremen Partei wird zukünftig wohl keine der etablierten Parteien vorbeikommen. Die unangenehme Frage nach dem Für und Wider der Brandmauer spaltet bereits die Gemüter. Ein Kommentar von Lilith Teusch.

Wird es zukünftig doch Koalitionen mit der AfD geben? Oder steuern wir auf Mega-Koalitionen zu, deren einzige Daseinsberechtigung der Wunsch ist, eine Mehrheit gegen rechts zu bilden, die sich aber sonst auf keine politischen Leitlinien einigen können? Schon eine Dreierkoalition zeigt sich als kaum realisierbar – siehe Ampel. Oder beenden wir das System der Regierungsbildung mit stabiler Mehrheit und steuern auf Minderheitsregierungen zu, die zu jedem Problem einzeln Mehrheiten suchen müssen?

Im kommenden Jahr stehen zahlreiche entscheidende Landtagswahlen an. Insbesondere im Osten wird es sichtbar immer schwieriger, ohne die AfD Mehrheiten zu bilden. Wie also weitermachen?

Erst vor Kurzem erklärte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) in einem Interview mit Politico, er halte Minderheitsregierungen durch den Aufschwung der AfD in Zukunft für ein realistisches Szenario. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern sei das auch kurzfristig vorstellbar. Der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erklärte, er sehe grundsätzlich die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der AfD, wenn diese sich von Rechtsextremisten verabschieden würde. Zuspruch bekam er vom BSW: Die Bürger erwarteten konkrete Veränderungen – „keine taktischen Spielchen und keine symbolischen Brandmauer-Phrasen“, hatte Landeschefin Friederike Benda gegenüber der Deutsche Presse-Agentur erklärt.

Doch nicht nur in den Landesparlamenten droht die Destabilisierung: Die Bildung stabiler Mehrheiten ist zur Zerreißprobe geworden. Die anhaltenden Debatten – etwa um das Bürgergeld oder das Rentenpaket – zeigen, wie schnell Koalitionen an innerparteilichen „Herzensprojekten“ scheitern können. Als wären die Streitereien in Berlin nicht schon schädlich genug, zeigen auch die Länder ihre Unzufriedenheit mit dem Bund – und schickten kurz vor knapp das Sparpaket von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) in den Vermittlungsausschuss.

Bricht die Regierung, bleiben nur die Minderheitsregierung, die offene Kooperation mit der AfD oder Neuwahlen. Eine Minderheitsregierung – formal nicht mit der AfD koalierend, aber themenbezogen auf deren Stimmen angewiesen – wäre letztlich nur ein kosmetisches Beibehalten der Brandmauer. Die Kooperation würde mit jeder gemeinsam durchgesetzten Maßnahme doch salonfähiger. Genauso gravierend: Die Minderheitsregierung wäre das Ende jeglicher stabiler Regierungsprogrammatik. Fortan müsste bei jedem einzelnen Vorhaben reihum nach wechselnden Mehrheiten gesucht werden. Die Folge wären ständige Verhandlungen, unklare politische Richtungen und eine massive Entwertung von Regierungsprogrammen, die dem Zufall einzelner Abstimmungen ausgeliefert wären.

Fakt ist: Die AfD ist auf dem Vormarsch. Und bei rund 30 Prozent in Umfragen wird ein Verbotsverfahren mit hohen Hürden das Problem auch nicht lösen – selbst wenn es erfolgreich wäre. Die hohe Zustimmung zur AfD sind vor allem eines: eine Kritik an den etablierten Parteien.

Wir stehen vor einer gespaltenen Bevölkerung und einer tiefen Unzufriedenheit mit den demokratischen Institutionen. Das Vertrauen in die Politik sinkt. Wir haben einen nicht zu leugnenden Rechtsruck in der Gesellschaft, und den werden wir nicht einfach schnell wieder los. Mehrheiten werden sich in Zukunft nicht mehr so einfach finden lassen. Von der Vorstellung einer Koalitionsbildung mit sicherer Mehrheit und vielfältigen Optionen wird man sich wohl verabschieden müssen – oder den Rändern öffnen.

Guter Journalismus ist unbezahlbar.
Jetzt bei APOTHEKE ADHOC plus anmelden, für 0 Euro.
Melden Sie sich kostenfrei an und
lesen Sie weiter.
Bitte geben Sie eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Lesen Sie auch
Mehr zum Thema
Kabinettstermin steht
Bonpflicht wird abgeschafft
Mehr aus Ressort
„Werden da eine gute Lösung hinbekommen“
GKV-Beiträge: Warken baut auf Länder-Kompromiss